The National – Sleep Well Beast

von am 13. September 2017 in Album

The National – Sleep Well Beast

The National wollen sich diesmal nur selten mit der gemütlichen Ergebnisverwaltung begnügen, die sie über die sechs Studioalben kultiviert haben, und brechen ihren Sound auf Sleep Well Beast deswegen auf – mal subtiler, mal knackiger. Das führt für die Ausnahmeband zum unentschlossensten Gesamtwerk seit langer Zeit, allerdings eben auch zu einer mutigen, wohl auch nötigen Frischzellenkur.

Trouble Will Find Me war 2013 wahlweise der (angesichts der bereits so lupenreinen Vorgängerplatten Alligator und Boxer muss man ja sagen – abermalige) Zenit im Schaffen der Band um die Gebrüder Dessner und Devendorf sowie Matt Berninger – oder eben nur das konsenstaugliche Zurücklehnen in eine gewisse Komfortzone; eine berechenbare Perfektion, die sich The National über eine ausfallfreie Veröffentlichungsreihe wahrlich verdient hatten.
So oder so war allerdings ersichtlich, dass das Quintett aus Ohio an einem Punkt seiner Discografie angekommen war, der zukünftig nach neuen Perspektiven verlangen würde, um The National nicht an einem so mutmaßlich qualitätsstabilen wie eventuell überraschungsarm-formelhaften Fließband arbeiten zu lassen. Eine Falle, die The National nicht nur mit zahlreichen Nebenprojekten (von Pfarmers und LNZDRF über El Vy sowie dem so sehr prägenden Planetarium-Ausflug mit Sufjan Stevens, bis hin zu [amazon_link id=“B01JGW07FU“ target=“_blank“ ]Gastspielen mit Bob Weir[/amazon_link] und dazu passendem Grateful Dead-Tribut) sowie der längsten Zeitspanne zwischen zwei Studioalben vorbeugten, sondern auch mit einem daraus resultierenden „Anything Goes„-Spirit, der Sleep Well Beast nun immer wieder aus alten Rastern und Gewohnheiten ausbrechen lässt, indem die Amerikaner neue Ansätze und Elemente in den gängigen MO ihrer Band assimilieren.

Zwar existieren auch weiterhin diese sich gänzlich absichernde Songs auf Sleep Well Beast, die quasi nebenbei aufzeigen, wozu The National selbst auf Autopilot fähig sind: Etwa das flott nach vorne getriebene, pragmatisch an zweiter Stelle agierende Day I Die als effektive Bank, die keinen Hehl aus ihren Hitqualitäten und der wachsenden Popularität der Band macht („Young mothers love me/ Even ghosts of girlfriends call from Cleveland/ They will meet me anytime and anywhere„). Oder I’ll Destroy You, das klingt, als würde ein typischer The National-Song aus der Klanginstallstion einer Artgallerie wachsen. Der absolut wunderschön schleichende Crooner Carin at the Liquor Store destiliert geradezu erhaben das rotweinschwer tröstende Bariton-Flair, an das man längst sein Herz verloren hat, während das etwas medioker schlurfende Dark Side of the Gym als eng umschlungener Tanz für die Einsamkeit auch ohne nennenswerte Inspiration runtergeht wie Öl und in die dunkel nachdenkenden Hohheitsgebiete der Band abholt.
Dass The National diesmal aber eben auch altbekannte Reißleinen zu kappen gewillt sein würden, machte bereits die unfassbar catchy daherkommende Single The System Only Dreams in Total Darkness deutlich: Ein einleitender Frauenchor führt auf die falsche Fährte, bevor das Schlagzeug motiviert und beflügelnd poltert, die Gitarren immer wieder aufzeigen und letztlich sogar gniedelnd vorneweg zum Solo (!) hasten – im stilvoll-kultivierten Rahmen natürlich, im Kontext der restlichen Entwicklung zudem noch einmal wachsend. Im zerrütteten Turtleneck fahren The National sogar noch deutlicher aus ihrer Haut, zeigen Krallen und geben sich explizit ausgerechnet jenen klassischen Rocksong-Manierismen hin, denen sich die Band bisher stets verweigert hatte: Räudige Gitarren, ein hyperventilieren-nervöser Berninger und pochende Drums treiben sich gegenseitig zu einer Wall of Sound, die der Band und dem Publikum live sicherlich enorm viel Spaß machen wird. Auf Tonträger wirkt die Nummer kompositorisch jedoch zu unfokussiert, die neu gefundene konterkarierende Ungezügeltheit deplaziert trotz gestiegener Spannung und funktioniert als einziger ansatzweiser Ausfall nicht auf dem Niveau von The System Only Dreams in Total Darkness.

Merklich runder im Gesamtgefüge aufgehend wirken da schon die restlichen, deutlich subtileren Erweiterungen im Soundkosmos, die das zumeist enorm angenehm zu konsumierende Material von Sleep Well Beast in seiner getragenen und gar meditativen Kontemplativität elektronisch pluckernd und fiepend unterfüttern, zumeist programmiert scheinende Drums in das Geschehen rund um ein vorischtig erweitertes Klangspektrum speisen – quasi I Need my Girl vom Vorgänger mit den Erkenntnissen der zahlreichen The National-Nebenprojekte weiterdenken.
Das mollschere Nobody Else Will Be There zieht so etwa als mit dezenten Streichern und spartanischen R&B-Beats geschwängerte Klavierballade voller melancholischer Intensität und intimer Nahbarkeit sofort in das Album, das Arab Strap-nahe Walk it Back döst mit einnehmender Nachdenklichkeit über eingestreute Samples. Das sakrale Born to Beg schwadroniert über fein nuancierte Effekte zu leise aufflackernden Ahnungen geisterhafter Ambientchöre und körperlos tröpfelnder Gitarren, wohingegen das wundervolle Guilty Party mit einer zurückgenommenen Kammermusik-Orchestrierung liebäugelt und entlang seiner Unterwasser-Gitarre angesichts der Tiefe der kreierten Stimmung im Grunde ereignislos flanieren darf, bevor der unterkühlt hypnotisierende Titelsong als Downbeat-Expedition im Wirkungsradius von Kid A den Kreis uneuphorisch traurig schließt.

Am herausragendsten bleibt in diesem Spannungsfeld wahrscheinlich trotzdem das ätherisch pulsierende Empire Line, das erst wie ein abgedämpftes Marimba-Uhrwerk beruhigend zu stampfen beginnt und sich dann mit symphonischer Eleganz im tollen, weil nichtsdestotrotz so bodenständig und archetypisch bleibenden Finale nicht nur zur Decke zu strecken beginnt, sondern auch ausnahmsweise den Spagat zu alten Großtaten zustande bringt.
Denn Sleep Well Beast mag soundtechnisch (so sehr es außerhalb des The National-Kontextes auch mit schon so oft gehörten Mustern für seine Evolution arbeitet) interessanter sein als seine Vorgänger, letztendlich jedoch nicht derart befriedigend aufgehen. Wo der Sound oft die nicht mehr derart überwältigende Größe des Songwriting zu stemmen hat, erschaffen The National diesmal nicht jene unbedingt berührenden Szenen, die für unmittelbare Gänsehaut sorgen und akutes Suchtpotential wecken. Kaum eine Nummer will das Gefühl eines hauseigenen Instant-Klassikers erwecken, während die vorangetriebenen Klangexpansionen stets mit Sicherheitsgedanken in Szene gesetzt zu sein scheinen und vielversprechende Ansätze damit eher an der Oberfläche bleiben.

Dass der Fluss der Platte rund um eine zerfahrene Trackliste (nicht nur, aber primär) gerade durch den deplatzierten Ausbruch in Turtleneck destabilisiert wirkt und The National vielleicht erstmals seit dem Debüt wieder unentschlossen zwischen den aufgetanen Möglichkeiten positioniert, lässt Sleep Well Beast mit einem latenten Same Same but Different-Vibe jedoch weniger zur frustrierenden Zerissenheit werden, als viel mehr noch zu einem Versprechen an die weitere vitale Zukunft der Band.
Denn natürlich ist das alles Jammern auf hohem Niveau: Im Genre an sich wird 2017 vermutlich kaum etwas seine Sache deutlich besser machen als die hier so kurzweilig versammelten 58 Minuten, da das schwächste Album von The National seit Sad Songs for Dirty Lovers trotzdem immer noch mit Leichtigkeit in seiner eigenen Liga spielt. An den (zumindest vier direkten) Vorgängeralben gemessen darf man sich schließlich zumindest zufrieden in die abgerufenen Trademarks legen, die individuellen Highlights lieb gewinnen, sich vor allem in die Fürsorge der betörend ruhig plätschernden zweiten Plattenhälfte verlieren und den Willen zur Weiterentwicklung grundsätzlich gut heißen – aber Sleep Well Beast als Album im Ganzen dann eben dennoch ein klein wenig ernüchtert verlassen.
All diese Irritation mit einem Werk, das man so nicht von der so gefestigten Instanz erwartet hätte: The National haben eine waschechte Übergangsplatte aufgenommen.

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