The Libertines – Anthems for Doomed Youth
Das überraschendste am dritten Libertines Album ist weniger die Tatsache, dass es überhaupt tatsächlich erschienen ist, als vielmehr die Erkenntnis, in welchem Ausmaß es für das englische Quartett funktioniert, seinen jugendlichen Übermut über weite Strecken zugunsten einer zuverlässigen Professionalität abgelegt zu haben.
‚Up The Bracket‚ und der nur marginal weniger brillante Nachfolger ‚The Libertines‚ zogen einen Gutteil ihrer süchtig machenden Faszination auch aus ihrer explosiven Unberechenbarkeit; dem ständig vor der Implosion stehenden Grenzgang zwischen Genie und Wahnsinn, der von Mick Jones‘ spontaner Produktion perfekt eingefangenen rohen Energie, die diese ungestümen Dokumentationen der sich aneinander reibenden, formvollendeten Songwriter Doherty und Barât zu zeitgeistpassgenauen modernen Klassikern der Insel machten. Elf Jahre nach dem Zweitwerk, etwaige Band- und Solokarrieren, Entzugskuren sowie zahlreiche Reunionversuche später ist – „Straight to The Heart of The matter“ – ‚Anthems for Doomed Youth‚ all dies im Grunde von vornherein nicht geworden.
Dafür hat sich die Herangehensweise und Perspektive der älter gewordenen, mittlerweile offenbar tatsächlich drogenfrei lebenden Familienvätern schlichtweg zu sehr geändert, mit einem Aufwärmen alter Großtaten wäre niemandem geholfen. Das Comebackalbum der reifer gewordenen Vier ist deswegen in erster Linie eine überlegte Platte geworden, die sich des Mythos der beiden Vorgänger bewusst ist, diesen aber nicht künstlich zu reanimieren versucht und ihre 46 Minuten (mit der um Impulsivität bemühten, aber letztendlich doch zu stromlinienförmigen Produktion von One Direction-Spezi Jake Gosling) ganz gezielt nicht exakt dort ansetzt, wo das Quartett 2004 den Stecker zog.
Eher kommt das Drittwerk einem symbiotischen Kompromiss gleich, der sich soundtechnisch und ästhetisch praktisch genau in der Schnittmenge aus jüngeren Babyshambles– und Barât-Alben wie ‚Sequel to Prequel‚ und ‚Let it Reign‚ platziert. Ideal lässt sich das etwa am aus den Archiven geholten ‚You’re My Waterloo‚ nachvollziehen, das ihm Jahr 2015 zu einer vom Hedonismus befreiten, für das Formatradio glattpolierten, chorgestörkten Klavierballade mit Mut zur großen Geste und auch zum tendenziellen Kitsch geworden ist, die das feine Gespür der Band für Harmonien und Melodien geradezu friedfertig in die Auslage stellt, sogar an die intimeren Stadionmomente von Oasis denken lässt. Und ja: das funktioniert – anstandslos, mühelos und unpeinlich.
Die mittlerweile generelle Hinzunahme von Netz und doppelten Boden kann wohl auch als Sicherheitsmaßnahme interpretiert werden, um entlang des lyrisch immer wieder thematisierten Konflikt mit den inneren Dämonen nicht wieder dem sich verselbstständigen Kontrollverlust von einst anheim zu fallen.
Wahrscheinlich ist es aber auch darüber hinaus aber vor allem die einzig richtige und mögliche Art dieses Comeback vernünftig anzugehen. Denn wo der Versuch die Magie der jugendlichen Libertines zu reproduzieren mutmaßlich von vornherein scheitern hätte müssen, steht sie den vier Lads eben durchaus, diese bisher ungekannte Abgeklärtheit und Souveränität im Umgang mit dem eigenen Können, diese erwachsene Ausstrahlung – stimmt hinter all der neu forcierten Umgänglichkeit letztendlich doch vor allem in der starken ersten Plattenhälfte schlichtweg die Qualität des Songwritings.
Gleich das eröffnende ‚Barbarians‚ entkoppelt den Nervenkitzel aus der Musik so zwar auf die Metaebene, transportiert aber dennoch unmittelbar diese unnachahmlichen rotzigen Schludrigkeit, das ewige Talent, sich begnadet zwischen The Clash und den Kinks zurechtzufinden, poltert schnurstracks in die Gehörgänge zu gemäßigteren Erinnerungen an ‚What a Whaster‚.
Das superb verspielte ‚Heart of the Matter‚ ist in ähnlicher Ausrichtung ein ungezügelt neben der Spur liegendes Ohrwurm-Feuerwerk voller Charisma und des schmerzlich vermissten Wechselgesangs, den so niemand abseits des Libertines-Kosmos aus den Hüften schütteln könnte. Das herrlich schiefe ‚Glasgow Coma Scale Blues‚ versucht sich gar an chaotischen Guerilla-Taktiken, wird aber vom unsagbar lahmen Klanggewand belästigt, auch ‚Fury of Chonburi‚ forciert den alten Punkspirit in Ansätzen, wenn auch der Zug zu runden Refrains zu immanent und durchsichtig ist. Freilich: die ungezwungene Locker- und Leichtigkeit fehlt hier irgendwo immer ein bisschen. ‚Belly of the Beast‚ wirkt in seiner schematisch angeordneten vorhersehbaren Gangart deswegen wie ein schick in den Straßen lungerndes, domestiziertes Update alter Glanztaten, die rundum schöne Einkehr ‚The Milkman’s Horse‚ schunkelt sich etwas zu gefällig durch seine Bequemlichkeit.
Am nachhaltigsten zeigen sich die Libs aber ausgerechnet ohnedies in der stärker denn je ausgeprägtere ruhigere Ader: Der Titelsong funkelt als wunderbar einfühlsam treibende Ohrwurmdecke, das abschließende ‚Dead for Love‚ ist eine einzige tonale Gruppenumarmung mit viel Soul und das herzige ‚Iceman‚ will gar nicht so ungeschickt das ‚Radio America‚ der Platte sein.
Daneben gibt sie zudem immer noch, diese schelmischen Augenblicke, die The Libertines seit jeher auszeichneten – etwa, wenn das zwischen lethargischen Raggae-Versatzstücken und erschlagend hymnischem, enorm infektiösem Mitgröhlrefrain feuchtfröhlich torkelnde ‚Gunga Din‚ sich zum Ende hin zusammenreißt und Spannungen aufbaut, nur um dann plötzlich doch keinen Bock auf eine Entladung zu haben. Aber diese schlitzohrigen Kniffe, sie passieren letztendlich doch zu selten.
Ohne wirkliche Ausfälle verkraften zu müssen liefert ‚Anthems for Doomed Youth‚ entgegen seines Titels so auch zu keinem Zeitpunkt wahrhaftige Hymnen und erschlagende Instant-Hits der Güteklasse eines ‚Can’t Stand Me Now‚ oder ‚Time for Heroes‚ ab – dafür fehlt der Band einfach (noch) die Bereitschaft sich (wieder) gegenseitig aus der Reserve zu locken, ans Limit zu pushen und über die Klippe zu schicken, sich in die Kompositionen hemmungslos fallen und entlang impulsiver Wendungen mitreißen zu lassen. Weil Doherty, Barat und die wie immer anstandslos aufeinander eingespielten Erfüllungsgehilfen Gary Powell und John Hassall längst vernunftorientiert agieren und dafür keine gefinkelten Überraschungsmomente in der Hinterhand behalten, ist ‚Anthems for Doomed Youth‚ genau genommen selbst in seinen besten Momenten nicht derart schmissig geraten wie ein Gros der B-Seiten der ersten beiden Alben, entzieht sich diesen Vergleichen durch sein seriöseres Auftreten allerdings eben auch von vornherein irgendwo geschickt und legt das Spotlight damit auf andere Facetten der bandeigene Stärken. Das Ergebnis ist kein Rausch mehr, sondern Zufriedenheit. Vielleicht gerade deswegen: The Albion still sails on course.
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