The Vaccines – Combat Sports
Nach dem sich erfreulich ambitioniert zeigenden English Graffiti rudern The Vaccines auf Nummer Sicher gehend mit Ansage zurück zu Ihren Wurzeln. Aufgrund der daraus resultierenden Stafette an Hits kann man dem Viertwerk Combat Sports für diesen grundsätzlich ernüchternden Schritt aber überraschenderweise gar nicht böse sein.
Womit man nicht zwangsläufig rechnen musste. Immerhin deutete das mit einigen tollen Songs aber noch mehr Füllmaterial dümpelnde Come of Age doch an, dass in der Bresche, die die Londoner 2011 mit ihrem Debüt in die Herzen zahlreicher Freunde der gepflegten Indie-, Garagerock- und Postpunk-Revival-Kunst geschlagen hatten, bereits mit What Did You Expect from The Vaccines? alles essentielle gesagt worden sei. (Was eventuell auch Schlagzeuger Pete Robertson so sah: Er verließ die Vaccines 2016 vor den Aufnahmen zu Combat Sports – sein Ersatzmann Yoann Intonti legt sein Spiel übrigens eher simplizistisch, kraftvoll, präzise, zweckdienlich und eindimensional an, während der nun ebenfalls fix zum Bandgefüge gehörende Tourkeyboarder Timothy Lanham eher unaufdringlich ausschmückt).
Hinsichtlich der Relevanz mögen sich etwaige Befürchtungen zwar grundlegend tatsächlich erfüllen, doch fällt dies anhand von Combat Sports über verdammt kurzweilige 34 Minuten nur selten ins Gewicht. Weil die anachronistischen Eklektizisten Vaccines zwar einige neue stilistische Anhaltspunkte in den Raum werfen („like polished ’70s and ’80s rock: Big Star, Todd Rundgren, Guided by Voices“ meint: Die Pop-Erkenntnisse von English Graffiti übersetzt mit der Unbändigkeit des Debüts, besorgt von Produzent Ross Orten), jedoch in der Essenz bei ihren angestammten Leisten bleiben, sich dabei allerdings mit einem erfreulich revitalisierenden Plus an mitreißender Energie und motiviertem Tatendrang auf ihre Grundtugenden besinnen. Das rundum souveräne Songwriting der primär als Singles-Schleuder funktionierenden Band findet auf Combat Sports deswegen mit einem unkomplizierten Unterhaltungswert entlang der immens schmissigen Eingängigkeit samt smart-latentem Nostalgiefaktor zu einer nahezu atemlosen Abfolge an potenten Singles.
Hier geht es den Vaccines also im Gegensatz zu English Graffiti also nicht darum, sich neue kreative Gebiete zu erschließen, sondern der angestammten Komfortzone wieder mit einem immanenten Hunger zu begegnen – generische Tropen mit dem nötigen Biss in zwingende Hits umzumünzen.
Ein Ansatz die zum Gros effektiv aufgeht. Put It On a T-Shirt poltert mit schimmerndem Anstrich und groovt sich erst locker ein, scheint im Refrain aufzubrechen, bleibt aber eine wunderbar in sich ruhende Indierock-Grandezza mit stacksendem Rhythmus und gackernder Gitarre, die zum Singalomg stampft die Handbremse im richtigen Ausmaß als Steilvorlage betätigt. I Can‘t Quit mag als erste Single für sich genommen schließlich noch relativ farblos gewirkt haben, im Kontext funktioniert die furiose Arcade Fire-Reminiszenz aber umso besser, dreht irgendwann auf links und zieht mit einem gelösten Punkrock-Spirit nach vorne, während die Vaccines sich mit harmonischen Backinggesängen selbst Sprit geben. Das gesellige Your Love is My Favourite Band glänzt dafür in Synthpop-Patina: Mit reibendem Bass schiebt in die 80er, die Gitarren kennen Disco – die ähnlich veranlagten We Are Scientists würden mittlerweile für einen derartigen Song killen, auch wenn der Chorus sich ein bisschen zu freundlich schlängelt.
Weil das Spiel mit der Dynamik auf Combat Sports aber geschickt läuft, macht der energisch unter Strom stehenden Interpol-Postpunk von Surfing in the Sky ohnedies wieder ordentlich Druck und Geschwindigkeit. Die Saiteninstrumente hyperventilieren im Nachthimmel kreisend, das Schlagzeug pulsiert und hämmert. The Vaccines servieren einen ihrer typisch angriffslustigen Sprinter, der verdaulich genug für das Formatradio ist, bevor Young American die sauber aufgeteilte erste Plattehälfte stimmungsvoll beschließt: Der durchatmende Ruhepol gibt sich zurückgenommen träumend, bleibt in seiner Anmut aber mit wenig Gewicht zu unverbindlich, um mehr als ein gefühlvolles Intermezzo zu sein.
Dennoch läuft noch nicht einmal das Füllmaterial auf Combat Sports tatsächlich Gefahr, etwaige Ausfälle zu provozieren. Maybe (Luck of the Draw) perlt wie eine Janglepop-Adaption entlang subtile-retrofuturistischer Syntharrangements, ist so catchy wie harmlos und gefällig. Die rahmende Bridge um den finalen Chorus lehnt sich an Angles an, doch der Refrain hat sich zu diesem Zeitpunkt trotzdem schon merklich über Gebühr repetiert. Take it Easy hat dann zwar Charisma, nähert sich jedoch zu beliebig einem 80er-Fernsehgarten an, während die relativ uninspirierte Fingerübung Someone to Lose außerhalb des Plattengefüges keinerlei Eindruck erzeugen kann, und das abschließende Rolling Stones sicherlich eine wohlüberlegte Klasse besitzt, aber sein hymnisches Potential nicht befriedigend abschöpft.
Für jeden schwächeren Augenblick der Platte gibt es aber ohnedies Szenen wie das ungestüme Nightclub (das sich betont giftig aufbäumt und nach vorne gehend im pochenden Refrain extatitisch eskaliert) oder Out on the Streets, das den Punk gibt, sich dem Falsett öffnet und damit fast schon wie ein gemischtgeschlechtliches Duett von Justin Young mit sich selbst klingt, erst kaum liebenswerter sein könnte und plötzlich doch wieder ordentlich kurbelt – Songs wie dieser gehören sogar zum mitunter besten, was den Vaccines bisher gelungen ist.
Auch derartige Highlights machen Combat Sports freilich zu keinem Klassiker des Genres, nicht der stärksten Platte der Band. Müssen sie aber auch nicht, Album Nummer vier liefert stattdessen als routinierter Soundtrack für einige enorm vergnügliche Stunden geschlossen ab. The Vaccines sind eben schlau genug, ihre Basis anhand der zuverlässigen Erfüllung der prolongierten (und sich ansonsten nur zu oft als haltlose PR-Ankündigung erweisende) Back to the Roots-Platte windschnittig zu bedienen, den Schritt zurück dabei aber nicht als Stillstand zu begreifen.
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