The Knife – Shaking The Habitual

von am 6. April 2013 in Album

The Knife – Shaking The Habitual

Die schwedischen Elektro-Visionäre The Knife schließen nach mehr oder minder 7 Jahren Abwesenheit weitestgehend mit der eigenen Vergangenheit ab, liefern darüber hinaus jedoch gleich einen Ausblick, wie die Zukunft des Genres eventuell klingen könnte. Im Hier und Jetzt hinterlässt dies so begeistert wie ratlos.

Alben wie ‚Shake The Habitual‚ schreien ihren Revolutionsabsicht von der ersten Sekunde, eigentlich bereits davor und daneben, lauthals in die Welt hinaus. 96 Minuten Musik über nur 13 Songs Tracks verteilt, ein engagiertes Pamphlet als Beipackzettel dazu. The Knife wollen sich über ein halbes Jahrzehnt nach dem markerschütternden Elektro-Streich ‚Silent Shout‚ eben nicht nur mit einem Knall zurückmelden, sondern mit einer gleichermaßen als Explo- wie Implosion zu lesenden, vielleicht sogar ultimativ-kompromislosen Weiterentwicklung und Ausformulierung ihres beklemmenden Synapsentanzes. Das erst vierte Studioalbum des Künstler- und Geschwisterpaares aus Schweden hat dabei nur mehr am Rande etwas mit dem direkten Vorgänger aus dem Jahr 2006 zu tun, dennoch lichten Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer nach langer Abwesenheit hier die Zukunft jener Weggabelungen ab, hinter denen die beiden eigenwilligen Grenzgänger über die letzten Jahre verschwunden waren.

Shaking The Habitual‚ denkt gleichermaßen die unbekömmliche Experimental-Oper ‚Tomorrow, In a Year‚ von The Knife, Mt. Sims and Planningtorock von 2010 logisch weiter; es flicht im Geheimen aber auch die dunklen Popgedanken von Fever Ray ein und hat mehr noch die obskuren Acid-Techno Arbeiten von Olof alias Oni Ayhun verinnerlicht. The Knife erschaffen damit ein zwischen den Extremen oszillierendes Manifest elektronischer Musik, einen schwer verdaulichen Brocken aus Exzessiviät, verstörender Unmittelbarkeit und kraftfordernder Verweigerungshaltung.
Shaking The Habitual‚ beherbergt so Klangkatheedralen wie das majestätisch zwischen Romantik-Epos und Schlachtgesang schwebenden ‚Wrap Your Arms Around Me‚; es finden sich Ausnahmesongs wie der brilliante Singlevorboten ‚Full of Fire‚, einem über knapp zehn Minuten zwischen Tanz-Ekstase und psychotischen Anfall vibrierenden Malstrom aus so unnachgiebig  gestaltenwandelnden wie unbeirrt vorwegschreitenden Rhythmen und Effekten. In ‚Raging Lung‚ bestimmen wuchtig hämmernde Klackerbeats das Szenario, fiependen Synthies und eine zum Instrument vergehende Karin Dreijer. ‚Stay Out Here‚ hämmert dann mit Überlänge sowie Shannon Funchess und Emily Roysdon gnadenlos dahin, ‚Without You My Life Would Be Boring‚ malträtiert mit irren Flöten hyperaktiv jedweden Schönklang.

Entgegen diesem Pol, der so selbstsicher körperliche Tanzbarkeit, beklemmende Eingängigkeit und akribisch zubereitete Komplexität in der Textur vereint, installieren The Knife auf ‚Shaking The Habitual‚ ein Gegenüber aus weitläufigen Ambient-, Drone und Experimentalmusikflächen, die näher bei Brian Eno’s Installationsarbeiten sind, als bei den direkten Auslegungen der Lehren Björks. Ein ‚Old Dreams Waiting To Be Realized‚ steht demnach wie ein zielloses Klangmeer als Monolith in die Mitte der Platte, und er tut dies über eine Spielzeit von fast 20 enervierenden Minuten. Die knapp halb so lange Exkursion ‚Fracking Fluid Injection‚ führt in jedwede Bekömmlichkeit attackierende Industrial-Gebiete und Field-Recording-Nischen. ‚A Cherry on Top‚ serviert als Kompromiss in seinem sich nur langsam lüftenden Nebel aus psychedelisch dissonanten Soundscapes irgendwann zumindest ansatzweise greifbare Melodienandeutungen, an denen man sich in diesem Strudel aus hilflos zurücklassenden Klängen festzuhalten versuchen darf.

Shaking The Habitual‚ ist eine zerrissene Rückkehr geworden, in seinem kohärenten Fluß dabei dennoch absolut kein inkonsequentes oder unentschlossenes Werk. Die unnachgiebig fordernde Platte funktionieren bis auf wenige Ausnahmen (im positiven wie negativen Sinne) am Stück gehört vielleicht sogar noch am besten, auch wenn dies eine ebenso kraftraubende wie zeitintensive Herausforderung bleibt, selten ein reines Vergnügen. ‚Shaking the Habitual‚ funktioniert jedoch ohnedies nur bei intensiver und aktiver Beschäftigung – nebenbei gehört mutiert das Album gerne und schnell zu einer nervenaufreibenden Attacke auf die eigene musikalische Toleranz und Geduld.
Zwischen den besten Songs, die das schwedische Duo bisher geschrieben hat und leidlich spannenden, zu lange ausgewalzten Soundcolagen spaltet sich ‚Shaking The Habitual‚ so im Paradoxon auf, das bisher, wenn schon nicht beste, dann zumindest das unbarmherzigste Album von The Knife zu sein und trotzdem auch jenes, welches sich am ehesten dagegen sperrt, gerne gehört werden zu wollen. Wo genau hier die Grenzen zwischen einer intensiven Kraftprobe und wahrhaftig visionären Taten bestehen, wird sich erst mit viel (zeitlichem) Abstand weisen. Beeindruckend ist es jedoch bereits jetzt, wie The Knife grandios an den eigenen Ambitionen zu scheitern scheinen.

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