The xx – I See You
Nach (dem durch ein furchtbar aufdringlich und unnatürlich verschraubtes Brechstangen/Party-Hall & Oates–Sample samt hacklig beschämender Tanzbewegungen verunstalteten) Hold On darf Entwarnung gegeben werden: The xx haben ihr Drittwerk zwar in jene Schiene entwickelt, die die phasenweise groteske Vorabsingle befürchten ließ – kriegen auf Albumlänge aber trotz (oder gerade wegen) kluger Veränderungen im Detail auf I See You den spannenden Spagat zur minimalistischen Stimmungsmusik hin.
Die verschwommen Konturen von Romy Madley Croft, Jamie Smith und Oliver Sim scheinen sich im spiegelnden Cover von I See You abzuzeichnen: Näher dran an einem Gruppenfoto als auf dieser vagen Annäherung waren The xx auf einem Tonträger-Artwork noch nie – und nehmen damit irgendwo ein wichtiges Charakteristikum der Platte in Form einer neu definierten Körperlichkeit im Klangbild vorweg. Wo der Vorgänger Coexist jenen Trademarksound in noch flüchtigere Sphären aufzulösen begannen, mit dem The Xx auf ihrem selbstbetitelten Debüt das Erbe der Young Marble Giants antraten und mit diesem fein nuancierten Mitternachts-Pop samt minimalistischem R&B-Grundgerüst den Weg für die Elektronica-Zukunft rund um James Blake ebneten, zelebriert I See You nun eine regelrecht physische Präsenz.
Das beginnt beim sich weiterhin so unschuldig und umsorgend-umgarnenden Gesang von Sim und Samtstimme Croft, der sich auf dem Drittwerk konkreter als bisher präsentiert, weniger verschüchtert und selbstbewusster wirkt, seine Verletzlichkeit mit einer melancholische Bestimmtheit aufgewogen hat – manifestiert sich aber mehr als alles andere im kräftigeren Gewand, dass Jamie xx der Band mit dem Rückenwind seines Solodebüts In Colour auf den Leib geschneidert hat. Voller und wenn man so will farbenfroher funkelt die Umgebung der Melodien nun, „more outward-looking, open and expansive“ analysiert das Trio das Wesen des Drittwerks, „the record has a more distinctive sound and a more positive, open and „expansive“ concept than the previous two albums„.
Und tatsächlich: The xx klingen 2016 extrovertierter denn je, nehmen dafür jedoch genau genommen nur Feinjustierungen an ihrem Sound vor. Die Band vollziehen eine sanfte Evolution über eine größere Variabilität im Kompositionsgefüge, ohne dafür die Intimität ihres Wesens aufbrechen zu müssen. Smith und Rodaidh McDonald artikulieren die typische Fragilität des Songwritings über die Produzentenschnittstelle bestimmter, öffnen die Klangästhetik durch Nuancen zu einer dezenten Clubtauglichkeit, treiben das englische Trio Richtung Hang zur Upbeat-Gangart, infiltrieren durch den expliziteren Umgang mit schmissigen Samples.
Dass The xx auf einer erstaunlichen Hypewelle nun folgend auch immer größere Hallen füllen, bedeutet mit dem neuen Material jedoch keinen gravierenden Bruch zur eigenen Vergangenheit: Nur im vorauseilenden Hit Hold On will diese Stil-Weiterentwicklung weiterhin nicht so recht aufgehen, selbst wenn die erste Single von I See You im Kontext und kurzweiligen Gesamtfluss nun doch homogener funktioniert, als für sich stehend – ein gefühltermaßen seltsam zwischen klassisch-schmachtender Sim/Croft-Schönheit und übermotiviertem Smith-Sologang zerissenes Amalgam bleibt die Nummer dennoch. Ein Symbol für die Wachstumsschmerzen der Platte.
Deutlich stimmiger gedeihen die Ambitionen von The xx gleich allerdings im eröffnenden Dangerous, das mit seinem zwingenden und wuchtigen Rhythmus, Burial‚esken Beat und der assimilierten Trompeten-Puzzlestücken hartnäckig auf den Dancefloor schielt. Say Something Loving treibt regelrecht optimistisch lächelnd zu Do You Fell It? von den Alessi Brothers, Lips pumpt leise in die Arme von Just (After Song of Songs) von David Lang. Das wehmütig pochende Replica stampft so zärtlich schmeichelnd, das perkussive I Dare You taucht den Körper behutsam an: Gefühlskino, das keinen Umweg mehr zur Beinarbeit sucht.
Genügend Raum für zutiefst anmutige Gesten, romantische und nachdenklichen Szenen, bietet das atmosphärische I See You mittendrin freilich dennoch – und ficht vor allem in den ruhigen Momenten so manchen Kampf mit inneren Dämonen aus. Sim zieht sich im ätherisch die Augen auf der Tanzfläche schließenden A Violent Noise etwa aus dem Party-Lifestyle zurück („Now I go out/ But every beat is a violent noise„) um seine Alkoholsucht und den Trubel des Tourlebens hinter sich zu lassen, während Croft im unter die Haut gehenden Brave For You den frühen Tod ihrer Eltern wenig kryptisch verarbeitet: „So I will be brave for you/ Stand on a stage for you/ Do the things that I’m afraid to do/ I know you want me to„. Auch das verletzliche Performance schmiegt sich ganz an die Stimme und Zuversicht von Croft, lässt ihre unverkennbar traumwandelnde Unterwasser-Gitarre und glimmernde Streicheransätze dabei so zurückgenommen selektiv perlen, als könnte das ganze Gefüge jederzeit auseinanderbrechen.
Das passiert allerdings erst im finalen Test Me – einer kathartischen Innenansicht über die in den vergangenen Jahren zerrüttete Chemie innerhalb der Band, die mit Gospelflair, Piano, gedämpfter Fanfare und launigem instrumentalen Singsang den Gang in die hypnotische Epik antäuscht, dann aber doch elegant verglüht.
Letztendlich symptomatisch für eine Platte, der die Silhouetten seiner Protagonisten besser steht als das Spiegelbild des Hörers; einem Album, das öfter als The xx und Coexist auf individuelle Bereiche aller Beteiligten zu verweisen scheint und damit unterschwellig stets auch wie ein sorgsamer Kraftakt wirkt, mit dem sich ein auseinander zu driften drohendes Trio weiterhin in gegenseitiger Sichtweite zu bewegen versucht.
I See You gelingt dieser Spagat erstaunlich gut, auch wenn das Quasi-Comeback der Band dabei vielleicht nicht gänzlich die Sogwirkung entfaltet wie seine beiden Vorgänger, mit jedem Durchgang wachsend jedoch immer mehr Herz und Seele zu streicheln beginnt und somit das dritte Werk der Band in Folge darstellt, dass einen wohl lange Zeit begleiten wird: „Should it all fall down/ You’ll have been my favorite mistake/…/If this only ends in tears/Then I won’t say goodbye„.
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