The Smashing Pumpkins, Interpol [24.06.2024: Stadthalle, Wien]

von am 26. Juni 2024 in Featured, Reviews

The Smashing Pumpkins, Interpol [24.06.2024: Stadthalle, Wien]

Totgesagte leben länger, oder The World is a Vampire Tour 2024: The Smashing Pumpkins gastieren mit Interpol als Vorband in der Wiener Stadthalle, um trotz der ärgerlich späten Beginnzeit des Gigs für praktisch ausnahmslos zufriedene Gesichter im zahlreich gekommenen Publikum zu sorgen.

Es herrschte im Vorfeld durchaus Skepsis, ob die Smashing Pumpkins im Jahr 2024 – also mit einer Schippe an mediokren Alben als drögen Rückenwind, die im unausgegorenen ATUM ihre bisweilen geschmacklose Krönung fanden – eine Location dieser Größenordnung füllen würden können, ganz ungeachtet eines veritablen Supportacts.
Zumal die Tour dann etwa in Mönchengladbach (wohlgemerkt zeitgleich zum Spiel von Deutschland gegen Ungarn) tatsächlich ein bestenfalls überschaubares Zuschauerinteresse erfuhr, obgleich Ticketpreise sogar bereits nach unten geschraubt worden waren, um das Interesse anzukurbeln. Selbst für Wien waren am Tag der Show noch problemlos Karten in allen Kategorien verfügbar. Und vielleicht war es auch einfach nicht der marktwirtschaftlich schlaueste Schachzug, dass Corgan selbst nicht müde wurde, pseudoironische Statements und klare Ansagen („I don’t play any songs I don’t want to play. I don’t care if they’re classic or not!“) dahingehend abszusondern, dass man bei der World is a Vampire Tour 2024 mit keiner Greatest Hits-Nostalgie-Stafette rechnen müsse.

Nun, eine Greatest Hits-Schleuder ist der Abend dann zumindest im Ansatz dennoch geworden, und ausverkauft wurde die Stadthalle sicherlich nicht. Aber gut gefüllt: die hinteren Ränge sind abgedeckt, die Seiten ordentlich besetzt und der Front of Stage-Bereich dichter stehend, als das etwa bei Placebo der Fall war….bis sich die Halle gegen 23.00 Uhr merklich immer weiter zu leeren beginnt.
Warum der Wien-Stopp an einem Wochentag erst um 21.30 startete, obwohl durch die vorangegangen Shows der Tour ja klar war, dass die Pumpkins rund zwei Stunden spielen würden, ist (selbst bei ausgiebigen Einkaufstouren) nicht nachvollziehbar, einfach nur unnötig und ja, wirklich idiotisch. Wehe dem, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln abreisen wollte und dennoch nicht auf die abschließenden Evergreens Cherub Rock und Zero verzichten wollte!

Smashing Pumpkins 1

Dass Interpol eine ganze Stunde Spielzeit zugestanden bekommen, ist davor übrigens dennoch erfreulich – hier gibt es nichts an Zeit einzusparen, zumal es mit Into the Night (bezeichnenderweise der alleinige Vertreter der aktuellen Platte The Other Side of Make-Believe) nur einen einzigen Ausfall in der alle Bandphasen abdeckenden Setlist gibt. Denn mögen Interpol – mit einem stimmlich gelegentlich etwas dünnen, dafür aber Sonnenbrillen tragenden Paul Banks sowie einer fulminant den Sound dominierenden Tour-Rhythmussektion – in diesem Setting und Rahmen ihre düsteren Stärken auch nicht vollends auf den Punkt bringen können, ihre Danksagungen pflichtbewusst herunterleiern und ein bisschen so wirken, als hätten sie nur bedingt Bock und Bezug zu und auf den Abend bzw. die ihnen zugedachte Rolle als halber Co-Headliner, passt all dies irgendwie zur unnahbaren Aura der Band samt latentem Distanzgefühl.
Während die Schlangen vor der Stadthalle um 20.00 Uhr jedenfalls noch den Eingängen entgegenschleichen variiert die Band ihr Programm, hängt Hit an Lieblingssong oder solides Standardprogramm, und begeistert vor allem in jenen Momenten, die den überragenden ersten drei Studioalben entstammen.

Interpol 1

Setlist:
C’mere
Narc
Say Hello to the Angels
My Desire
Obstacle 1
NYC
Into the Night
Evil
The Rover
Pioneer to the Falls
All the Rage Back Home
No I in Threesome
Roland
Slow Hands

Ähnliches gilt natürlich auch für die Show der Smashing Pumpkins, bei der die tausendmal gespielten Klassiker die euphorischsten Reaktionen im Publikum hervorrufen – gipfelnd im die Tour betitelnden Bullet With Butterfly Wings, bei dem die weitestgehend statisch verharrende Menge beinahe ausgelassen Stimmung macht. Ein 1979 kann beispielsweise gefahrlos etwas müde daherkommen, doch zünden derart zeitlose Songs eben ohne Nostalgie-Sehnsucht – welchen Stellenwert Nummern wie Tonight, Tonight für die nicht unbedingt junge Zuschauerschaft hat, ist beinahe andächtig spürbar.
Der fetzige Einstieg kommt mit der Salve aus (einem sich druckvoll selbst überholenden, in der Bridge zu hastig agierenden) Everlasting Gaze, Doomsday Clock und Today diesbezüglich einer Ansage gleich, das dazwischen platziere U2-Cover Zoo Station  gerät mit Rampenlicht für Jimmy und James ebenfalls ziemlich fantastisch, bevor Thru the Eyes of Ruby atmosphärisch dicht in nautische Tiefen abtaucht und einmal mehr daran erinnert, was für eine Ausnahme-Macht Chamberlin immer noch ist. Wofür drei Gitarren gebraucht werden, bleibt hingegen auch (mit Jeff Schroeder-Ersatz Kiki Wong) ein Rätsel, zumal sich die Saiten abseits des Basses von Jack Bates im mächtig rumorenden Sound der Stadthalle ohnedies nicht auseinanderdividieren lassen. Gleiches gilt für Backingstimme Katie Cole, deren Begleitgesang im edlen Medieval-Look erst ab dem Fokus in Springtime individuell gemischt wird, derweil ihr sporadisches Acoustic-Spiel (wie in Tonight, Tonight für das Kiki nicht auf der Bühne benötigt wird) noch weniger Eindruck hinterlässt.

Auch wenn sich unter all den nun aufgefahrenen Songs, die nicht vor spätestens 2007 entstanden sind, keines ein essentielles Highlight des Abends darstellt (um es mal euphemistisch auszudrücken) hat Corgan die Auswahl der Stücke doch solide getroffen. ATUM ist nach dem theatralisch Esoterik-Kitsch seines vom Band kommenden Titelstück-Intros durch die überzeugenden Empires, Springtimes und vor allem Spellbinding (mit Synth vom Band und nochmal stärker hängen bleibendem Ohrwurm-Chorus) sowie dem unnötigen Doppel Beguiled und That Which Animates the Spirit mit seinen überzeugenderen, weil rockigeren Vertretern ausgewogen zugegen.
Und daher Corgan sich sonst mit dem Zeitgeist-Outtake Gossamer (das im Verbund mit Jellybelly zur herrlich elaborierten Jam-Extase aufbricht) und Birch Grove von CYR (zu dem Billy wie Nosferatu über die Bühne schleicht, ohne das in Zeiten von Chips-Orgien, Disney-Ausflügen und Wrestling-Konzentrationen eher schrullig denn depressiv Bild seiner Person in der Öffentlichkeit zurechtzurücken) auf wenig anderes Post-Réunion-Material beschränkt, kann man ihm diese Form der angekündigten „Verweigerungshaltung“ durchaus zugestehen. Auch wenn subjektiv natürlich unzählige Klassiker der Bandgeschichte „fehlen“, für die man jedweden aktuelleren Kram gerne tauschen hätte dürfen.

Am wichtigsten aber: nicht nur im lautstark vom Publikum mitgesungenen Ava Adore (als leider einzigen Vertreter des 1998er Meisterwerks), Disarm oder dem groß aufzeigenden Gitarrendialog Mayonaise entsteht der Eindruck, dass die Stimmung im Smashing Pumpkins-Lager einfach gut ist. Das Kern-Trio scheint seinen Spaß an der Musik und den Mit-Musikern wiedergefunden zu haben. Immer wieder eilt ein Grinsen zwischen den Gitarristen umher oder James und Billy versuchen sich ungelenk an lustigen Ansagen – etwa, wenn der Einstieg in Rhinoceros zum Amüsement aller Beteiligten in einer sonst in jeglicher Hinsicht perfekt durchgeplanten Show erst misslingt, dann aber als somnambule Ätherik-Schönheit umso eindringlicher strahlt.
Ob es Corgan damit letztendlich gelungen ist, seine Band erfolgreich gegen die Wahrnehmung als Nostalgie-Act aufzulehnen, darf an diesem Abend zwar bezweifelt werden – es spielt aber eigentlich auch keine Rolle: man blickt rundum eigentlich ausnahmslos in wirklich zufrieden wirkende Gesichter.

Setlist:
The Everlasting Gaze
Doomsday Clock
Zoo Station
Today
Thru the Eyes of Ruby
Spellbinding
Tonight, Tonight
That Which Animates the Spirit
Ava Adore
Disarm
Springtimes
Mayonaise
Bullet With Butterfly Wings
Empires
Beguiled
1979
Birch Grove
Rhinoceros
Jellybelly
Gossamer
Cherub Rock
Zero

Interpol 2

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