The National – Boxer (Live in Brussels)
2017 gaben The National in Brüssel ihr viertes – und mutmaßlich bestes – Studioalbum Boxer chronologisch und zur Gänze zum besten. Dass der Mitschnitt des Abends für den diesjährigen Record Store Day nachträglich als Vinylausgabe aufgelegt wurde, wird zumindest 4000 Hardcorefans der zuletzt marginal enttäuschenden Ausnahmeband freuen.
Die amplitudenstarke Energie und unter die Haut gehende Bühnenpräsenz von The National bleibt anhand von Live in Brussels natürlich nur eine vage Ahnung. Denn eine so ordentliche Arbeit die Aufnahme produktionstechnisch – wuchtig, kompakt, direkt und in den richtigen Momenten doch zumindest annähernd intim – auch liefern mag, ist die generelle Crux mit Livealben gerade bei The National ein enorm relatives Manko: Selbst eine rundum zufriedenstellend die Balance findende Audio-Konservierung kann niemals das Gefühl aufwiegen, tatsächlich bei einem Auftritt einer der imposantesten Live-Mächte der Indiewelt zugegen zu sein.
Geschenkt: Spätestens wenn The National mit einer erhebenden Version des hier zum ersten Mal seit knapp zehn Jahren wieder einmal aufgeführten Gospel verabschieden (übrigens ein besser auf Platte funktionierender wehmütiger Closer, als die Glanztat ein erschöpfendes Finale auf der Bühne darstellt) kann man nur dankbar sein, dass der letzte Gig der Band zu ihrer Sleep Well Beast-Tour vergangenes Jahr nun seinen Weg auf Tonträger gefunden hat und man zumindest in dieser Form (also auch ohne das Quäntchen restlos packender Atmosphäre und einem latenten Gefühl Distanz) an der Feierlichkeit zum zehnjährigen Boxer-Jubiläum teilhaben kann.
Immerhin entwickelt Boxer (Live in Brussels) als Trostpflaster für alle nicht zugegen gewesenen Anhänger und Plattensammler abseits seiner Exklusivität (sowohl hinsichtlich Verfügbarkeit als auch Performance) alleine schon dadurch seinen Reiz, all die kleinen aber feinen Unterschiede zur epochalen Studioversion herauszupicken: Das Quintett aus Ohio hält keineswegs sklavisch an die 2007 erschienene [amazon_link id=“B000O5AYCA“ target=“_blank“ ]Original-Vorlage ihres Meisterwerks[/amazon_link], sondern nimmt immer wieder subtil eingefdelte Feinjustierungen an der Umsetzung des Materials vor – gerade was die dominanter unterspülenden, reichhaltiger aufgefahrenen Bläserarrangements sowie die generell umgeschichtete Gitarrenarbeit angeht: Die Dessner-Brüder schrammeln verspielter und kantiger, funkeln weniger sinister. Nicht nur Guest Room bekommt an dieser Front dem Artwork entsprechend ein bisschen mehr stellar funkelnde Farbe und enthusiastischen Verve.
Fake Empire oder das immer mehr an Fahrt aufnehmende Start a War führen zwar vor, dass sich The National-Songs immer nur bedingt zum arenatauglichen Mitklatschen eignen, mit wuchtig preschenden, schlauen Drums gönnen sich jedoch beide Nummern ekstatische Crescendi, die von der Band ein wenig gegen den Strich gebürstet werden, während ein launiger Matt Berninger weniger geschmeidig fließend intoniert, als gewohnt. Überhaupt dieser Wille in der Wohlfühlzone anzuecken: Mistaken for Strangers zieht energischer nach vorne und gibt sich einer pompösen Katharsis hin, auch Brainy wirkt aufgekratzter, dringlicher, energischer.
Absolut überragend gerät diesbezüglich Squalor Victoria. Über einen die Spannung anziehenden Stimmungspart mit furioser Schlagzeugeinleitung und orchestraler Breite in den gewachsenen Ausschmückungen findet die Band einen zackigen New Wave-Abgang und gebrülltem Höhepunkt, der sich kaum mehr einbremsen kann: The National geben ihren Songs mehr Freiheiten als im Studio und zügeln sie weniger handzahm, lassen sich auch mal intuitiv gehen.
Green Gloves lässt im Umkehrschluss seine Gitarren umso verträumter perlen, umsorgt eine zurückgenommene Elegie, die vage aufblüht, wohingegen die unsterbliche Schönheit Slow Show hinten raus noch einmal dezidiert an Tempo und Knackigkeit gewinnt, ohne dafür die behutsame Melancholie zu untergraben. „This is a sad record“ stellt Berninger vor Racing Like A Pro insofern ganz richtig fest, bevor seine Band den Song so vorsichtig aus dem Piano tröpfelnd spielt, so erhaben und niederschmetternd emotional in den Arrangements funkeln lässt, dass einem das Herz aufgeht – nachdem Berninger die inhaltlichen Dinge nuschelnd gerade gerückt hat: “It used to be…a lot of people thought ist was ‚Racing Like a Pronoun‘. Like it was some sort of grammar lesson. That’s not true. Don’t worry about the grammar.“
Letztendlich eine der wenigen Interaktionen mit dem Publikum, die auf Boxer (Live in Brussels) zu finden sind. Im Rahmen von Apartment Story erzählt Berninger etwa noch, dass der ursprünglich angeplante Auftrittstermin des Konzertes verschoben werden musste, damit die Band einer persönlichen Einladung der Obama Foundation Summit in Chicago nachkommen konnte – die Umarmung von Michelle möchte er gerne weitergeben. Im finalen Gospel verspricht er dann: „I’m not gonna ruin this one“ – und liegt damit natürlich richtig. Mehr noch: Man wird auf Sicht natürlich weitaus öfter zur regulären Version von Boxer zurückkehren, als hierher. Doch ist (Live in Brussels) nichtsdestotrotz mindestens eine durchaus gute Gelegenheit, um seine Liebe zu der Platte aus einer anderen Perspektive wieder ein Stück weit neu zu entfachen.
Kommentieren