The Mars Volta – The Mars Volta

von am 18. Oktober 2022 in Album

The Mars Volta – The Mars Volta

Don’t call it a Comeback: Omar Rodríguez-López und Cedric Bixler-Zavala verbinden vierzehn fragmentarisch bleibende Songskizzen zum offiziellen Art Pop-Album der einstigen Prog-Propheten The Mars Volta.

Zumindest kann das selbstbetitelte Siebtwerk – das erste Album seit Noctourniquet von 2012 der hier um das Doppelgestirn Bixler-Zavala und Lopez mit  Marcel Rodríguez-López, Gründungsmitglied Eva Gardner und Willy Rodriguez Quiñones personell neuformierten Band – in Relation zur bisherigen Diskografie (aus der Sicht des Comatoriums, nicht aus der Perspektive von beispielsweise Coldplay freilich) eindeutig als Pop (miss?)interpretiert werden: bekömmliche Songlängen (in denen sogar nur zwei Nummern über vier Minuten gehen), unkomplizierte Strukturen und einladende Melodien forcieren eine klare Zäsur zu den bisherigen Prog-Achterbahnen der Texaner.
Omar: „Being on tour with At the Drive-In for three years, playing way faster than we even do in Mars Volta and more aggressively, you know, it’s all the same frequencies, right? Two guitars, the cymbals and Cedric’s voice are all in the same frequency, fighting all night long, every day. With the exhaustion of the tour, I just started making tracks, and as I was saturated with this other thing, I wanted to do something else. For me, the most exciting new direction is something we haven’t done: to cut things down, to do our version of pop.

Exakter verortet stimmt aber auch, was die irritierenden Vorabsingles aufgrund der Kürze, Form und Inhalt eigentlich bereits ankündigten (obwohl man dies missinterpretierend so erst jetzt im Kontext richtig versteht): Nämlich, dass praktisch alle Nummern in diesem neuen Modus wie Auftakt-Interludes wirken, wie Teaser zum Hauptprogramm, wie Appetithappen vor dem zügellosen mehrgängigen Spektakel oder eben wie kurze Einleitungen zu den richtigen Suiten.
Tatsächlich kettet The Mars Volta praktisch ausnahmslos derartige kurze Vorspiel-Szenarien aneinander, was, erstmal irritierend (zumal nicht zuletzt die Band selbst nicht so ganz wissen zu scheint, wie man diesen Ansatz einordnen soll oder mit ihm umgehen möchte), mit ein wenig Abstand jedoch gerade in der Eingangsphase der Platte durchaus überraschend gut funktioniert.

Das sich mittlerweile zu einem veritablen Ohrwurm gemausert habende Blacklight Shine eröffnet exemplarisch mit Latino-Flair und rhythmisch exaltierter Percussion, bevor Graveyard Love nahtlos aus dem Cut übernehmend mit Elektro-Samples, Synthies und programmiert scheinenden Beats besticht, hinten raus retrofuturistisch verträumt frickelnd. Shore Story umarmt subversiv als somnabul in elegischer Kontemplation dösende Downbeat-Trance und Blank Condolences mäandert kontemplativ in sich ruhend, absolut angenehm.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist das zwar nicht die Mars Volta-Rückkehr, auf die man seit einer Dekade gewartet hat – abseits davon aber soweit eine überraschende Neuerfindung die dann (gefühlt eher als Omar-in-den-Clouds-Hill-Studios-Soloplatte mit flächendeckendem Cedric-Gesang) doch erstaunlich gut funktioniert. Selbst wenn das keine zu entwickelten Songs sind, überzeugend sie am (abseits der eigenen Erwartungshaltung) barrierefreien Stück gehört reizvoll und betörend. Eben fein begleitender Art-Pop.

Mit Fortdauer zeigt die grundlegende Ambivalenz aber ihre tatsächlich negativen Seiten, wiewohl nicht das Was das Problem ist, sondern das Wie – die Idee The Mars Volta krankt im Endeffekt an ihrer Umsetzung.
Vigil streichelt trotz All-In-Oberfläche ohne Konsequenz mit verhaltener Euphorie die spätsommerliche Aufbruchstimmung mit seiner Nostalgie, doch nun wird es im Verlauf des Albums besonders tragisch, dass die Stücke stets einem viel zu abrupten Ende zusteuern. Anstatt inbrünstig mit der wirklichen Kompromisslosigkeit des puren Pop aufzugehen, bleiben The Mars Volta unverbindlich und seltsam unentschlossen, wollen weder Fleisch nicht Fisch sein, und drehen in den Regel einfach die Lichter ab, um die nächste Episode aus dem Regal zu nehmen. Que Dios Te Maldiga Mi Corazon stellt seine Schrauben insofern etwas enger und wäre mit mehr Feuer unter dem Hintern sowie packend zwingender Intensität gar nicht so weit weg von frühen Motiven der Band, doch mutiert das prolongierte Comeback durch ein neuerlich so willkürlich abgedrehtes Ende in dieser Phase doch noch zu einem frustrierenden Stückwerk-Mosaik. Cerulea beginnt mit cheesy Call-and-Response-Harmonien, schleicht dann mit abgedämpft antreibenden Bass unaufgeregt subkutan schmeichelnd dahin, wo alle Songs aus instrumentaler Sicht ziemlich unspektakulär und zurückhaltend wirken, gleitet imaginativ dahin und wird wieder beendet, anstatt dass der Song den nötigen Raum bekäme, um die erzeugte Atmosphäre schwelgend zu erforschen und auszukosten. Die reinste Verschwendung.

Weite Passagen des Albums wirken so einfach unfertig, und hätten wohl mehr Zeit gebraucht als die 10 Tage Entwicklungszeit, um zu wachsen und das fraglos vorhandene Potential zu entfalten. Stattdessen beginnt The Mars Volta spätestens mit Flash Burns From Flashbacks, dessen geschafiges Gerumpel und Gesuche ziellos konzentriert dahinstreift, seine Faszination auszudünnen. Einzelne Nummern wie diese wird man gelöst aus dem Gesamtwerk wohl sowieso ohnedies nie selektiv ansteuernd, doch auch im Verbund beginnt das fragmentarische Wesen zu ermüden, bevor das letzte Drittel der Platte gar einem kaum nachhaltige Erinnerungen zurücklassenden Clusterfuck gleichkommt, in dem die Band orientierungslos mediokre Szenen abspult, selbst gemessen am bisherigen (manchmal generell etwas seichten) Status Quo des Albums redundant bagatellisiert. Anstatt das Werk mit einem übergeordneten Spannungsbogen doch noch abzurunden plätschert Palm Full Of Crux so friedlich wie substanzlos am folkigen Jazz, biedert sich No Case Gain flippig an und die Acoustic-Ballade Tourmaline mutiert uninspiriert zu einem austauschbaren Standard. Equus 3 hat zumindest einen halbwegs catchy Refrain und Collapsible Shoulders pluckert mit klackernden halborganischen Beats, ist aber noch zielloser als das unspektakuläre The Requisition, das seinen Bass jedoch zumindest schon dröhnend einsetzt und sich hinten raus endlich mal etwas intuitiver gehen lässt.
Was vielleicht auch das Stichwort ist: Gerade wenn man die aktuell mit jedem Auftritt ständig wachsenden Live-Versionen von Graveyard Love und Blacklight Shine verfolgt, wird überdeutlich, dass in diesen 45 Minuten durchaus ein tolles Album steckt (eine starke EP sowieso!) – The Mars Volta hätten seine Bestandteile wohl nur vorab über Shows im Jam kultivieren müssen, als es auf diesem schnell verblassenden Pyrrhussieg mit der radikalen Brechstange zu destillieren.

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