The Lemon Twigs – Everything Harmony
Endlich nehmen die Lemon Twigs – Brian und Michael D’Addario – die Sache mit dem Tribut an alte Zeiten wirklich ernst: das absolut adäquat betitelte Everything Harmony sichert den New Yorkern insofern den Aufstieg in die nächsthöhere Indie-Anachronismus-Liga.
Das je nach Zählweise fünfte Studioalbum der beiden Brüder lässt sich dabei kaum bändigen, taucht vielleicht etwas zu ausführlich in die Vergangenheit rund um die 60er und 70er des zurückliegenden Jahrhunderts ein, macht als androgynes Potpourri abseits der einen oder anderen zu wohlwollend ausgeschmückten Songlänge (neben dem relativ schwächelnden Every Day Is the Worst Day of My Life, das sein Elliott Smiths’sches Leiden in ein East Village-Umfeld setzt, die Repetition als Motiv stimmig, aber auch nervig durchziehend) aber in einer Art vielseitigem Schaulaufen wenig falsch, wechselt die stilistische Auslage im homogenen Anachronismus von einer Ohrwurm-Melodie zur nächsten schmissigen Hookline.
Ähnlich wie bei den Kollegen von Foxygen scheint dabei weniger das Verlangen nach emotionalem Tiefgang im Vordergrund zu stehen, sondern der Spieltrieb, sich fast schon collagenartig bunt vergangenen Epochen zu nähern – im direkten Vergleich ist aber eben das hittaugliche Songwriting bei den Lemon Twigs konsistenter und qualitativ bestechender, als bei den meisten Kollegen.
Wo When Winter Comes Around als friedlich gezupfte Acoustic-Sehnsucht in Nostalgie an Whitney, Simon & Garfunkel denkend als mehrstimmige Harmonie immer wieder aufgeht und dabei klingt, wie wenn man positiv mit wehmütigen Dingen abschließt, gönnt sich die Nummer einen kurzen Beach Boys-Appendix, der im flott schillernder Softrock von In My Head noch konkreter mündet und den Albumtitel früh glückselig auf die Spitze treibt – wie später im beschwingten There She Goes-Jangle-Pop von Ghost Run Free unterstrichen, sind die vergleichsweise fetzigen Momente von Everything Harmony aber weniger stark, als die etwas kitschig ausbalancierten.
Wenn Corner of My Eye in verträumter Romantik durch die Lounge schwoft oder Any Time of Day sich die Bee Gees abseits der Disco vorstellt, Jackson 5– und Chipmunk-Elemente inklusive. Wenn What You Were Doing samt seinem smoothen Solo in etwa gen von Ty Segall produzierten Beatles tendiert oder die gefühlvolle Klavier-Ballade I Don’t Belong to Me sich in exemplarisch gedankenvoll akzentuierte Bläser-Arrangements legt. Wenn What Happens to a Heart barocken Pomp-Pathos bietet, das niedliche Still It’s Not Enough schön ruhig schwelgt oder Born to Be Lonely durch den Ballsaal schwofend schunkelt. Und wenn der Titelsong zur orchestralen Größe poltert, bevor das Kleinod New to Me auf reduzierte Weise den Kreis schließt – ja dann kommt man kaum um Everything Harmony als veritables, authentisches Zeitreiseportal umher.
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