The Smile – Cutouts
Da werden Erinnerungen an Kid A und Amnesiac wach. Denn dem Titel zum Trotz erklärt Jonny Greenwood zu Cutouts: „There’s certainly no sense that these are leftovers – it’s just another record„.
Zwar ist das Material des zweiten und dritten Langspielers von The Smile mehr oder minder in den selben Sessions mit Produzent Sam Petts-Davies entstanden. Doch serviert die Band bei den nun auf Cutouts zusammengefassten Songs aber nicht solche, die beim Zusammenstellen von Wall of Eyes im Schneideraum der Qualitätskontrolle zum Opfer fielen, sondern einfach jene, die nicht schnell genug fertig wurden, um mit der Schippe im Jänner 2024 erscheinen zu können. Und genau diese relative Wendigkeit und Spontanität im Veröffentlichen ist ja eine der elementaren Triebfedern der Radiohead-Splittergruppe: „We learned to work fast. Radiohead is undoubtedly a great band, but working as a trio is faster; it feels like a lighter beast, able to move faster“ sagt Greenwood und unterstreicht noch einmal: „Those two records together are actually one unit. Cutouts simply contains the songs we finished a little later, even though some of them were quite old.“
Tatsächlich sieht es nun so aus, dass Cutouts qualitativ locker mit seinen beiden Vorgängerwerke mithalten kann – es hat mehr noch sogar ein paar der besten The Smile-Songs bisher in petto. Allerdings ist es auch weniger konsistent und hat den einen oder anderen Kandidaten an Bord, der abseits des Album-Kontextes angesichts des mitunter zerfahrenen Sequencings separat veröffentlicht dem großen Ganzen besser gedient hätte. Gemeint ist dabei natürlich vor allem die experimentelle Club-Annäherung Do’t Get Me Started, die sich zwar auch in ihrer Studio-Form längst zu einem Liebling gemausert hat, dem Spannungsbogen und Fluss von Cutouts aber merklich im Weg steht.
Und während man freilich darüber diskutieren kann, ob letztendlich ein Mutterschiff-Album samt dazugehörigen B-Seiten-EP-Trabanten die bessere Wahl gewesen wäre, ist es ja auch kein schlechter Deal zwei grundlegend herausragende Alben mit minimalen Schönheitsfehlern bekommen zu haben. Zumal ja in Zeiten wie diesen nichts leichter ist, als sich, wie schon beim 2022er-Glanzstück A Light for Attracting Attention, individuelle Veränderungen in der Tracklist vorzunehmen und sich nun aus der Gesamtmasse der Songs einen großen und einen kleinen Albumbruder zusammenzustellen.
Ohne Ausfall bündelt Cutouts mit stärker wahrnehmbaren Amplituden nach oben und unten allerdings auch so ein stimmiges Sammelsurium aus veritablen Über-Songs und tollen Ergänzungen des The Smile-Universum.
Foreign Spies will dabei als psychedelisch entrückte Suspiria-Ballade nicht zu einladend wirken, lässt seine synthetisch modulierte Zeitlupe bedächtig pluckern und gewährt traumwandelnd den latent behäbigen Einstieg, bevor Instant Psalm als sanfter Folk orchestral bezaubernd umso schöner und heimeliger erblüht. Tom Skinner stolpert elegant und Greenwood gleitet in seiner neuen Liebe für Nylonsaiten klar über das Griffbrett, die Band schleicht zu Score-Arrangements, die jeden Film erheben würden. Das hyperaktive Gitarrenspiel in Zero Sum geht dagegen im Windschatten von Thin Thing mittlerweile als The Smile-Trademark durch, während das Trio hibbelig tänzelnd samt bräsigen Bläsern Windows 95 vor dem zappelnden inneren Auge hat.
Das Kleinod Tiptoe zieht sich am melancholischen Klavier vor Streichern und Field Recordings so weit zurück, als würde Thom Yorke vor einem sinfonisch abwartenden Soundtrack gedankenverloren klimpern und sinnieren, Tom und Jonny holen aus der subkutan wummernden Downbeat-Elektronik von The Slip dagegen einen postpunkigen Funk heraus. Der retrofuturistisch schimmernde Math von No Words sieht dagegen in einer Reihe mit Jigsaw Falling Into Place steht, hier aber entschlackter angelegt nicht der Knopf aufgeht, während das unaufgeregt schippernde Bodies Laughing im Grunde eine auf Halbschlaf entschleunigte Adaption von Knives Out darstellt, deren stille Acoustic-Tragik dank sorgsamer Backing Vocals und Synths eine umwerfend subtile Schönheit verliehen bekommt.
Am überragendsten gerät jedoch das jazzige Doppel aus Colours Fly (dessen orientalisches Halluzinogen von der Klarinette Robert Stillmanns zu einer cinematographischen Klimax der Extraklasse begleitet wird, elaboriert und episch) sowie dem genialen Highlight Eyes & Mouth, wo eine seit 2016 während einer Liveperformance von Talk Show Host geborene Gitarrenlinie zum polyrhythmischen Monstergroove von Skinner vogelfrei dem entspannten Lounge-Piano vorneweg läuft, superbe Backingchor-Ansätze die Atmosphäre immer majestätischer verdichten, und The Smile eine Existenzberechtigung jenseits der freilich immer noch legitimen Radiohead-Vergleiche mit unbändiger Spielfreude und unverkennbar eigener Identität wohl so eindrucksvoll wie nie zuvor auf ein Podest heben.
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