Tall Ships – Everything Touching

by on 12. Oktober 2012 in Album

Tall Ships – Everything Touching

Drei Jungspunde aus Brighton erforschen neugierig, was die Welt zwischen Math-, Post- und zackigem Indierock alles für sie an Überraschungen parat hält. Für’s erste finden sie dabei zehn erstaunlich kunstvolle Songs, die sich ganz und gar nicht gegen ihren untrügbaren Hitappeal wehren, aber eben auch in glänzender Elegie zu schwelgen verstehen. Ein fantastischer Einstand jedenfalls.

Um zu entdecken, wie gut die Schnittmenge zwischen massentauglichen Hits für die Indie-Disco und vertrackten Kompositionen für die Muckerfraktion funktioniert, dafür brauchen Tall Ships keine vier Minuten: ‚T=0‚ repetiert sein an Lite-geschultes Riff bis dieses die Tore in epische Post-Rock Gefilde immer weiter in die Breite zieht, instrumentale Rockbands wie Russian Circles oder And so I Watched You From Afar stehen klar Pate, aber die Stimmung kippt dann doch noch derart einnehmenden ins wohlig zappelige, dass keiner mehr still sitzen oder den Mund halten kann. Tall Ships können und wollen auch tanzen, aber nicht zu plump und schon gar nicht um jeden Preis Sie haben sich in die Dualität von kompakten Songs mit einer natürlich ausladenden Zwangslosigkeit verliebt, die stets weiß, was sie will, aber bis zum Ziel auch überall Halt machen könnte. Und weil das schon im ersten Anlauf so gut klappt, bauen Tall Ships eben gleich ein ganzes Album um diese Eckpfeiler auf, bringen dazu aber den schlauen Kniff, den Gesamtfluss von ‚Everything Touching‚ als dynamisches Wechselspiel im Auge zu behalten und nirgendwo zu lange zu verweilen.

Für ‚Best Ever‚ hat das Trio sich Ratschläge von den Math-Robotern Battles geholt,das erste Mal (aber bei weitem nicht einzige Mal) zur echten Konkurrenz für  Kollegen und Vorreitern wie The Cast of Cheers oder Foals werden Tall Ships mit ‚Phosphorescence‘, in dem sie gnadenlos ihr Talent ausspielen, zupackende Melodien und einnehmende Hooklines prägnant und knackig, aber doch nach allen Seiten hin offen zu inszenieren und die gerne einmal angedeutete Brachialität mit einer feinen, filigranen Vorliebe für elegante Songkathedralen ohne Prunk ausgleichen. Und wer außerdem eine Ahnung davon hat, wie man unterstützenden Backgroundchöre derart oft so angenehm subtil einflechten kann, ohne den Gänsehaut-Moment auf Dauer auszureizen, macht ohnedies verdammt viel richtig. Auf ‚Everything Touching‚ wachsen die überlebensgroßen Momente wie alles hier als natürlichste Sache der Welt, wenn sorgsam ausgetüftelte Kleinode nach Ekstase und Anmut gleichzeitig zu greifen beginnen und man ruhig mal um ein paar Ecken denken darf, ohne deswegen verkopft zu sein.

Tall Ships verarbeiten ihre ausladenden Visionen sympathisch unkompliziert und zugänglich, Ruhephasen wie der reduzierte, beinahe delirante Beginn in ‚Ancestors‚ sind hier meist nur Aufwärmphase für folgende Endorphinabfahrt. Ist ‚Everything Touching‚ doch eine unheimlich beflügelte, stimmungserhellende Platte geworden, eine, die keine Party veranstalten will, sich aber nicht zu schade dafür ist, ein Stück weit entgegen zu kommen um noch weiter in den vielschichtigen Soundkosmos der drei Briten zu entführen. Der unverwüstliche Chartbreaker ‚Gallop‚ setzt deswegen die Drums von Dry the River in Flammen und poltert seinem Titel alle Ehre, steht stellvertretend für die ungezügelten Melodiefeuerwerke, welche den aufgedrehten Math der Briten ins Rampenlicht der Formatradiostationen zerren, wo am Ende dann doch ein ‚Idolatry‚ als flächiger Keane-Moment in traumverschobener The Antlers-Stimmung wartet und seine wehmütige Stimme sehnsuchtsvoll in den Sterenenhimmel haucht.

Womit Tall Ships auch das überragende Finale ihres Debütalbums einläuten, worauf das Bindeglied ‚Send News‚ zu (dem, wie alles hier, seit seinen ersten Versionen grundveränderten, ganz und gar nicht mehr als Electro-Raver durchgehenden) ‚Books‚ weiterleitet, und tatsächlich hat man sich den besten Song doch beinahe bis zum Schluß aufgespart: eine nach vorne gehende, in purer Vergänglichkeit verglühende Schönheit mit weit ausgebreiteten Armen, dramatisch und einnehmend, optimaler bringen Tall Ships ihre Absichten nicht zum Punkt. Dass das plötzlich dem pumpenden Beat in ‚Murmurations‚ Platz machen muß gehört aber ebenso zu den unerwarteten Hackenschlägen auf ‚Everything Touching‚ wie der folgende majestätische Aufbau des Songs, die Atmosphäre und Spannung sorgsam auf über neun Minuten ausbreitet und schließlich im alles erlösenden Höhepunkt einer Platte aufs friedlichste entlädt, dazu die dichte, erfüllende – aber doch zu kantenlose – Produktion von Jamie Field und Master-Mastermind Jeff Lipton (Battles, Bon Iver, Arcade Fire) zusätzlich unterstreicht. Große Namen also, die sich im Umfeld der Labelkollegen von Minus The Bear, Cursive oder Andrew WK tummeln. Zurecht, geben Tall Ships hier nach zahlreichen vielversprechenden Singles und EP’s doch mehr als nur eine Talentprobe ab, eher ein Versprechen, dass diese Band früher oder später durch die Decke gehen wird müssen: ja, die drei werkeln an wahrhaftig großen Songs.

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