The Coral – Distance Inbetween

von am 15. März 2016 in Album

The Coral – Distance Inbetween

In sechs Jahren Studioauszeit (das verloren geglaubte ‚The Curse of Love‚ von 2014 hatte ja bereits einige Jahre in den Archiven gewartet) haben The Coral die Unbekümmertheit ihres Pop gegen eine bisher ungekannte Heavyness getauscht und folgen auf ‚Distance Inbetween‚ ihrer dominant in Szene gesetzten Rhythmusgruppe in eine dunklere Form der leichtfüßigen Psychedelik.

Gleich der Opener ‚Connector‚ hypnotisiert mit dichter Rhythmusarbeit und orientalisch anmutenden Synthies, als wäre der sommerliche 60s-Schleier der Band von dem dämmrigen Zwielicht des Black Rebel Motorcycle Club oder delirienten Halluzinogenen der Queens of the Stone Age in eine unangressiv treibende Trance versetzt worden. Auch das folgende ‚White Bird‚ peitscht mit Schlafzimmerblick und nach unten gezogenen Mundwinkeln ebendort unermüdlich stoisch nach vorne. Drums und Bass dominieren die Melodie nicht nur hier: The Coral stellen auf ihrem achten Studioalbum generell ihre Rhythmussektion in den Mittelpunkt des Songwritings.
Was das bedeutet kann man etwa in ‚Holy Revelation‚ sehr gut nachhören: Die Briten spielen hier einen trocken aus der Hüfte rausgehauenen Groover, in dem das restliche Instrumentarium ohne ein Gramm Fett dem federführenden Strom von Tieftöner Paul Duffy und Schlagwerker Ian Skelly folgt, der Modus Operandi des Albums. The Coral nutzen knackiges, kantiges rumpelndes Garage-Feeling als tragendes Fundament, lassen den Überbau jedoch mit weitschweifender Psychedelik schweben und tauschen die experimentierfreudige Jahrmarkt-Atmosphäre von früher relativ unkompliziert gegen die Stimmung einer dreckigeren Seitengassen. Oder aber: Der freundliche Pop tritt hinter einen gut abgehangen ausfransenden Rock’n’Roll.

Ähnlich gewichtig wie die Entscheidung Bass und Schlagzeug eine dominantere Rolle zukommen zu lassen ist diesbezüglich noch ein anderer Punkt: Mit Neo-Gitarrist und Ex-Zutons-Mann Paul Molloy haben The Coral einen Ersatz für den ausgestiegenen Bill Ryder-Jones (bzw. auch den derzeit eine Bandpause einlegenden Lee Southall) gefunden, der zumeist songdienlich im Hintergrund agiert, beizeiten aber signifikante Akzente setzt, generell mehr Freude an knackigen Riffs zu haben scheint und das Sextett von der Merseyside folgerichtig von der Blumenwiese herunter holt, um sie in feiste Kneipenschlägereien zu verwickeln.
Als Paradebeispiel legt ‚Million Eyes‚ den Hippie-Rocker auf die Matte. Mit giftigem Riff und Kippe unter der Sonnenbrille hängend ist der Einfluss von Molloy eklatant zu spüren, auch wenn The Coral den Song sanft und mit einer irritierend undynamischen Effektschicht auf den Vocals spielen, bevor sich der Ritt über einen langen Jam-Abgang vollends in die abgehangene Coolness verabschiedet und der Band nicht nur zu einem neuen Soundanstrich, sondern zu einer ganz anderen Art der Lässigkeit verhilft.

Im perkussiven ‚Beyond the Sun‚ klingt das mit dezenten Folk-Sprengseln dann, als würden Midlake sich nicht in anachronistischen Melodien verlieren, sondern diese aus der Ferne beobachten und mit geschlossenen Augen um den Kern des Songs kreisen. Selbst im romantischen ‚It’s You‚ wirken The Coral damit kantiger als bisher, abgebrühter regelrecht.
Die Verspieltheit funktioniert nun kaum noch sorglos, und vor allem in der Kennenlernphase vermisst man auf ‚Distance Inbetween‚ die Leichtigkeit der schmissigen, simplen und sofort zündender Melodien der Platten mit Bill Ryder-Jones durchaus.
Doch zum Einen hat die Band Ohrwürmer ja ohnedies nicht verlernt – ‚Chasing the Tail of a Dream‚ (übrigens ein generell schönes Bild für die generierte Ausstrahlung von ‚Distance Inbetween‚!) mit seinem abenteuerlustigen Solo oder der beatleske Technicolor-Pop von ‚Miss Fortune‚, das mit prägnant auftretendem Gitarrenhaken in abgespacte Sphären abhebt, sind nichtsdestotrotz absolut wundervoll herausagende Singles – wenn auch nicht die Art supercatchy infizierender Instant-Killer-Hits, wie sie die bisherigen Alben der Band eigentlich immer abgeworfen haben.
Aber zum Anderen hatte ja bereits der schillernde direkte Vorgänger ‚Butterfly House‚ die Gewichtung weg von den Ausnahme-Highlights hin zum großen Ganzen verschoben, zur raumfüllenden Nachhaltigkeit und zum aus der verhaltenen Erstwahrnehmung herauswachsenden Grower-Status. Und genau dort setzt auch “Distance Inbetween‚ an – allerdings eben nicht als buntes Schmetterlings-Sonnenaufgang, sondern als Nacht-äquivalente Annäherung.
Selbst wenn ‚Distance Inbetween‚ nach dem ätherischen ‚She Runs the River‚ auf den letzten Metern dabei ein wenig zerfahren die zwingende Sogwirkung abhanden kommt, haben sich The Coral nach langer Auszeit entlang einer trügerischen Lieblichkeit und unterschwellig rebellischen Attitüde erfolgreich einer Frischzellenkur unterzogen, ihren Sound ein gutes Stück weit neu erfunden und neue Facetten abgerungen. In gewisser Weise drängt ‚Distance Inbetween‚ damit förmlich die Plattitüden auf: So klingen Bands, die die unbeschwerte Unschuldigkeit und Fröhlichkeit ihrer Jugend zu weiten Teilen gegen Erfahrung getauscht haben – vor allem solche, bei denen qualitätskonstante Zuverlässigkeit keine reine Unmittelbarkeit oder schnell zu durchblickende Vorhersehbarkeit mehr bedeutet. Wieviel Nachhaltigkeit das Songrwriting hinter dieser Entwicklung hat, wird jedoch der Zahn der Zeit beweisen müssen.

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