The Number Twelve Looks Like You – Wild Gods
Zehn Jahre nach Worse than Alone setzt die wiedervereinigte Nischensensation The Number Twelve Looks Like You zum neuerlichen Weirdo-Mindfuck an: Wild Gods ist ein grotesker Amoklauf durch das meisterliche Mathcore-Kuriositätenkabinett – samt erfrischend herausgestellter Jazz-Schlagseite.
Dass das Comebackalbum der seit 2016 wieder aktiven Band aus Bergen County (zumindest dem damaligen Euphorietaumel der zuständigen PR-Agentur folgend) eigentlich bereits nach dem Supportjob für die Abschiedsrunde von The Dillinger Escape Plan vor rund zwei Jahren erscheinen hätte sollen, erscheint 40 Minuten später beinahe irrelevant. Immerhin fühlt sich das fünfte Studioalbum von The Number Twelve Looks Like You einerseits ohnedies wie ein latent nostalgisch geprägter Trip in die (aktuell ja von Bands wie SeeYouSpaceCowboy adäquat aufgewärmten) frühen 2000er, die zeitlose Vergangenheit und auch die eigene musikalische Sozialisation an; und andererseits rechtfertig der zelebrierte Tumult auf Wild Gods ein wenig zusätzliche Wartezeit mit seiner geradezu schwindelerregenden Progressivität ansatzlos: Was auf dieser Platte im konzeptuellen Sperrfeuer aus überdrehtem Mathcore, unberechenbarem Screamo und deliriantem Fusions-Keller so alles passiert, ist doch nichts anderes als ziemlich irre. Und damit alle gehegten Erwartungshaltungen erfüllend.
Wild Gods ist ein so vertracktes wir wieselflinkes Monstrum aus gefrickelten Gitarren (eine Bank: Alexis Pareja), unzähligen Rhythmuswechsel und unorthodoxen Time Signaturen (der in große Fußstapfen treten müssende Michael Kadnar verrichtet technisch bisweilen virtuose Arbeit), herrlich latinogroovenden Magenwandbässen (neu am markanten Tieftöner: DJ Skully) sowie den tausend Stimmen des Jesse Korman geworden, der von klassischen Genre-Screams über brutale Growls und kehliges Gebrüll mühelos zu unwirklich in das Geschehen gemischte Klargesang-Parts wechselt, die sich wie in atmosphärischer Trance über das Geschehen legen und zu den Highlights der bedürftnisbefriedigenden Platte zählen.
Etwa wenn das herausragend starke Ease My Siamese den Melodien mehr Freiheiten einräumt und dabei beinahe erhebenden Shoegaze kontrastiert, die Zugänglichkeit zwar durch einen unbeständigen Untergrund dekonstruiert, hinter all dem Tumult aber potentiell tatsächlich eine veritable Emocore-Hymne versteckt, die sich irgendwann kurzerhand in den rauchverhangenen Ambient dösend auflöst; Oder wenn die eine Spur zu abrupt beendete Salsa-Party Tombo’s Wound zu einem wüsten Husarenritt wird, der seine versöhnlicher schwelgenden Ausläufer so verdammt einnehmend in die Auslage stellt.
Das passiert so chaotisch und komplex, manisch und doch kontrolliert, progressiv und verstörend. Die neue Besetzung findet direkten Anschluss an die erste Bandphase (mehr noch: ihr gelingt vielleicht sogar über weite Strecken die Platte, die der vorübergehende Schwanengesang Worse than Alone nicht werden konnte) und übersetzt den typischen Number Twelve-Sound doch adäquat in eine neue Dekade, wirkt ambitioniert wie immer, aber kompositorisch reifer und gefestigter. Die Balance zwischen all den stilistisch ambivalenten Parts ist stimmiger als bisher. Selbst vermeintlich generische Genre-Elemente bekommen durch das charakterstarke Spiel des Quartetts eine individuelle Färbung. Über die dadurch befeuerte Dynamik randaliert Wild Gods permanent hungrig und ambitioniert auf die nächste Wendung und mehr Exzess, dabei aber selten überhastet oder (allzu) forciert agierend, lässt seine so variablen Facetten nicht zum bloßen Gimmick verkommen und macht mit rauchendem Kopf einfach unfassbar viel Bock.
Dennoch muß man der Platte vorwerfen, dass sie letztendlich nicht alle Hirnfick-Twists zustande bekommt, ohne dabei auch wirklich jeden gefühlten Funken Willkür eliminieren zu können. Doch gehört der Mindfuck auch dezitiert zum System, manche Red Hering-Momente sind schlichtweg essentiell: Gleich Gallery of Thrills als neues Trademark-Aushängeschild probt als Paradebeispiel eingangs den jazzigen Jam aus dem Nebenzimmer, fiebrig und in somnabutaler Entschleunigung, platzt plötzlich mit fettem Riff, fiesen Growls und unwirklichen Harmonien los, findet für ein Zwischenspiel zurück, zirkuliert aufwühlend – und tickt auf die letzten Sekunden so tektonisch planierend aus, nur um den sofortigen Cut zu erzwingen. Klassisch!
Auch durch derartige Brüche tritt Wild Gods zudem eher als eine inhomogen-kohärente Songsammlung auf, denn als ein rundes Album. Hier und da wird der abstrakte Fluß sogar mutwillig gegen ein kuratiertes Schaukasten-Stückwerk getauscht. Sword Swallower ist als Melange am Cinemascope-Dreampop mit seine Harmoniegesängen nur eine durchatmende Skizze zur Mitte. Interspecies bestimmt mit Xylophon und 80er-Synthies dagegen, dass der Kontext auf die letzten Meter einen Orchesterpart mit aufgewühlten Streichern und torkelnden Bläsern braucht.
Das instrumentale Interlude ist einer dieser WTF-Momente, symptomatisch jedoch auch im positiven: Kein Element der Platte kommt nur einmal oder wahllos-sporadisch vor und wird als reiner Showeffekt eingesetzt – bereits die irritierend platzierte Vorabsingle Ruin the Smile eröffnet schließlich mit gutturalem Streicherbombast, während sich die Hook der Nummer mitten im Reißwolf längst zum Ohrwurm entwickelt hat, bevor sie ein psychedelisches Gemetzel findet.
Das Songwriting komprimiert auch anderswo in einem Song mehr Ideen als anderswo fünf Stücke aus der vorhandenen Substanz entstehen. Die Produktion ist zudem fantastisch – trifft hart und präzise auf den Punkt, öffnet die Dichte seiner Texturen aber immer wieder einer transparenteren Ebene, lässt mit jedem Durchgang Details zum entdecken – und entwickelt auf diesen nicht makellosen Tugenden einen herrlichen Clusterfuck-Monolithen und süchtig machenden Grower voller spektakulärer Szenen.
Last Laughter bolzt alle Core-Grenzen zwischen Death und Grind dämonisch besessen mit Kerosin nieder, die Drums und Gitarren überholen sich gegenseitig, bis hypnotische Melodienbögen, Hardrocksoli und nackenbrechende Breakdowns sich im Pit begegnen. Raised and Erased ist komplett neben der Spur dahingeschleppter Noisedoom, der erst Greg Puciato und dann Ethan Lee McCarthy gefallen wird; ein ADHS-Synapsentanz, dessen Refrain in der Lounge flaniert, sich wie Fall of Troy schwerelosen Metal mitsamt seiner Orgel dem Zirkus anschließt.
Of Fear klampft dagegen durch die Welt von Gustavo Santaolalla, schickt ein hyperventilierendes Riff um Emo-Punk-Spuren zu einem in Transzendenz aufgelösten Finale mit Eva Spence von Rolo Tomassi. Und Rise Up Mountain reißt das Ruder von der Nachdenklichkeit zur giftigen Achterbahnfahrt, drangsaliert mit zündenden Hooks und wahnsinnigen Tempiwechseln. Die Abfahrt auf die letzten Meter ist bestialisch – und entlässt so unvorbereitet, dass man sich praktisch nicht an der forcierten Orientierungslosigkeit satt hören kann.
Welche unauffüllbare Lücke The Number Twelve Looks Like You mit ihrem Ableben seinerzeit eigentlich überhaupt hinterlassen haben, wird einem erst nach diesem finalen der 10 neuen Songs an der Schnittstelle zwischen Vergangenheitsbewältigung und explosivem Momentum restlos bewusst. Weswegen es auch absurd scheinen mag, wie mühelos Wild Gods das knappe Jahrzehnt (an passiver wie aktiver) Wartezeit aufzuwiegen versteht; wie selbstverständlich The Number Twelve Looks Like You hiermit jeden Szenetrend hinter sich gelassen und dennoch wieder ihren Platz als (über)fordernde und (über) entlohnend eNischensensation einnehmen. Willkommen zurück!
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