The Cure – Songs of a Lost World

von am 2. November 2024 in Album, Heavy Rotation

The Cure – Songs of a Lost World

Robert Smith geht nach 16 Jahren auf Nummer Sicher und hat mit dem so lange versprochenen Songs of a Lost World ein Album fertiggestellt, das vom Gros seiner Gefolgschaft als künftiger Klassiker im Kanon von The Cure wahrgenommen zu werden.

Letztendlich ist es unheimlich befriedigend, dass das vierzehnte Studioalbum der Band sich die Phrase, jede Sekunde Wartezeit der 16 Jahre seit 4:13 wert gewesen zu sein, wohl redlich verdient haben wird. Egal ob nun sofort im Hier und Jetzt –  oder erst in absehbarer Zukunft.
Immerhin ist der Begriff der Zeit rund um die Rückkehr von The Cure ohnedies ein relativer: Einerseits soll nach Jahre des Vertröstens beispielsweise plötzlich alles Schlag auf Schlag gehen und die nächsten zwei Alben bereits in der Pipeline warten, bevor 2029 mutmaßlich der Schlussstrich gezogen wird. Andererseits lässt sich Smith selbst noch und vor allem in der Klammer von Songs of a Lost World weiterhin gefühlte Ewigkeiten Zeit.

Alone und Endsong nehmen gemeinsam rund 17 Minuten in Anspruch. Weite Teile davon sind durch jeweils ausführliche Intros – und damit einer Kunst, die The Cure wie nur wenige andere Bands beherrschen – instrumental sinnierend, ganz in ihrer Atmosphäre versunken. Wenn Smith spät ins Geschehen gleitet, dann singt er mit einer Stimme, die keinen Tag gealtert zu sein scheint, Zeilen wie: „And the birds falling out of our skies/ And the words falling out of our minds/ And here is to love, to all the love/ Falling out of our lives/ Hopes and dreams are gone/ The end of every song“ oder „And I’m outside in the dark staring at the blood red moon/ Remembering the hopes and dreams I had and all I had to do/ And wondering what became of that boy and the world he called his own/ I’m outside in the dark wondering how I got so old/ It’s all gone, it’s all gone/ Nothing left of all I loved/ It all feels wrong/ It’s all gone, it’s all gone, it’s all gone/ No hopes, no dreams, no world/ No, I don’t belong/ I don’t belong here anymore.

Anderswo wäre das vielleicht nahe am selbstreferentiellen Klischee. The Cure schmiegen sich jedoch mit einer ergreifenden Grandezza in diese ureigene, tröstende Dunkelheit und die Tiefe einer enorm homogenen, in sich geschlossenen Platte. Smith sinniert über die Vergänglichkeit und über Dinge, die angesichts nahender Enden doch Bestand haben können. Er tut dies mit einer erhabenen Haltung, weil kaum jemand Verzweiflung derart anmutig artikulieren kann wie er. Egal ob ein A Fragile Thing dabei wie entschleunigter Post Punk als Ohrwurm-Drama aus Resignation und Optimismus verhalten groovt, I Can Never Say Goodbye sich in melancholischem Wehmut um ein prägnantes Tasten-Motiv glückselig sehnt, oder der Warsong sinister aufgerieben schleicht, seine Gitarren heulen lässt und im Jenseits einer abgekämpften Trostlosigkeit kratzbürstig strahlt.
Die Songs drehen sich dabei in ihrer Entwicklung zwar meist exemplarisch enorm dicht gestrickt um sich selbst, so dass schon der aufbrechende Zug einem subtilen heroischen Akt gleichkommt, und trotzdem holen sie ab, nehmen mit und verändern im besten Fall Wahrnehmung. Eine Nabelschau nach innen und außen. Die Selbstreflektion der Texte ist immer persönlich – und dennoch von einer universellen Tragweite, die einfach demütig stimmt: Man darf sogar mit einer Welt im Einklang sein, in der man sich verloren fühlt.

In der Schwere der Düsternis malen die Synths dazu leicht antiquiert wie Streicher und haben etwas ebenso unorganisches, faszinierend Kaltes und gleichzeitig einnehmen Warmes, wie die präzisen Drums, während der Bass knarzend trocken schabt. Das Keyboard klimpert nostalgisch und meditativ über die sich imaginativ ziehende Schwere, der Sound hat etwas von einer hoffnungsvollen Klaustrophobie oder zauberhaften Depression, die einfühlsam in den Arm nimmt. Emotionaler Balsam im Trademark-Gewand. Oder, als wäre Bloodflowers ein 80er-Album.
Die Ästhetik von Songs of a Lost World knüpft nämlich nicht nur durch das zumeist elegisch Weitschweifende der Kompositionen, sondern vor allem soundästhetisch an die Phase um Disintegration an, wobei All I Ever Am so auch für das 2000er-Album entstehen hätte können – selbst, wenn die Grundierung nun eben deutlich massiver, wuchtiger und dennoch auch ätherischer klingt. Dass Smith den damaligen Produzent Paul Corkett für ein aus der Zeit gefallenes Comeback gewissermaßen aus dem Ruhestand geholt hat, ist da nur stimmig.

Trotzdem behält sich Songs of a Lost World bei aller Zuverlässigkeit auch einige wenige Schönheitsfehler vor.
Das latent hibbeligere Drone:Nodrone lehnt sich mit Wah-Wah und gniedelnd heulenden Gitarren (eines auf seinem Album-Debüt dennoch erstaunlich songdienlich bleibenden Reeves Gabrels) weiter in den Pop als das restliche Material und bleibt damit im Rahmen, fühlt sich jedoch (für sich genommen) dennoch etwas weniger bedeutsam an, als der Rest der Platte (der durch das Stück im Umkehrschluss allerdings auch mehr Dynamik bekommt). Und And Nothing Is Forever wird als Schönheit sofort einen festen Platz im Herzen vieler The Cure-Fans haben. Die sinfonische Synths zu Beginn tragen im Pathos dennoch zu dick auf. Selbst, wenn Smith mit romantisch erhebender Gänsehaut den finalen Aufgriff des cinematographisch ausgesäten Beginns zur absolut betörenden Sentimentalität erntet: aufwühlend und berührend.

Diese Entwicklung ist auch ein schönes Sinnbild für ein Album, das subjektiv trotz allem nicht die erwartete Euphorie auslösen will. Zumindest was das Momentum angeht, das Smith hier definitiv auf seiner Seite hat. Vielleicht, weil zwischen der Klammer ein alles überragender Übersong fehlt, der der Platte das monoloithische Volumen gegeben hätte, das sie beinahe transportiert. Vielleicht, weil es niemals Überwindung kostet, sich einem Werk zu stellen, dessen lange Inkubationszeit automatisch ein schwieriges, unbequemes schwarzes Loch in Aussicht gestellt hat – nun aber vielmehr eine Album umfasst, das eine bereichernde, angenehme Sogwirkung zeigt.
Überlegungen, während derer Songs of a Lost World nach seiner sofort befriedigenden Wirkung beim Erstkontakt jedenfalls wächst und sich deswegen nicht nur derart vertraut anfühlt, als hätte man es mit einer lang vergessenen Erinnerung zu tun, sondern auch die Zuversicht nährt, dass die angenehm kompakt gehaltenen, nie erschlagenden 49 Minuten der Platte langfristig auch abseits der längsten Release-Pause einen besonderen Stellenwert im Kanon der Band einnehmen werden.
Mehr noch: Da ist das Gefühl, dass, wäre dieses Comeback (ganz so, wie es sich zumeist ja auch anfühlt) bereits vor Jahrzehnten veröffentlicht worden, es ohne viel Risikobewusstsein wahrscheinlich mittlerweile sogar einen Platz unter dem besten halben Dutzend Langspielern einer an ikonischen Veröffentlichungen nicht armen Diskografie reklamieren könnte.
[Wobei, zugegeben: Neue Musik dieser Herzens-Band rein nüchtern und objektiv einschätzen zu wollen, ist ein nahezu unmögliches Unterfangen. Mit der aufgesetzten Fanbrille bei der abschließenden Wertung aufzurunden, wird sich mutmaßlich rückblickend aber wohl dennoch weniger als Fehler erweisen, als es die Option tun könnte, Songs of a Lost World im Bestreben nach einer überkritischen Objektivität gach unter Wert zu verkaufen.]

Als anachronistischer Instant-Fanpleaser, der praktisch alle Hebel dort ansetzt, um die beiden von Fans und Band zu Unrecht verschmähten direkten Vorgängeralben zu ignorieren, kann man der Platte also gerne die Geduld zusprechen, um sich entlang ihrer so erfüllenden Komfortzone zu entfalten, und dabei – notfalls auch ohne erschlagende Begeisterung – jene immer wieder mit Gravitation in ihren Bann ziehende Größe anzunehmen, auf die man gewartet hat, seit es klar war, dass Robert Smith nun doch endlich ernst machen würde und seine Band auch abseits der Bühnen dieser Welt wiederbeleben würde. Oder man kann einfach genießen, dass The Cure ein relativ wertkonservatives Album gemacht haben, für das in den vergangenen 16 Jahren niemand sonst sorgen konnte.
Ob Songs of a Lost World also wirklich das plättende Meisterwerk ist, das offenbar ein Gros der Anhängerschaft unmittelbar darin hört (und das man zugegeben auch selbst nur zu gerne darin hören will), kann insofern nur die Zeit zeigen. Und die war bekanntlich ja mehr oder minder zu bisher jedem Album der Band gut.

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