The Dillinger Escape Plan, The Number Twelve Looks Like You, God Mother [13.08.2017: Szene, Wien]
Ein Busunglück im Rücken und die angekündigte Trennung vor Augen gerät der nachgeholte Wien-Stop der Farewell-Tour von The Dillinger Escape Plan zum Triumphzug, der die ohnedies hohen Erwartungshaltungen – auch dank zweier grandioser Vorbands – mühelos pulverisiert.
Der finale Auftritt von The Dillinger Escape Plan wurde mittlerweile fixiert, das vernünftig gewählte Ende einer bis hin zum jüngsten Discografie-Eintrag Dissociation (2016) stets fulminant abgeliefert habenden Band rückt immer näher. Deswegen entsteht auch ein ambivalentes Gefühle, als man nach einem knapp einstündigen Inferno klatschnass triefend aus der zum wortwörtlich schweißtreibenden Fleischwolf mutierten Szene schleicht: Herrscht da nun Trauer vor, dass man den Ausnahmederwisch The Dillinger Escape Plan zukünftig tatsächlich nicht mehr auf der Bühne erleben wird können? Oder doch eher Dankbarkeit dem erschöpfenden Spektakel noch ein letztes Mal beigewohnt haben zu dürfen?
Für den Moment allerdings vielleicht ohnedies wichtiger: Jede Sekunde des zwangsweise auferlegten längeren Darbens auf das Ersatzkonzert war die ausgedehnte Wartezeit wert. The Dillinger Escape Plan haben sich mit einem vor Energie berstenden, zutiefst nachdrücklichen Rundumschlag durch nahezu ihre gesamte Discografie aus Österreich verabschiedet, der praktisch wunschlos aus einem nahezu makellosen Abend entließ – wofür es übrigens auch eine explizite Verneigung vor den beiden Support Acts geben muss.
God Mother
Die Schweden von God Mother sind mittlerweile nicht nur im Vorprogramm von The Dillinger Escape Plan angekommen, sondern auch auf deren Label Party Smasher Inc..
Der dortige Einstand steht mit Vilseledd zwar erst bevor. Wenn Brüllwürfel Sebastian die kaum zu bändige Frontsau gibt, sich durch das noch spärlich vorhandene Publikum tollend abreagiert, sich von der überschaubaren Menge vor der Bühne auf Händen tragen lässt oder in bester Puciato-Manier jede Gelegenheit nutzt, um von Wänden und Deckengerüsten der Szene zu baumeln, hat es allerdings den Anschein, als würden Ben Weinman und Co. die Staffelübergabe an God Mother längst forcieren.
Keine schlechte Idee. Das zutiefst dreckige, brutal rohe und finster brodelnde Gemisch der Band aus Crust, Hardcore, Sludge und Death/Grind-Elementen bollert immerhin mit agressiver Wucht, Blastbeats und Breakdowns spannen sich stilistisch enorm zwingend über Konsorten wie Cult Leader, Nasum, Full of Hell oder Converge. Imposante Referenzen, zwischen denen die randalierende Abrissbirne God Mother jedoch keineswegs untergeht, sondern rund um eine kompromisslose Performance verdammt viel bei den richtigen Vorbildern gelernt hat (ohne jetzt schon unbedingte Alleinstellungsmerkmale vorweisen zu können), und deswegen zumindest wie eine verdammt heiße Zukunftaktie wirkt.
Gut denkbar jedenfalls , dass die Band mit einer derartigen Ausrichtung samt einem ähnlichen Exotenbonus wie Kvelertak in absehbarer Zeit letztendlich im Studio mit Kurt Ballou landen wird – bis dahin knallt das auf der Bühne einstweilen noch eine Spur irrer, als auf Tonträger.
Insofern ganz im Ernst: Wer irgendwie die Möglichkeit hat, die Jungs live zu sehen, sollte das unbedingt tun – God Mother hinterlassen mächtig Eindruck! Selbst die Vorgabe, dass während der knapp halbstündigen Show irrtümlicherweise nebenbei weiterhin Musik über die PA läuft, bügeln die mittlerweile gar nicht mehr derart sauber und adrett aussehenden God Mother in Grund und Boden – wie auch weite Teile des Publikums. Dass Sebastian den Gig kurz vor Schluss als den vielleicht besten seiner Band in einem zuvor noch nicht besuchten Land deklariert, irritiert deswegen angesichts der doch relativ reservierten Zuseher.
Setlist:
Oväld
Blodfors
By the Millions
Ophiuchus
Tar Mirror
Carve Them
De ovälkomna
Weak
Between Voids
Eyes Bleached
The Number Twelve Looks Like You
Über allzu überschwänglich hereinbrechende Euphoriewellen müssen sich auch The Number Twelve Looks Like You nicht sorgen – aber das war ja leider auch im ersten Leben der Band aus New Jersey nicht anders. Die zwischen 2002 und 2010 veröffentlichten vier Alben und zahlreichen EPs der Kombo mit dem umständlichen Namen konnten im Dunstkreis von ähnlich gearteten Kombos wie Circles Takes the Square, Psyopus, Destroyer Destroyer oder Fear Before the March of Flames vor allem in der alten Welt nicht die Aufmerksamkeit generieren, die etwa The Fall of Troy oder Protest the Hero zuteil wurde. Auch, weil es schwer zu eruieren war, ob The Number Twelve Looks Like You nun ihrer Zeit voraus eilten oder zu sehr damaligen Szene-Affinitäten nachjagten, blieb die Band damit eine Nieschenattraktion , der Split folgte schließlich nach internen Querelen.
Etwaige noch weniger öffentlichkeitswirksame Nachfolgebands und sonstige Betätigungsfelder später haben Sänger Jesse Korman sowie Gitarrist Alexis Pareja die zum Quartett geschrumpften (und mit neuer Rhythmusgruppe ausgetatteten) The Number Twelve Looks Like You 2016 nun also mit dezenten Legendenflair reanimiert und arbeiten mittlerweile gar wieder an einer neuen Platte. Keine Verzweiflungstat, wie der viel zu kurz bemessene 30 minütige Genre-Irrsin im Spannungsfeld aus Mathcore und Screamo eindrucksvoll zeigt, sondern über den monströsen Einstieg mit I’ll Make My Own Hours gleich mal konsequent abverlangt.
Korman stemmt nunmehr alle Gesangsparts alleine (weswegen der Fokus der Setlist auch auf dem einstweilen Schwanengesang [amazon_link id=“B001PWY4HC“ target=“_blank“ ]Worse Than Alone[/amazon_link] liegt), switcht mühelos von hysterischen Gekeife über bedrohlichen Growls zu theatralisch in Szene geräkeltem Klargesang. Einstweilen stemmt Pareja die komplexen Songs mit Drummar Kadnar und Basser Scully ansatzlos, verpasst ihnen sogar einen organischer gewachsenen Sound als bisher. Das lässt die Band 2017 finsterer, unangestrengter und härter klingen – vielleicht sind The Number Twelve Looks Like You sogar tighter denn je, sicher aber merklich reifer. Was der Band ganz hervorragend steht.
Was sofort fasziniert, wird jedoch erst mit fortlaufender Dauer richtig grandios. Man merkt, wie The Number Twelve Looks Like You immer mehr Freude an ihren chaotischen Ungetümen hat, lockerer wird und sich in einen Rausch spielt, der sich selbst nicht zu ernst nimmt. Korman ist als Posterboy ein grandioser Entertainer in dem unberechenbaren Durcheinander, turnt über die Bühne und spaziert schonmal aus dem Saal zum Merchstand, posiert notfalls auch für Selfies. Der Kontrast aus musikalischem Gemetzel und humoristischen Bruch hat einen immensen Unterhaltungswert, ist mitreißend und ansteckend. Zwar fallen da seitens des Publikums leider selbst dann nicht alle Hemmungen, wenn Korman durch die Menge tanzt und zu den Flamenco-Elementen in The Garden’s All Nighters mit einem verdutzten Zuseher einen flotten Hüftschwung aufs Parkett legt – so richtig gehen lassen will sich niemand – aber verdammt, macht das Set zu diesem Zeitpunkt Laune!
Gerade, als man meint, dass The Number Twelve Looks Like You den Pegel zu diesem Zeitpunkt doch noch zum Kippen gebracht haben könnten, ihr Stilmix sich endgültig verselbstständigt und das Eis geschmolzen hätte, findet das eigentlich erst in Fahrt kommende Set zu einem Ende – nachdem die Menge noch Kormans Nichte via Videobotschaft eine Geburtstagsnachricht zukommen hat lassen. Symptomatisch für einen Auftritt, der auch Skeptiker überzeugen sollte: Die Reunion-Triebfeder von den (sich am Merchstand als ungezwungen nette Kerle entpuppenden) The Number Twelve Looks Like You scheint mehr als alles andere der Spaß an der Sache zu sein. Eigentlich unerklärlich, warum man diese Typen nicht schmerzlicher vermisst hat. Insofern: Ein neues Album kann gerne kommen – und die Band möglichst bald wieder auf Europa-Tour sowieso!
Setlist:
I’ll Make My Own Hours
Glory Kingdom
Don’t Get Blood on My Prada Shoes
To Catch a Tiger…
Jay Walking Backwards
The Garden’s All Nighters
The Proud Parent’s Convention Held in the ER
The Dillinger Escape Plan
Zukunftsperspektiven, das man sich einer besseren Gewissheit zum Trotz so auch von The Dillinger Escape Plan wünschen würde. Wie groß das unauffüllbare Loch seien wird, dass das Quintett mit Ende des Jahres in vielerlei Hinsicht hinterlassen wird, wird einem jedenfalls noch einmal von der ersten Sekunde der Show mit eindringlicher Intensität vorgeführt. Die Lage eskaliert nach kurzem Gewitter unmittelbar, pure Eskalation steht am Programm.
Ab dem Augenblick, an dem The Dillinger Escape Plan frenetisch mit Prancer eröffnen, bricht auch ein tollwütiger Pit vor der (leider mit Abgrenzungsgittern verstellten) Bühne los, hemmungslos und leidenschaftlich – die bisher herrschende Zurückhaltung seitens des Publikums ist wie weggeblasen. Plötzlich herrscht da ein imposanter Tumult, irgendjemand ist immer am Crowdsurfen, blaue Flecken werden gesät, die Stimmung in der nunmehr tatsächlich merkbar ausverkauften Szene kocht ansatzlos über. Auch, weil die Inszenierung der Show selbst wie ein zutiefst stylischer Musikvideo-Rausch mit hektisch zuckender Nervosität in seinen Bann reißt, ein technoider Trip wird: In nahezu vollständige Dunkelheit gehüllt lässt die imposante Lightshow zumeist nur die für Sekundenbruchteile aufblitzende Silhouetten der Musiker erkennen. Wild blinkende Stroboskop-Lichter hacken durch das schwarz, auftauchende Nuancen tauchen die Bühne in kräftige Farben. Die Umrisse von Weinman schleuderen da seine Gitarre umher, springen wie von Sinnen auf die Verstärkertürme, zerhacken Akkorde und frickeln mit hirnwütiger Hingabe. Puciato drückt dazu in stimmlicher Bestform, jeder Ton der herausfordernden Kompositionen sitzt in dem Tumult.
Verstärkt durch die Sperrgitter hält sich die Interaktion der Band mit dem Publikum (gerade im Vergleich zu den beiden Vorbands) ein wenig in Grenzen, trotzdem ist man praktisch mittendrinnen im Sturm der Band. Immer wieder landet das Mikro im Publikum, Bassist Kevin Antreassian verschenkt irgendwann sein Plektrum und Weimann kurz vor der Zugabe sogar eine mitgebrachte Plastikblume. The Dillinger Escape Plan kultivieren damit eine faszinierende Dualität aus optischer Distanz und explosiv packender Fleischwolf-Mentalität, atemlos am Limit agierend.
Bis hin zu den Ire Works-Hits Black Bubblegum und Milk Lizard kann so schon das erste Drittel der Show an die körperlichen Grenzen treiben. Schlag auf Schlag hagelt es schließlich Attacken ala Fix Your Face, Highway Robbery und When I Lost My Bet, bis TDEP das Tempo zur Mitte hin gehend ein wenig drosseln und fast durchatmen lassen. Surrogate oder Nothing to Forget verlagern die Dynamik der großartigen (aus dem weitläufigen Pool der Dissociation-Tour schöpfenden, abermals variierten) Setlist dann zeitweise hin zu getrageneren Gefilden, bevor die Fünf entlang dringlich hinausgeschleudeter Brecher wie Limerent Death, Farewell, Mona Lisa, One of Us is the Killer oder der 2014er Single Happiness is a Smile die Schrauben hinten raus wieder enger zu ziehen beginnen. Ein Schwanengesang, der keine Gefangenen nimmt, sich nicht schont, geschweige denn Erüdungserscheinungen zeigt. Wie hungrig diese Band immer noch wirkt, ist paradoxerweise eine zwiespältige Freude zu sehen.
Das Intermezzo zwischen dem superkompakt hinausgehauenen regulären Set und der Zugabe mutiert dann mit geloopten Noise-Feedback und nervösem Lichtmaschinen-Muskelspiel zu einer hypnotischen Installation, die ihre Sogkraft vielleicht um einige enervierende Minuten zu lange ausreizt. (Und zudem den olfaktorischen Tribut klarmacht, den das verschwitzte Tollhaus mittlerweile zu zahlen hat).
Dafür servieren The Dillinger Escape Plan allerdings eine abschließende Draufgabe, die endgültig in pure Ekstase versetzt. Das Doppel aus Panasonic Youth und Sunshine the Werewolf steigert sich mit epischer Eindringlichkeit immer weiter zum atemberaubenden Höhepunkt eines praktisch makellosen, perfekt getimten Abschiedskonzertes, dem auch kleine Schönheitsfehler (dass am Merchstand weitestgehend nur noch Übergrößen zu haben sind, während gebrauchte Drumsticks teuer an den Fan gebracht werden sollen beispielsweise) nichts anhaben können und das schlichtweg euphorisch entlässt.
Im Zweifel treten Trennungsschmerzen beim Rekapitulieren dieses Husarenrittes in den Hinterkopf und Superlative drängen sich wenig objektiv auf. The Dillinger Escape Plan beenden als eine der besten Metalbands der letzten Dekaden das Österreich-Kapitel ihrer zwanzigjährigen Karriere epochal, zelebrieren hier Mathcore-Kunst mit praktisch keiner Luft nach oben und machen die Fußstapfen, in die die Bandmitglieder zukünftig treten müssen (Weinman etwa mit Giraffe Tongue Orchestra; Puciato mit Killer be Killed oder The Black Queen; Billy Rymer offenbar mit Glassjaw und Liam Wilson bei John Frum) noch ein Stück weit größer.
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