The Invisible Blue Unicorns [08.05.2023: PPC Bar, Graz]
The Invisible Blue Unicorns – A Musical Phantasmagoria ist Mick Harvey with Amanda Acevedo, J.P. Shilo und (zwei Viertel von) Sometimes With Others (nebst Rachel Maio am Cello und Tobias Humble am Schlagzeug).
So unsagbar cool es auch ist, dass das Werk02 einen Zwischenstopp der Invisible Blue Unicorns in Graz organisiert hat, herrscht mancherorts doch merklicher Frust in der Schlange vor dem PPC: Zum auf der Karte ausgewiesenen Konzertbeginn um 20.00 Uhr startet nämlich erst im stockenden Zeitlupentempo der Einlass, der sich zudem gefühlt länger hinzieht, als bei so mancher Arena-Show.
Grund zum Stress besteht aber wohl nur für jene, die am nächsten Tag arbeiten müssen, und sich eine halbe Stunde nach dem theoretisch veranschlagten Ende der Show noch am Merchstand Platten von Mick Harvey signieren lassen wollen.
Wie auch immer: die PPC Bar ist als Location-Wahl zwar nicht optimal (vor allem, wenn man während ruhigerer Passagen den Geschirrspüler hinterm Tresen nicht ignorieren kann), aber der Sound wirklich ziemlich gut (also eklatant besser, als er es bei der Hauptbühne im Erdgeschoss erfahrungsgemäß traditionell ist). Zudem ist die Show überraschend gut besucht (wenngleich dem Legendenstatus von Harvey eigentlich nicht entsprechend rappelvoll), obgleich der relativ hohe Altersschnitt des Publikums dann doch überrascht. Der multinationalen Musiktruppe hat es in Graz jedenfalls gefallen – nicht nur, weil am Vorabend in Berlin vollkommen deplatziert ein Technoclub, laut Anekdote ohne Licht und mangelnder PA bespielt wurde, so dass beim Booker interveniert werden musste.
Was einen bei The Invisible Blue Unicorns – A Musical Phantasmagoria erwarten würde, war im Vorfeld ja zugegebenermaßen nicht so ganz klar, knapp zwei Stunden später ist man jedoch schlauer und vom Konzept des Abends durchaus begeistert: das ehemalige Birthday Party– und Bad Seeds-Mitglied Mick Harvey hat als Leithammel im Vorfeld seiner Kooperations-Platte mit der mexikanischen Chanteuse Amanda Acevedo, neben Schlagzeuger Tobias Humble und Cellistin Rachel Maio auch Gitarrist/ Sängerin Mika Bajinski und Bassist Yoyo Röhm von der Berliner Band Sometimes With Others (der ansonsten noch Marie–Claire Schlameus und Swans– bzw. Pere Ubu-Mann Kristof Hahn angehören) samt der befreundeten atmosphärischen Allzweckwaffe J.P. Shilo eingeladen, um dieses als The Invisible Blue Unicorns firmierende Kollektiv in wechselnder Besetzung durch ein Programm zu geleiten, das sich ebenso aus Coversongs wie neu interpretierten Originalen der jeweiligen anwesenden Quellen speist.
Das klingt dann über weite Strecken in etwa so, als würden Calexico den Texmex zurücklassen und weiter in den Drone, Rock und Blues wandern. Musikalisch ist das gebotene Programm jedenfalls mit fast schon subversiver Virtuosität und viel Gefühl in der ständig spürbaren Klasse absolut großartig.
Aufgeteilt in zwei je rund 53 minütige Sets, die von einer knapp 20 minütigen Pause getrennt werden, steht das auf Duetten mit Acevedo konzentrierte Material von Phantasmagoria in Blue dabei lose gestriffen im Zentrum: Wo Harvey (auch mittels seiner versierten Deutsch-Kenntnisse) wirklich supercharismatisch durch die kurzweilige Show führt und bis zum angedeutet Slapstick (Marke: was macht das Keyboard gerade mit mir?!) herrlich süffisant unterhaltend zahlreiche Lacher auf seiner so sympathischen Seite hat, zeigen sich in Nummern wie Song to the Siren, (das wirklich toll melancholisch arrangierte) Love is a Battlefield oder Milk & Honey jedoch die etwas weniger überzeugenden Passagen der Revue – was subjektiv auch manchmal an der latent unsicher wirkenden Präsenz von Acevedo und ihrer ein klein wenig unterwältigenden Stimme liegt, die dann nur eine bedingte Chemie mit Harvey erzeugt und hier und da den prominentesten der interpretierten Nummern keine unbedingt essentielle Relevanz verleihen kann.
Natürlich ist das im Kontext Jammern auf hohem Niveau, weil auch so wie in Phantasmorgia in 2 (mit geborgtem, hallendem Kapodaster gespielt), Al Alba oder dem grandiosen She Won’t einfach tolle Szenen mit dem Duo im Rampenlicht entstehen – und es mit dem zum Einstieg zweimal verbockten „Themesong“ The Blue Unicorn als seltsam rezitierte Übersetzungs-Rezitation auch den obskursten Beitrag mit verschmitzter Nonchalance liefert. Einigen wir uns einfach darauf, dass es einfach verdammt schön ist, diesen tollen Musikern dabei zuhören zu können, wie sie das machen, was ihnen so merklich Spaß bereitet – am besten ist es halt, wenn sie sich nicht allzu oft anderswo gecoverten Nummern verschreiebn und ihre eigenen Vorzüge so gravierender in die Waagschale werfen können. Soll heißen: die Vorfreude auf das gemeinsame Album von Harvey und der eine irgendwie auch faszinierend entrückte Ausstrahlung habenden Acevedo ist in jedem Fall da.
Als Basis-Geber für alle anderen beteiligten Musiker ist es allerdings dennoch umso brillanter, was Harvey für diese Tour auf die Beine gestellt hat. (Und womöglich liegt es auch einfach am Überraschungseffekt, dass an diesem Abend vor allem J.P. Shilo und Sometimes With Others einen alles überragenden Eindruck hinterlassen: zugegebenermaßen hatte man weder den australischen Multiinstrumentalisten, der auf dieser Tour als Sänger und Gitarrist agiert, noch die immer wieder mit der Zunge schnalzen lassende deutsche Band – wenngleich personell nur zur Hälfte anwesend – bisher auf der Radar; beide musikalisch die perfekte Symbiose eingehenden Parteien nutzen diesen Status quasi aus dem Nichts kommend jedenfalls zum Wecken kollektiver Verzückung.)
Was die Gruppierung aus Bajinski und Röhm sowie Shilo zusammen mit dem bockstarken Humble, Maio und Harvey für Feuerwerk entfacht, ist jedenfalls einfach nur atemberaubend.
Das beginnt beim stimmungsvollen Einstieg in den Abend und erreicht mit dem rockig aufbrandenden Hey Hey, Les Chevaux vor dem balladesken Klavierstück Tamed seinen ersten Höhepunkt, bevor im letzten Drittel der Show alle Dämme brechen: Das Highlight Where The Water Tastes Like Wine wächst sich vom twistend bratzenden Rocker zum exzessiven Jam aus, Widow’s Peak pflegt den verruchten Groove und Know it treibt die Psychedelik zur lauten Wuchtigkeit. Untitled zeigt, wie Can’s Vitamin C wohl als Swans-Song geklungen hätte und nach der gelungenen Serge Gainsbourg-Verneigung Bonny and Clyde als erste Zugabe ist der Abend für Harvey beendet, der sich die letzte Nummer während des Merchtable-Aufbaus ansehen will („ein Song noch, dann geht bitte nach Hause…morgen ist ein Arbeitstag!“).
Was folgt, ist Whole Lotta Love als purer Triumphzug, absolut originär und intensiv dargeboten. Oder: Led Zeppelin covern und daran nicht nur nicht scheitert, sondern ein Stück weit Extase auslösen, indme man sich das Original komplett zu Eigen macht – das muss man erst einmal schaffen. Was dann eigentlich auch einerseits alles über das immense Potential, das in The Invisible Blue Unicorns schlummert, und andererseits die Qualität dieses Abends aussagt.
Setlist:
Invisible You
Naked When You Come
The One
Hey Hey, Les Chevaux
Tamed
Song to the Siren
Phantasmagoria in 2
Love is a Battlefield
I Hear a New WorldThe Blue Unicon
All Alba
She Won’t
Milk + Honey
Misty Light
Where The Water Tastes Like Wine
Widow’s Peak
Easy as a Gun
Know it
UntitledEncore:
Bonnie & Clyde
Whole Lotta Love
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