The Strokes – The New Abnormal

von am 16. April 2020 in Album

The Strokes – The New Abnormal

Die Geschichte der Strokes war ja immer schon eine der Dualität des Gestern und Morgen – seit sich die New Yorker vor knapp zwei Jahrzehnten derart prägend bei Vergangenem bedienten, um plötzlich als Zukunft des Rock gepriesen zu werden. Von dieser Prognose mag 2020 vielleicht wenig übrig sein, doch war der zeitliche Kontrast, in dem die Band operiert, lange nicht mehr derart eklatant spürbar wie auf The New Abnormal.

Immerhin hat das Quintett für das sechste Studioalbum seinen unverkennbaren Indie-Sound im Kern behalten, fächert das Spektrum darüber aber neu schattiert mit mehr Retro-Synthies aus: Die Strokes habe eine Platte aufgenommen, die ebenso als Vintage-Soundtrack für Raumstationen, wie als Dokumentation einer alternativen Science Fiction-Realität der 80er herhalten könnte. Dass The New Abnormal dabei einen womöglich den Nerv der Zeit ideal treffenden Titel trägt, ist irgendwo wohl ebenso Ironie des Schicksals, wie die Tatsache, dass ausgerechnet Rick Rubin am Produzentenstuhl hier offenbar doch noch seine Rolle als festgefahrener Loudness-Fanatiker ablegen kann – und vielleicht sogar mehr als das.
Immerhin klingen die Strokes auf den versammelten neun Songs ästhetisch auf einer Linie wie lange nicht. Doch schätzungsweise war es nicht Rubins einziger Verdienst, die Band wieder näher zusammenzubringen und das Gefüge mit den Ambitionen von Leithammel Julian Casablancas auszusöhnen. Die demonstrativ im Mix belassenen Studiogespäche könnten ebenso darauf hindeuten, wie die freundliche Aufforderung des Frontmannes in Ode to the Mets an den Schlagzeuger: „Drums please Fab“.

Mit der passenden Kommunikation untereinander untereinander ist der Schritt in den puren Retrofuturismus in dieser Konsequenz zwar vielleicht ein immer noch überraschender. Tatsächlich war er insofern ein absehbarer, lange hinausgezögerter, da die Neonfarben von Room on Fire und spätere Leitlinien wie Ask Me Anything oder 80’s Comedown Machine ihn gewisserweise beständig über Facetten in der Diskografie vorbereiteten.
The New Abnormal hätte den Strokes in dieser Form vor 2003 dennoch nicht passieren können – dafür haben sich die Arbeiten mit den Voidz und gerade die balladeskeren Gehversuche der Mitglieder nun zu markant niedergeschlagen.
Wo der Blick in die hauseigene Vergangenheit der Gruppe immer auch ein wenig verklärend und mystisch behaftet bleibt, hat sich jener der Strokes selbst in die eigene Zukunft auf der starken Future Present Past-Ep nur bedingt als prophetisch erwiesen, wurde die nun formvollendete Richtung doch höchstens teilweise vorweggenommen, indem hier über 45 Minuten doch deutlich mehr passiert, als eine reine Symbiose mit dem Postpunk.

Was so ja bereits nach der ersten Vorabsingle At the Door klar gewesen sein dürfte. Wo das auf sich alleine gestellte Ungetüm als Versuchsanordnung noch veritabel zu langweilen wusste, bleibt es auch im Kontext der Platte zumindest ein seltsam um sich selbst kreisendes Rätsel; ein mit Keyboard-Chören wachsenden Möbiusband, das wie eine Insel im Albumfluß existiert, indem es ein Kaleidoskop der Orientierungslosigkeit darstellt.
Die Strokes träumen sich auf ein schimmerndes Plateau, doch wohin dieses körperlos-mäandernde Gebilde darüber hinaus will, weiß wohl selbst die Band nicht, wenn ein pumpender Beat unter das schlagzeuglose Geschehen brät, die Gitarren wie aus Tasten bestehend dröhnen, Vocoder und Twin Peaks-Keyboarde Hand in Hand gehen – nirgendwohin. Irgendwie ist das faszinierend und mehr noch frustrierend, doch man gönnt der Band im Gefüge ein derartiges Zwischenspiel. Denn auch wenn das beste an At the Door sicher seine herrlich irritierende Wahl als kaum representative Leadsingle ist, kann sich die Band einen solchen Mindfuck leisten, weil sie zwar davor und danach auch keine Lust auf eindeutige Hits hat, aber selbst bei einem erst so verhaltenen auftretenden Grower wie The New Abnormal letztendlich nicht anders kann, als hintergründige Ohrwürmer mit Suchtpotenzial zu schreiben.

The Adults Are Talking stellt sich mit einem eilig laufenden, enorm konzentriert und stromlinienförmig gespielten Drumbeat samt schnipsender Hi-Hat vor, als käme er aus der hibbeligen Kraut-Steckdose, bringt aber die gängelnden Trademark-Gitarren pointiert auf Kurs, erwehrt sich dagegen, in seiner Monotonie zu ermüden. Tatsächlich entwickelt der Opener einen extrem dynamisch nach vorne ziehenden Drive, lässt kaum stillsitzen. Casablancas singt behutsam und vorsichtig, stürzt sich nicht ins Geschehen, sondern beäugt es, murmelt, bevor er im Falsett wie ein postmoderner Falco – oder urbanerer Bilderbuch-Frontmann – zu skandieren beginnt.
Das an sich unaufgeregte Eternal Summer vertieft diese Assoziation später sogar noch, mit gackernden Gitarren und anfeuernden Rufen aus dem Off über dichte Synthies stacksend, da Casablancas mit Kopfstimme seinen inneren Prince auspackt, nur um im Chorus alles bis auf ein entschlacktes Funk-Grundgerüst aus dem kosmischen Raum zu werfen und mit ungefilterter Rohheit zu Werke zu gehen: „I can’t believe it/ This is the eleventh hour/ Psychedelic/ Life is such a funny journey“.
Worauf sich hier übrigens vom kleinen auf das große Ganze schließen lässt: Für sich genommen ist die Nummer wenig spektakulär, zu sehr in sich ruhend – im Umfeld von The New Abnormal aber eine tolle Standpunktverortung der Evolution, und das nicht erst, wenn sich die Band dystopisch in das Epische aufzulehnen versucht.

Selfless agiert mit unbekümmerter Nostalgie und verzahnten Gitarren wie eine kontemplative Erinnerung an frühe Karrierephasen der Band, zu der Casablancas gedankenverloren fistelt. Brooklyn Bridge to Chorus (was für ein Titel schon wieder!) fiept im Rahmen wie die Perspektive aus einem Fenster des Room on Fire auf die Itala-Disco mit Vokuhila, aber ohne Verlangen, sich für diesen Geschmack zu rechtfertigen, biegt für den Refrain zudem ohnedies von der Stroboskop-Tanzfläche zu einem hymnisch die Einsamkeit feiernden Killer-Refrain ab.
Das schmissige Bad Decicions könnte so auch von einem Wave-Appendix von First Impressions of Earth stammen, wenn dieser Tantiemen an Billy Idol abliefert, spielt jedenfalls alle Stärken der Band mit einer abgeklärten Reife aus, wirft seine Haltung niemals der Überschwänglichkeit vor.
Tatsächlich zeigt sich spätestens hier, dass The New Abnormal sich höchstens den Vorwurf gefallen lassen muss, auf emotionaler Ebene niemals derart zwingend zu packen, niemals eine solche bedingungslose Euphorie zu entfachen, wie das die besten Momente der Band eigentlich bisher immer konnten. Eine gewisse Distanz passt aber durchaus zum Wesen der Nummer und einer  gesamten Platte, die nach und nach ein immer größeres Suchtpotential zeigt. Weswegen das die Leinen lösende Finale auch kein Exzess ist, sondern eine kontrollierte Extase.

Folgerichtig mag Why Are Sundays so Depressing auch erst ein relativ konventioneller Vertreter sein, der aber jederzeit in eine eine Welt aus Schaltkreisen abtauchen kann, in der Hall und Halluzination wabern. Die Energie wird von den Strokes stets intrinsisch anlegt, will niemals ausbrechen. „Not getting angry, staying, staying hungry“ meint deswegen auch nicht den angriffslustigen Reißwolf, sondern das geduldigen Gelage.
Überragend dann die letzten Meter: Not the Same Anymore plätschert elegant schweifend aus dem Tranquility Base Hotel + Casino – fast würde man erwarten, dass Casablancas mit „I just wanted be one of the Artic Monkeys“ den Bogen zu Star Treatment schließt. Stattdessen taucht die melancholische Nummer zu einem Refrain, der klassischer kaum sein könnte, die Zügel gar beschwörend enger zieht und sich vor dem entspannt ausklingenden Abgang verdichtet.
Ode to the Mets täuscht darauf einen veritablen Computerspiel-Score an, entscheidet sich aber doch für oszillierenden Gitarren, eine weiche, geradezu folkig-flötierende Synthielinie und treibt entspannt durch sein eigenes romantisches Märchen, aus dem die Strokes wirklich immer mehr in ein betörendes Sternenmeer aufsteigen, das in einem eigenen Raum-Zeit-Ermessen existiert. Das passt. Denn wohin die Reise für die fünf Wieder-Freunde ab diesem Zeitpunkt in Zukunft führen wird, bleibt offen – ebenso, ob ein Blick zurück Andeutungen auf die weitere Evolution geben könnte. Dass der frisch geschiedene Casablancas The New Abnormal ungeachtet dessen als sein viertliebste Album bezeichnet, an den er beteiligt war, macht aber womöglich bereits jetzt Sinn.

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