Thom Yorke – Anima
Thom Yorke hat seinen patentieren Stil der träumend-pulsierenden Elektronik mittlerweile so weit verinnerlicht, dass er ihn mittlerweile (gemeinsam mit Nigel Godrich) wohl im Schlaf meisterlich produzieren kann. Auf der Strecke bleiben dabei auf Anima aber bisweilen doch auch einmal mehr Emotionen.
Simultan zu seinem dritten Studioalbum hat sich der Radiohead-Frontmann von Regie-Meister Paul Thomas Anderson auch einen Kurzfilm auf den Leib schneidern lassen, der zwar kurz in ausgewählten Kinos zu sehen war, letztendlich aber ein Netflix-exklusives Vehikel darstellt. (Und nach seinem Fleabag‘esken Beginn ein ästhetisch durchaus einnehmendes Buster Keaton-Spiel darstellt, letztendlich aber vor allem handwerklich und stimmungstechnisch abholt).
Ein Projekt also, das über seine multimediale Veranlagung schon vorab Interesse zu wecken verstand, der standadisierte MO könnte ja durch ehrgeizige Aspiration ausgehebelt werden. Und um es vorwegzunehmen: Was Anima letztendlich wirklich besser macht, als der enttäuschend egale Vorgänger Tommorow‘s Modern Boxes, ist tatsächlich diese zugrunde liegende Ambition. Denn man hört der (nichtsdestotrotz zu oft in zu typischen Ergebnissen mündenden Platte zumindest immer wieder faszinierend) an, dass Thom Yorke seine Horizonte erweitert hat, Spurenelemente aus so vielen Genres wie nie zuvor zu assimilieren versucht. Auch, dass sich mittlerweile nun einmal auch ein zusätzliches Standbein als Soundtrack-Komponist aufgebaut hat; er mit Atoms For Peace eine Supergroup laufen hatte und die Zerissenheit von The King of Limbs noch immer nagt, oder dass Radiohead mit A Moon Shaped Pool vor knapp drei Jahren 2016 endlich wieder ein Meisterwerk gelungen ist ( – aber bei dieser Gelegenheit eben auch, dass man den genialistischen Einfluss seiner Bandkollegen niemals groß genug einschätzen sollte). Am wichtigsten jedoch: Yorke findet wieder die auf dem Zweitwerk etwas abhanden gekommene Seele für seine Musik wieder.
Mit einer unbedingten Selbstreferentialität bleiben auf Anima handfeste Überraschungen genau genommen zwar weitestgehend aus, sofern man jene subversiv durch die Texturen geisternde Gitarre (als absolute Dreampop-Wohltat im Klangbild!) ignoriert, die in I Am A Very Rude Person auftaucht, nachdem ein subtiler Groove von der düsteren Trance zur ätherischen Anmut schwoft, während im Hintergrund immer neue Songskizzen durchzuziehen scheinen.
Yorke legt zu weiten Teilen nämlich durchaus die stilistisch nahtlose Fortsetzung der Laptop-Basteleien The Eraser und Tomorrow’s Modern Boxes vor, praktiziert seinen Signature Sound aus klackender Elektronik und klickenden Beats, glitchenden Pop-Ahnungen und verzerrten Loops, baukastenartig bereitstehenden Rhythmen und Synthie-Anstrichen.
Allerdings zeigt sich unleugbar, das gerade die jüngsten Platten seiner umfassenden Discografie Spuren im Solowerk hinterlassen haben, die Emanzipation von seiner Stammband vielleicht sogar beinahe abgeschlossen ist. Anima beherbergt mehr Chöre und Streicher als seine beiden Vorgängerwerke, auch wenn es nur verkleidete Keyboards sein könnten, die danach klingen wollen. Mal eher wie von Suspiria (und seinem Appendix) genährt wie in beispielsweise Last I Heard (…He Was Circling the Drain) (Marke: Like Spinning Plates driftet Richtung Score ab, wenn Soundscapes und gespenstische Chöre die Schleifen ziehenden Beats untergraben, Knöpfe aber zu ziellos drehen) oder dem psychedelisch als wunderbar flimmernder Dancefloor klatschenden (und Gitarren versteckenden) The Axe. Mal wie im jazzig zappelnden, knubbelig dem organischen Bass folgenden, entwicklungsresistenten und Climax-losen Impossible Knots von A Moon Shaped Pool implementiert – und manchmal gar beides, wie der IDM von Not the News zeigt, das über dröhnende Tieftöner so majestätisch wie ehrfurchtgebietend schweift und sinister perlt.
Wo die Substanz der Platte also ästhetisch auf einer breiteren Basis steht und neben einer direkten Vertrautheit (die eingangs vorschnell als ermüdende Vorhersehbarkeit eingestuft werden kann) durchaus interessante Facetten erzeugt, will das Songwriting an sich dahinter leider nicht gänzlich mithalten. Das generische Traffic klingt wie ein wummernd-schiebendes House-Update zu Lotus Flower, das primär nur über seine detailierte Produktion zu überzeugen weiß, während Twist es mit seiner Kinderchor-„Yeah„-Reminiszenz an 15 Step zwar zu frontal, penetrant und nervig übertreibt, danach aber großes Kino zelebriert, wenn er das Alien‚eske wabbernde Synthmeer über Nuancen variiert, die Grundidee immer wieder neu ausleuchteten, und die Form vom sphärischen Hoffnungsschimmer über eine vage Clubahnung zum vorsichtig erhebenden Pianisten-Trost streicht, der sich beinahe überwältigend in zarte Backinggesänge schmiegt.
Noch stärker ist womöglich nur das das zentrale Herzstück Dawn Chorus: Ein minimalistisches Stück Ambient, in dem Yorke eher lethargisch rezitiert als singt, eine resignierend bedrückende Schönheit gespeist aus Nostalgie und Wehmut zaubert. Die Aufbruchstimmung scheint wie der nicht greifbare morgendliche Sonnenaufgang über der kontemplativ entschleunigten Nachdenklichkeit zu hängen, die gleichzeitig trostspendend wie verzweifelt machend zu einem unscheinbaren Highlight in der Solodiskografie des Engländers wächst, quasi den Gegenentwurf zum nach Akzeptanz und Abschluß ringenden Jahrhundertstück Videotape anbietet: „If you could do it all again/ A little fairy dust/ A thousand tiny birds singing/ If you must, you must/ Please let me know/ When you’ve had enough“ – und dann auch noch einen bisher ungekannten Humor addiert: „If you could do it all again/ You don’t know how much/ Pronto pronto, moshi mosh/ Come on, chop chop„.
Dennoch ist es auch symptomatisch, wenn es auch irgendwann heißt: „I think I missed something/ But I’m not sure what„.
Bis auf das finale Runwayaway als sedative Krautrock-Entmenschlichung, das im Windschatten von Packt Like Sardines in a Tin Crushed Box und Pulk/Pull Revolving Doors gerade als Schlußpunkt absolut frustrierend ausgefallen ist, weil es auf gefühlsbetonter Ebene gar nicht erst funktionieren will, gönnt sich Anima zwar keinen wirklich Ausfall, fesselt aber hypnotisch zu oft nur über die Atmosphäre und in Aussicht gestellte (aber unerreichte) Vision seiner akribisch konzipierten Elektronik, krankt zudem an zwei schwächeren Start- und Endnummern. Gerade dort geht das Design von Anima über seinen Inhalt, packt Yorke emotional praktisch kaum und lässt die Platte am Stück konsumiert auch wie eine latent unausgegoren zusammengesetzte Anti-Songsammlung ohne klaren roten Faden und vor allem Ziel wirken (deren Einzelteile man rückblickend wohl paradoxerweise dennoch kaum aus ihrem homogenen Kontext gelöst besuchen wird).
Dann fühlt man sich als Hörer so verloren an komplexen Konstruktionen vorbeifallend, wie es das Artwork vorzeichnet, vermisst man einfach den berührenden, aufwühlenden oder bewegenden Impact, den Yorke im Zusammenspiel mit seinen kongenialen Bandkollegen als kreative Reibungspunkte erzeugt. Deswegen nimmt man den Grower Anima auch zu einem Teil als unfertig anmutendes Liegenlassen von angerissenen Potential wahr, zum anderen Teil als vielversprechende Übergangsplatte von der Komfortzone zum etwaigen Meisterstück im Alleingang. Mit Fanboy-Bonus überwiegt dann allerdings vorerst zweiterer Punkt und man gibt sich den besten Szenen der Platte mit einem gewissen Entgegenkommen hin.
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