The Magnetic Fields, Will Sheff, Ben Caplan [24.11.2023: Dom im Berg, Graz]
Stets für ein grandioses Lineup bürgend, sorgt der Freitag des Autumn Leaves 2023 mit Ben Caplan, Okkervil River-Kopf Will Sheff und den Magnetic Fields für ein besonders hochkarätiges Schmankerl der Festival-Geschichte.
Um es gleich eingangs vorwegzunehmen: Ja, Platoo hat da organisatorisch mal wieder ganze Arbeit geleistet und die Ticketpreise zudem in heutigen Zeiten einfach nur großartig fanfreundlich gehalten, während die Location nicht nur die geladenen Musiker einmal mehr begeistert (beziehungsweise im Fall von Sheff und Merritt auch latent besorgt ob der Natürlichkeit eines Auftritts unter der Erde nachdenken lässt), sondern vom guten Sound bis zu angenehm kurzen Umbauphasen zwischen den Acts praktisch alles richtig macht.
Was also soll bei diesen Rahmenbedingungen schief gehen?
Ben Caplan ist live praktisch der ideale Spagat zwischen Jack Black und Tom Waits, wie er da vom einfühlsamen Set-Opener Pure Imagination weg über rund 47 Minuten (inklusive Zugabe) mit voller Dynamik und Inbrunst irgendwo zwischen zähnefletschend bellender Komik und ergreifendem Drama pendelt – meistens am E-Piano, manchmal an der Gitarre (und einmal ausnahmsweise zur Feier des Anlasses gar mit der seinem haarigen Kopf keine Freunde machenden Mundharmonika). Da betrauert er, dass Eric Caplin sich als Arsch entpuppt hat und croont gefühlvoll eine eigene herzerwärmende Ballade um sich von Würmern aufessen zu lassen, predigt aufbrausend als Prärie-Entertainer und lässt die Grenzen zwischen Song und Erzählung dort verschwimmen, wo kein Understatement gefragt ist.
Kurzum: der Kanadier unterhält das Publikum grandios – schade nur, dass in den ruhigen Momenten nicht nur an der Bar ständig jemand quatschen muss.
Will Sheff muss sich darüber fast keine Sorgen machen: er ist gut gelaunt, sieht aus, als hätte John Lennon Mode-Tipps von Kurt Cobain angenommen, und hat mit seiner aktuellen Tour-Band im Rücken (die nicht Okkervil River ist, aber hauptsächlich Okkervil River-Songs spielt – auch Okkervil River RIP übrigens, obwohl die Band ja gar nicht gestorben sei, wie Sheff beruhigenderweise erzählt ) vor allem merklich Bock zu rocken. Laut!
Dennoch zögert er den Beginn von So Come Back, I Am Waiting zwangsläufig etwas hinaus, bis endlich Ruhe einkehrt, kann sich aber sonst angesichts der Ausgelassenheit, die das Material live mitbekommt (wodurch vor allem die drei Vertreter von Nothing Special im direkten Vergleich zur Studio-Aufnahme deutlich an Momentum gewinnen), grinsend gehen lassen und lässt die Setlist immer wieder wieder zu kompakten Jam-Ausbrüchen abdriften. Trotzdem will der energische Mitsing-Funke, den Down Down the Deep River oder ein betont flottes John Allyn Smith Smith Sails auf der Bühne entfachen, nur bedingt überspringen: die eigentlichen Magie passiert bei Sheff eben meist in den stillen Augenblicken.
Stattdessen verlässt der 47 jährige die Bühne schon vor dem Ende des richtig kraftvoll vor Energie strotzenden No Key, No Plan und lässt seine Begleiter (mit subjektiv generell zu leise gemixter Leadgitarre und dadurch phasenweise zu träge hervortretenden Bass) eine kantige, durchaus unerwartete Schleife um das peppige, knackige und freilich zu kurze Set von nicht ganz einer Stunde Spielzeit ziehen.
Setlist:
Plus Ones
Estrangement Zone
Okkervil River R.I.P.
The Spiral Season
Like the Last Time
John Allyn Smith Sails
For Real
Down Down the Deep River
So Come Back, I Am Waiting
No Key, No Plan
Dem redenden Publikum begegnet The Magnetic Fields-Bariton Stephin Merritt in lethargischer Ironie später mit der Anekdote über einen Freund, der bei Konzertbesuchen nicht seinen Mund halten könne – bis er darin erinnert werde, wie viel er für den Eintritt bezahlt habe.
Auch nach diesem trocken gebrachten Intermezzo ist das Publikum im mittlerweile randvollen (aber absolut angenehm keineswegs überfüllten!) Dom im Berg nicht ruhig. Allerdings im positiven Sinne: Wie ungemein textsicher sich die der Band zwischen andächtiger Verzückung und euphorischer Begeisterung an den Lippen hängende Menge über weite Strecken der Show gibt, ist einfach beachtlich.
Getragen von der relativ lakonischen Leitung von Merritt spielen sich die Magnetic Fields – Shirley Simms (am Banjo und so viele Songs wie das Gemeinschaftserlebnis All My Little Words gesanglich grandios veredelnd), Sam Davol, Chris Ewen und Anthony Kaczinski (der das beschwingte The Luckiest Guy on East Side singen darf – und mit lang gezogenem Finale dabei absolut brilliert) – durch ein buntes Potpourri ihrer Studioalben rund um das dominante 69 Love Songs. Wie sehr sich dabei selbst weniger prominente Vertreter der Diskografie als sofort vertraut hängen bleibende Instant-Lieblinge anfühlen, während Klassiker a la The Book of Love in der gemütlichen Anti-Show (Merritt merkt gleich zu Beginn an, dass man im Gegensatz zu Sheff keinen Schlagzeuger dabei habe – und man nach dessen anheizenden Auftritt eher den Soundtrack fürs Zu-Bett-gehen liefere) ganz auf die Klasse des mal erhaben, mal schrullig dargebotenen Materials bauend eine schlichtweg ergreifende Sogwirkung entfalten – und insgesamt satte 30 Songs immer noch kurzweilig wirken.
Mögen die letzten wirklich überragenden Veröffentlichungen der Band insofern auch schon einige Zeit im Rückspiegel liegen: Live sind die Magnetic Fields eine unaufgeregte Indie-Bank, die an diesem hochklassigen Abend absolut verdient den Hauptact macht.
Setlist:
Castles of America
I Don’t Believe in the Sun
Love Goes Home to Paris in the Spring
Kraftwerk in a Blackout
Born on a Train
Come Back From San Francisco
Desert Island
Kiss Me Like You Mean It
Andrew in Drag
The Flowers She Sent and the Flowers She Said She Sent
The Day the Politicians Died
(I Want to Join A) Biker Gang
Candy
Drive On, Driver
The Book of Love
Quick!
’01 Have You Seen It in the Snow?
Smoke and Mirrors
Papa Was a Rodeo
All My Little Words
The Luckiest Guy on the Lower East Side
Death Pact (Let’s Make A)
No One Will Ever Love You
All the Umbrellas in London
’02 Be True to Your Bar
Take Ecstasy With Me
’14 I Wish I Had PicturesEncore:
A Chicken With Its Head Cut Off
100,000 Fireflies
It’s Only Time
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