The Libertines – All Quiet On The Eastern Esplanade

von am 11. April 2024 in Album

The Libertines – All Quiet On The Eastern Esplanade

Aus der Zeit gefallener Indie Rock, der mit modernerem Outfit für die gesetzteren Lebensphasen nach dem jugendlichen Übermut manierlich in die Breite gehend adaptiert wurde: The Libertines gelingt mit All Quiet on the Eastern Esplanade das zweite Album seit ihrer Reunion.

Als Band sei man „at the same place, at the same speed and connected for once“ gewesen, als das vierte Studioalbum im Entstehen gewesen sein – und diese Eintracht, die auch in erstmals brüderlich geteilten Songwriter-Credits fußt, hört man dem (titeltechnisch Werbung für das eigene Hotel machenden) All Quiet on the Eastern Esplanade durchaus an.
Bedingt positiv bei den flotteren Rockern der Platte – also dem mit Handclaps von Leslie Gore zu The Velvet Underground nach vorne polternden Stimmungsmacher Run Run Run, der gediegen eingefangene Rock’n’Roll-Dringlichkeit I Have a Friend, dem zügig in seinem Simplizismus der Gesamtdynamik nützenden, für sich selbst stehend aber schnell erschöpften Oh Shit, sowie einer motiviert durchrauschenden Bagatelle namens Be Young.

Denn in diesen Fällen, wenn The Libertines ähnlich wie noch auf weiten Teilen von Anthems of Doomed Youth (2015) solide Kompromiss-Schulterschlüsse zu den ersten beiden Sturm-und-Drang-Meisterwerken anbieten, fällt natürlich einfach frappant auf, dass sich das Rad der Zeit nicht aufhalten lässt und der wohlwollende Rückblick in die Guerilla-Indie-Disco von einst bei aller beibehaltenen Kompetenz diesbezüglich nicht den aktuellen Gepflogenheiten des Quartetts entgegenkommt.
Denn ohne die von Mick Jones kongenial spontan aufgenommene, von internen Reibungen mit genialer Spannung aufgeheizte Stimmung der 00er-Jahre fehlt den Libertines in dieser Ausrichtung eben einfach die unberechenbar dreckige Energie, die man, so sehr die Freude über das Überleben der Band auch wiegt, derart ausgerichtet immer als unerreichbare Messlatte heranziehen wird.

Interessanter ist All Quiet on the Eastern Esplanade insofern, wenn der saubere und von aktueller Studio-Präzession durchaus mitgeformte, aber deswegen nicht kantenlos geglättete Sound von Dimitri Tikovoï das stilistische Spektrum der charakterstarken Libertines aus der gekonnten Nostalgie für neue, kaum noch selbstzerstörerische Lebensphasen fit macht und so der Bürde der beiden Jones-Alben entkommt – mit ausholenden Chören oder Orchester-Arrangements, also Facetten, die man so nicht bei den Libertines erwartet hätte. Und es spricht absolut für den französischen Produzenten, wie ausgewogen er diese größere Bandbreite auf die Identität der Band abstimmt, wie selbstverständlich und unbekümmert der Sound frei jeglicher Bombast-Wucherungen gewachsen ist.

Mustang drosselt das Tempo mit klimpernder Cowbell und wird immer mehr zur schunkelnden Gemeinschaftsparty in trunkener Umarmung, Merry Old England stampft mit Verve zu einer Sehnsucht nach britischer Nostalgie und Damon Albarn. Die Elegie Man With the Melody plätschert kammermusikalisch verträumt und das im Kern eine hoffnungsvolle Acoustic-Ballade darstellende Night of the Hunter legt sich regelrecht pastorale mit bittersüßer Melancholie in seine märchenhaft assoziativen Arrangements. Baron’s Claw torkelt schunkelnd in eine mit jazzigen Trompeten feiernde Kneipe und der zurückgelehnte Ohrwurm Shiver funkelt mit nonchalanten Tasten so weit im konsumfreundlichen Pop, wie wohl noch keine Libertines-Nummer zuvor.

Am deutlichsten wird der Evolutionsprozess aber wohl im sehnsüchtig milde abschließenden Songs They Never Play on the Radio, das Doherty seit 2006 nicht für Babyshambles fertigstellen konnte, dass nun aber als Beatles‘eske Musical-Anlehnung schlüssig funktioniert, bevor die Band im blödelnden Geplänkel abtaucht und ein nettes, ungefährliches Album abrundet, das die melodische Klasse der Libertines unspektakulär abschöpft und den Übergang zu neuen Ufern ermöglicht.
Das provoziert im Momentum zwar weniger explizite Highlights als Anthems for Doomed Youth, dürfte mit dem längeren Atem auf Sicht aber das rundere Ganze ergeben.

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