The Coral – Coral Island
Wäre Coral Island auf seinen essentiellen Song-Gehalt destilliert noch besser gewesen? Ja sicher! Aber dass The Coral aus ihrem zehnten Studiowerk ein konzeptionelles Doppelalbum gemacht haben, ist trotzdem eine erstaunlich famose Sache geworden.
Solche Hits wie auf ihren ersten Alben schreibt die Band ja schon lange nicht mehr, fängt auch auf Coral Island nicht wieder damit an. Trotzdem sind die insgesamt 24 Nummern am Stück ihrer 54 Minuten unter dem Strich die womöglich besten der Band seit Roots & Echos – zumindest aber sicher die rundesten und qualitativ kohärentesten seit vielen Jahren.
Das liegt weniger am geschlossenen Konzept um eine fiktionale Insel und deren Bewohner, als an einem Songwriting, das sich als so verdammt angenehm, entspannt und unaufdringlich zu hörende Angelegenheit entpuppt, wenn der retroaffinen 60s Pop der Band gleich von Love Undiscovered, dem flotter beschwingten Change Your Mind oder dem halluzinogener in der Lavalampen-Lounge schwofenden Mist on the River weg mit solch einem Händchen für charmante Melodien, unspektakulären Hooks und unaufregend-versierte Melodien aus dem Handgelenk geschüttelt wird, dass es schlichtweg entwaffnend ist.
Während Coral Island seinen Ausmaßen her ambitioniert sein mag – sich idealerweise selbst in eine Linie mit Werken wie dem White Album, Village Green Preservation Society oder Ogden’s Nut Gone Flake sieht – bleibt es von seinem sympathischen Inhalt her stets bescheiden bei den psychedelisch-eingängigen Tugenden von The Coral. Weswegen die Kompositionen von einer weniger offensichtlichen Hartnäckigkeit sein mögen, nichtsdestotrotz aber stets an unbekümmerten Ohrwürmern vorbeischrammen.
Vacancy shakt beispielsweise orgelnd und My Best Friend rumpelt ungeniert in die Hüften gehend, beide Nummern zeigen mit torkelnder Zirkus-Ausgelassenheit am Pier stellvertretend eine sonnige Sanftheit voller bittersüßer Nostalgie. Am schmeichelhaftesten wird diese übrigens im textlich mit den passenden Bildern ausgestatteten Old Photographs artikuliert, obwohl die Songs der zweiten (thematisch von den warmen Monaten des Jahres zu den kühleren Saisonen wechselnden) Plattenhälfte etwas mehr körperliche Physis zeigen, vor allem aber stimmungstechnisch weniger sommerlich auftreten, das instrumentale Spektrum dafür gefühlt auch subversiv erweitern. Golden Age rumpelt so etwa pfeifend, Land of the Lost hofiert eine Mundharmonika und The Calico Girl klimpert gefällig durch Bar. Die verträumte, reichhaltige Eleganz der Platte variiert insofern spielerisch, variiert mühelos zwischen dösenderer Nonchalance und einer dynamischeren Peppigkeit, stets enorm liebenswürdig.
Die wirklich herausragenden Highlights und Geniestreiche fehlen in diesem ausfallfreien Sammelsurium insofern vielleicht zwar. Und von den neun – selten die Minutengrenze überschreitenden – Interludes (aus dem Trance-Hall jenseits von Raum und Zeit gesprochen von Ian Murray, dem Großvater von James und Ian Skelly, als Erzähler und Inselguide) hätte es vielleicht nicht einmal die Hälfte als narratives Bindemittel wirklich gebraucht: sie bremsen den Fluss der Platte gelegentlich doch enervierend aus. Wohingegen sich die Musik drumherum immer wieder harmlos am Strand schunkelnd damit begnügt, zum Hintergrund-Soundtrack für imaginative Sehnsüchte zu werden.
Aber das tut der kurzweiligen Wirkung der Platte wirklich keinen Abbruch, im Gegenteil: Der Trip nach Coral Island ist ein im besten Sinne unspektakulärer, erholsamer Urlaub vom Alltag; eine naive Liebelei, die in einer konsequenzlosen Romantik schwelgen kann, weil The Coral hier inspiriert und motiviert klingen, wie man ihnen das wohl gar nicht mehr notwendigerweise zugetraut hat.
Kommentieren