The Men – Drift
Zwei Jahre nach dem in Eigenregie veröffentlichten Devil Music sind The Men wieder zu ihrem Stammlabel Sacred Bones zurückgekehrt, befinden sich mit Drift ansonsten aber offenbar an der Weggabelung zu einer ungewissen Gegenwart.
Eine der größten Stärken von The Men ist die ansatzloser Wandelbarkeit, die die Band aus Brooklyn rund um das Kernduo Nick Chiericozzi und Mark Perro in konstante Qualität ummünzt. Über Leave Home, Open Your Heart, New Moon, Tomorrow’s Hits oder auch die Acoustic-EP Campfire Songs hat sich das Quartett über konsequent und kohärent in sich geschlossene Alben stets neu erfunden, ohne den eigenen Charakter dafür zu verbiegen. Der Erkenntniswert nach der protopunkigen Wurzel- und Identitätssuche Devil Music scheint insofern keine allzu großen Überraschungen für The Men parat gehalten zu haben – dafür aber ihre erste Studioplatte ohne erkennbaren roten Faden.
Immerhin ist nach dem prolongierten Reset im elften Jahr nach der Bandgründung auf dem siebten Studioalbum nicht nur weiterhin alles möglich, sondern hasten The Men diesmal auf einer 36 minütigen Songsammlung sogar (eher kaleidoskopartig als) wahllos zwischen einer Vielzahl an eklektischen Ausrichtungen und Revisited-Ansätzen. Mangelnder Fokus, oder aber eher vielmehr rauschhafte Unbeständigkeit nach Plan: „The Men explore the openness that Devil Music helped them find. Songwriters Mark Perro and Nick Chiericozzi chase their muses down a few dozen thrilling rabbit-holes over the course of the album’s nine tracks.“
Das motorische Maybe I’m Crazy flüstert manisch, wie Ellery Roberts es wohl zum düsteren Industrial-Post Punk der Preoccupations mit dem fiebrigen Verständnis der Stooges auf dystopischen Tanzflächen samt Saxophon täte. Auch Secret Light könnte später erfolgreich suggerieren, dass The Men ihre Krautrock-Phase anvisieren: Der flott swingende Saxofongroover wird zum verselbstständigenden Rhythmus-Jam; ein Loop, der den Hüften mit geschlossenen Augen die Kontrolle übergibt und von Can mit der Transzendenz der Doors verschmilzt.
Mittendrin gibt das schwülstige When I Held You in My Arms aber die unaufgeregte, geduldig entspannt dahinlaufende Balladen-Übung in Sachen Nostalgie und Melancholie, die reduziert bis auf ein Schlagzeug, das domionante E-Piano sowie den zu geisterhaften Backingchören wehenden Gesang alleine auf herzerwärmenden Wehmut setzt. Irgendwann treibt eine Akustik-Gitarre in das Geschehen und spätestens dann entsteht dieser latent nebensächliche Klassiker-Vibe, den The Men im besten Fall zu erzeugen wissen.
Deutlich unbeschwerter der leichtgäng-luftige Akustikgitarre-Pop von Rose on Top of the World, der über die Küstenstraßen des Südwesten einer Brise folgt, die Loaded von Velvet Underground mit den fluffigsten Szenen von Calexico verbindet und ohne Akribie leicht neben der Spur liegend leger zum Abendhimmel blickt. Dort findet der beschwingte Reigen die folkige Americana-Lagerfeuerübung So High – samt Mundharmonika, nonchalant gedrosseltem Tempo und countryesken Gitarren, die sich einlullend ohne Ziel hinter dem Horizont verlieren.
Vollkommen aus dem Rahmen fällt dann Killed Someone. Der einzige (in diesem Umfeld verzichtbare) Song mit markant aufgedrehter E-Gitarre gibt den fett bratenden Stromrocker, energiegeladen und aggressiv in den Fußspuren von MC5 und Co., wirkt als gefühltes Überbleibsel von Devil Music aber im Gegensatz zum restlichen Material trotz seiner herrlich bissig-rotzigen Punk-Ausstrahlung als Entladung wie nachgetragene Ausschussware vergangener Sessions.
Zumal sich Drift hinten raus immer stimmiger und geschlossener seiner spirituellen Seite zuwendet. Das friedvolle Sleep glimmert etwa als gezupfter Bluegrass-Soundtrack für postmoderne Western (ausgerechnet ausgehend bei Tribut), während die mantraartigen Vocals nur verwaschen den Titel wiederholen und sich in gemächlich-dröge „Ahhh“s schmiegen, obgleich es ungemütlich im Hintergrund dissonant avantgardistisch dräut. Noch weiter zu Arbouretum und Psychic Ills wandert dann Final Prayer, wenn sich The Men zwischen Americana und Country schwergängig alle Zeit der Welt nehmen um in Fahrt zu kommen, die Gitarren reverbschwer vibrierend dröhnen, und die rezitierende Ansprache im staubigen Szenario mit hypnotischer Trance bindet, einnehmend und verführerisch – Lou Reed wäre am psychedelischen Lost Highway stolz. Das abschließende Come to Me veraschiedet danach als gezupfte Appalachian Folk Miniatur nahbar und grenzenlos als mystischer Trip zu den Fleet Foxes.
Gerade in seinem homogenen letzten Drittel macht Drift zwar auch klar, dass The Men hier mit mehr stilistischer Konsistenz eventuell ein Highlight ihrer Discografie abliefern hätten können, wenn sie sich direkt auf die halluzinogene Seite ihres Schaffens konzentriert hätten. Auf variablen Crashkurs durch ihr bisheriges Schaffen und genüsslich zwischen den Stühlen der Gegenwart springend, kann Drift so auf den Erstkontakt allerdings durchaus ernüchternd wirken – als wüssten The Men selbst nicht, was sie wollen.
Und es stimmt schon: Wo das aufgefahrene Material auf homogenere Gefilde verteilt wohl unmittelbarer und natürlicher aufgehend anfixen würde, wirken die Nummern im Kontext von Drift vereint ein wenig zu zusammenhanglos und ziellos aneinandergewürfelt, der (ausfallfreie, aber holprige) Spielfluss geht eher fragmentarisch und episodenhaft auf – wodurch sich die keinerlei Wankelmütigkeit zeigenden Songs für sich selbst stehend eben auch unter Wert verkaufen müssen.
Was Drift letztendlich eint, ist jedoch nicht nur seine Ungebundenheit, der archaische 2″ tape-Sound von Produzent Travis Harrison (Guided by Voices) oder die stimmungsvolle Ausstrahlung der konsequent reduzierte Inszenierung im bewusst zurückgeschraubten, beinahe asketisch eingesetzten Instrumentarium, sondern ein Melodieverständnis, das in bester Prä-Devil Music-Prägung mit bandinternen Ohrwürmern und einigen Best of-Kandidaten um sich wirft. Am Ende steht so eventuell das bisher schwächste Album von The Men – aber hinter dem divers aufgestellten Sammelsurium einer verdammt kurzweiligen, unterhaltsamen Genre-Compilation eben auch mehr noch eine Handvoll an verdammt unwiderstehlichen Songs.
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