Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra – Fuck Off Get Free We Pour Light On Everything
‚This Is Our Punk-Rock…‘ war als Titel bereits vergeben, hätte aber ohnedies zu kurz gegriffen. Auf ihrem siebenten Studioalbum versammelt das Kollektiv um Godspeed You! Black Emperor-Vorstand Efrim Menuck einen Malstrom aus wüsten Punksongs in Postrockweiten samt heavy Metalexplosionen, scharfkantigen Gitarrenkonstrukten und brodelnden Violinenstacheln, fiebrigen Droneaufbauten und wilden Noiseabfahrten: strahlende Folkrockdiamanten und übermächtige Hymnen sind das. ‚Fuck Off Get Free We Pour Light On Everything‘, wahrhaftig!
„What we Loved was not enough“ wehklagt Menuck im alles überragenden, soulig-schunkelnden Gänsehautgeniestreich gleichen Namens und lässt den ergreifendsten Song seiner Montrealer-Gang seit mindestens ‚God Bless Our Dead Marines‚ von engelsgleichen Deppresions-Chören („And the days come/ When we no longer feel„) und ungeschliffenen, sanften Streichern leise zu Grabe tragen. In den knapp zehn vorangegangenen Minuten dieses Manifests hat die diesmal wieder unter dem Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra-Banner laufende Kombo den Zweiteiler der 2012er ‚„The West Will Rise Again“‚-Ep auseinandergenommen und neu verschweißt, weiterentwickelt, emotionalisiert, perfektioniert. Analogien zur Evolutionsgeschichte von ‚No Cars Go‚ sind da beinahe unvermeidlich, auch weil die Distanz zu Arcade Fire für zumindest diesen einen Song nur noch eine geringe ist – mit dem beidgeschlechtlichem Wechselgesang, der ausladenden, überlebensgroßen Geste hinter der zur Niederknien anmutigen Melodieführung – nur eben, dass (mit Verlaub!) die kanadische Hypegroßmacht eine derartige Großtat wie ‚What We Loved Was Not Enough‚ seit mindestens ‚Neon Bible‚ nicht mehr zustande bekommt.
Dass Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra ‚Fuck Off Get Free We Pour Light On Everything‚ nach diesem erschöpfenden Kraftakt in pessimistischer Schlagseite durch das abschließende ‚Rains Thru The Roof At The Grande Ballroom (For Capital Steez)‚ geradezu in sich gekehrt mit französisch übersetzten Interviewfetzen, meditativer Percussion und still in seine Einzelteile zerfallenden interstellaren Synthiechören der Marke ‚Exit Music‚ ausatmen lassen, sollte also beruhigend wirken- würde Menuck nicht derart mit der Welt hadert, und letztlich nur Durchhalteparolen parat haben. Optimismus klingt anders, Weltschmerz genau so. „All our cities gonna burn/ All our bridges gonna snap/ All our pennies gonna rot / Lightning roll across our tracks/ All our children gonna die“ trieft der Platte anderswo und überall der Frust über die menschliche Zivilisation aus jeder Pore. ‚Fuck Off Get Free We Pour Light On Everything‚ ist durchzogen von einer allgegenwärtigen Melancholie – kanalisiert in einer ungemütlichen Spielwut, die die kompaktesten (Stichwort: dies ist die erste Single-LP der band seit deren Debütalbum!), konzentriertesten Songs der Band seit vielleicht überhaupt hervorbringt.
Dabei wird ‚Fuck Off Get Free (For The Island Of Montreal)‚ in kindlich-optimistischer Manier von einer schüchtern-euphorischen Mädchenstimme eingeleitet: „We live on an island called Montreal…and we make a lot of noise…..because we love each other!“ – bevor Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra Taten folgen lassen und einen sich liebevollen um die eigene Achse drehenden und sich stetig verdichtenden Sog (Achtung: Schubladenmonster!) Kammer-Punk anrühren – nur um auf die letzten Meter plötzlich doch noch mit einer Urgewalt aus der Brutzelle ausbrechen, die Gitarre fett braten zu lassen, als gelte es einen hetzenden Doomsong aus dem Szenario zu schnitzen. Und wenn man sich erst einmal damit abgefunden hat dass die Kanadier die fieseste Metalkante ihrer Karriere in die Waagschale aus politischer Unmut, gesellschaftskritischer Wut und sozialer Ambition werfen, legen sie plötzlich einen majestätischen Chor über das roh kratzende, ungeschönte Geschehen, der Efrim Menuck auf den Boden der Tatsachen drückt und tatsächlich: was für eine gleissende Pracht da unversehrt aus all dem wüsten Tumult wächst.
Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra setzen den Hebel ihrer Kritik diesmal am Individium und dem Miteinander an, um die Welt aus den Angeln zu heben. Da muss auch eine intime, anschmiegsame Streicheleinheit wie ‚Little Ones Run‚ drinnen sein, in der Sophie Trudeau und Jessica Moss ihren verschlungenen Harmoniegesang seelenstreichelnd zärtlich aufrecht erhalten, während der einsame akustische Pianohintergrund sich immer weiter selbst in Ambientwelten defragmentiert.
So lose halten Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra die Zügel auf ‚Fuck Off Get Free We Pour Light On Everything‚ ansonsten nie: nicht in der viertelstündig streunenden, ungemütlich flirrenden Dystopie-Jam-Spielplatz-Kakofonie ‚Austerity Blues‚ mit all seinen Wendungen und Berg- und Talfahrten („Lord let my son live long enough to see that mountain torn down„) und schon gar nicht im mächtig angepissten ‚Take Away These Early Grave Blues‚, wenn die Band mystisch und bestimmt aufs Gaspedal in Richtung ferner Osten drückt, die Gitarren heulend schwitzen lässt: eine unaufhaltsame Druckwelle von einem ratternden Song, ein Hit gar in diesem Kontext, mit nachdrücklicher Forderung am Kulminierungspunkt: „Love each other!„.
„The first definitive document of the band’s newfound sound and style as a quintet“ arbeitet dabei alle Entwicklungsschritte der Band ein, fokussiert aber vor allem auf die Phase ab ‚Horses in the Sky‚, verdichtet dabei seine John Cale-Verneigungen, quergestellte Verweigerungshaltung und immanente Punkrock-Ästhetik mit globalisierungskritischem Weltbürger-Flair aber zur am dringlichsten unter Strom stehenden Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra-Platte bisher. Eine schwermütige Angelegenheit sicherlich, eine bedrückende Lektion gar, und doch die pure Schönheit im Desaster. Denn am Ende keimt in all der tongewordenen Apokalypse eben doch wieder die Hoffnung: „And this I learned and thus I gleaned/ What we loved was not enough/ But kiss it quick and rise again„.
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