The Breeders – All Nerve

von am 21. März 2018 in Album, Heavy Rotation

The Breeders – All Nerve

Wen bereits die beiden Pixies-Comebackwerke Indie Cindy und Head Carrier in (mal mehr, mal weniger euphorischen) Freudentaumel versetzen, der dürfte das erste Breeders-Album seit einer Dekade als kleine Offenbarung empfinden. Alle anderen können sich hoffentlich darauf einigen, dass All Nerve zumindest das wohl beste ist, was dem Indierock seit langer Zeit passiert ist.

Dafür braucht es auf dem Nachfolger des (guten, aber doch enttäuschenden) 2008er-Vorgängers [amazon_link id=“B001QZ7P9M“ target=“_blank“ ]Mountain Battles[/amazon_link] auch gar keinen herausragenden Mainstream-Killerhit der Marke Cannonball, keinen unsterblich im Schatten lauernden Fan-Evergreen in der Größe eines Off You. Weil hier jeder praktisch einzelne der elf versammelten (mal loser, mal enger im Fluss zusammengeschweißten) Songs mit etwas Hartnäckigkeit zwar wohl auch ansatzlos zu schmissigen Singles gebogen hätten werden können, wären den Breeders oder dem seinen frisch-direkten, rumpelig-rohen Trademark-Sound verordnende Steve Albini an derartigen Nostalgie-Zugeständnisse gelegen gewesen.
Stattdessen pflegen die Deal-Schwestern Kim und Kelley, Jim MacPherson und Josephine Wiggs – tatsächlich, das [amazon_link id=“B0000249TW“ target=“_blank“ ]Last Splash[/amazon_link]-Linup! – ein unterschwellig nervöses Songwriting, das in seiner ständig wandelnden Nonchalance durchaus an die Frühphase der Band erinnert, dabei aber den Sound von Title TK organisch adaptiert. Damit gelingt nicht nur der Spagat zwischen einer erfrischenden Jugendlichkeit (man höre nur die weiterhin weich-warm/rauh-sanfte Stimme einer niemals nach fast 60 Jahren klingenden Kim Deal) und einer alterweisen Souveränität im Auftreten – das transportiert in seiner abgeklärten Lässigkeit auch durchaus jene Unangestrengteit und Leichtigkeit, die den etwas zu bemüht wirkenden jüngeren Pixies-Alben phasenweise doch merklich abgingen.

Alles kann, nichts muss. So fühlen sich die superkurzweiligen 33 Minuten viel eher wie eine zutiefst vertraute Annäherung an energiegeladen-beruhigte Lieblingssongs an, denen man schon irgendwann in den 90ern mal verfallen sein könnte. Authentische Ohrwürmer, die sich mit all ihren kantigen Melodien und erfahrenen Hooks instinktiv erschließen, die All Nerve keinen Millimeter aus seiner Komfortzone wandernd aber vor allem am Stück als Grower positionieren, der ohne Ausfall verführt.
Nervous Mary pendelt sich erst langsam auf Deal ein, bevor die restliche Band einsteigt und der Song trocken nach vorne getrieben wird: Die Symbiose aus Bass und Schlagzeug arbeitet exemplarisch für den MO der Breeders dominant, während die Gitarren freigeistig um den erschaffenen Resonanzkörper schwirren, immer wieder zupacken. Der Chorus kommt da vielleicht wie die unbedeutendste Sache der Welt daher, ist aber absolut entwaffnend. Die erste Single Wait in the Car setzt dort (nun im Gesamtwerk noch besser aufgehend) nahtlos an, schichtet ihren Rhythmus immer wieder um, wirkt aber trotz ihrer aufkeimenden Dringlichkeit trotzdem nie gehetzt. Der Titelsong bremst den Fluss der zumeist im sorgsamen Midtempo cruisenden Platte dann aber ohnedies melancholisch gestimmt ruhiger aus, dreht die Schrauben nur kurzzeitig enger, bleibt aber vor allem versöhnlich.

Experimente laufen auf All Nerve höchstens in verdammt überschaubaren Bahnen ab. MetaGoth etwa rollt den Bass, die Gitarren umgarnen sich im Outlawmodus, Wiggs rezitiert beschwörend sinnierend „come closer“ , zieht in ihren Bann und mischt dabei ätherische Postpunk-Hypnosen mit Noiserock-Flair, bevor Spacewoman die Saiten über einen ambienten Synth-Hintergrund zirkelt, und die Breeders in einen schleppenden Groove verfallen, der spielerisch zwischen laut und leise wechselt, sich aber mit störrischer Wucht in seine bezaubernden Harmonien legt.
Das launige Walking With a Killer perlt, hat etwas unwirklich traumhaftes, ist wunderschöner Simplizismus, der so unaufgeregt und entspannt brodelt. Noch fantastischer gerät da nur die wunderbar entrückt-sphärische Shoegaze-Annäherung Dawn: Making an Effort, in der sich die Breeders mit Farfisa Orgel, körperloser Trance und minimalistischer Meisterhand über den oszilierenden Drone-Ansatz in die elegischen Gefilde von Slowdive und Co. zaubern, ihre Klasse mit purem Understatement zelebrieren.

Der Rest ist deswegen auch verdientermaßen ein reines Schaulaufen. Howl at the Summit gibt sich erst bockig zerfahren, bis sich plötzlich ein Refrain zum Niederknien rund um Erbverwalterin Courtney Barnett erhebt, doch die Breeders alle Fäden letztendlich doch wieder genüsslich auseinanderzwirbeln. Das Amon Düül II-Stück Archangel’s Thunderbird wird unbändig verspielt kurzerhand kompakt zur hauseigenen Nummer umstrukturiert, bleibt aber smooth zuckend und leger dängelnd der wohl schwächste Song im schlüssigen Gesamtwerk All Nerve.
Das schabende Skinhead #2 gibt sich immer wieder einem doomigen Druck hin, weiß: „Tough kids love sad songs/They sing along„, lässt dann aber wie der im Kontext etwas zu ziellos mäandernde Closer Blues at the Acropolis etwas zu unbedingt in der Luft hängen: Eine finale Eruption hätte der Platte eventuell eine befriedigendere Kontur verliehen.
Auch wegen dieser relativ unkonkreten Flüchtigkeit hinten raus entwickelt All Nerve jedoch eine klammheimlich in die Sucht führenden Hang zum Unspektakulären. Die Kompositionen sind überschaubar und überraschungsarm gehalten, aber bedienen geschickt nuanciert eine dynamische Bandbreite; variieren Tempo, Dichte und Konzentration; sind zugänglich und entgegenkommend und dennoch keineswegs handzahm, sondern immer wieder gegen den Strich gebürstet. All Nerve ist aufgeräumt und überlegt, gleichzeitig jedoch auch dreckig und giftig, so archaisch und intuitiv wie schlichtweg liebenswert – keine Reproduktion alter Großtaten, sondern die mehr als würdige Erweiterung einer zeitlos guten Discografie.
It’s exactly what we should have been doing in nineteen-ninety-fucking-five“ sagt Deal und bringt die Dinge einer innovationslosen, aber dafür umso versierter in den eigenen Hoheitsgebieten streunenden Platte auf den Punkt, formuliert jedoch eigentlich bereits im Titelsong perfekt die Gefühle, die All Nerve evoziert: „You don’t know how much I miss you„.

[amazon_link id=“B078WWSRPJ“ target=“_blank“ ]Vinyl LP auf Amazon[/amazon_link] | [amazon_link id=“B078WWR7LZ“ target=“_blank“ ]CD auf Amazon[/amazon_link] | [amazon_link id=“B07876PWNW“ target=“_blank“ ]MP3 Download auf Amazon[/amazon_link]

Print article

3 Trackbacks

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen