Swans – The Beggar
Michael Gira ist das sechzehnte Studioalbum der Swans angegangen, als wäre es sein letztes. The Beggar gerät dadurch geradezu erlösend – besinnlicher und ruhiger, versöhnlicher und zugänglicher, ja so rundum positiver, als man das dies selbst nach Is There Really A Mind? für möglich gehalten hätte.
Noch einmal: damit, dass The Glowing Man so dezidiert als Ende einer Ära proklamiert wurde, nur um mit Leaving Meaning. ein mehr oder minder typisches, jedoch in seiner soliden Art allerdings auch unterwältigenes Werk vorzulegen, ja damit hat Gira niemanden, um am wenigsten dem 2019er Album an sich, einen Gefallen getan.
Erst The Beggar Lover (Three), ein 44 minütiges Album im Album, erntet nun gewissermaßen auch die Früchte von Leaving Meaning., indem Gira hier als Fortsetzung von Number One Of Three und Look At Me Go eine Collage aus Vergangenheit und Zukunft kreiert, eine „combination of previously recorded elements from Swans music, new recordings made specifically for the piece, and ‘found’ non-musical sounds […] trying to forge a soundscape that is dynamic, moves forward, and has psychological friction and resonance”.
Ein sinfonisches Monstrum, das unendlich anschwellende Gitarrenwände, cinematographische Samples, retrofuturistisch walzenden Dystopien, bekannten Motiven und beschwörende Volumen dieser hier neu forcierten Freundlichkeit in der Atmosphäre voller heller Chöre jenseits aller Post-Avantgardismen zu einem schlüssigen Ganzen assimiliert, so sehr physische Erfahrung mit religiöser Intensität ist, wie das Swans-Musik abseits der Bühne und auf Tonträger gebannt nur sein kann. Ein schwarzes Loch, ein Moloch und Trip – das sich eben auch aus Leaving Meaning. speist. Aber auch eigentlich nicht wirklich repräsentativ für das Wesen von The Beggar.
Den das zeigt die Swans so nahe an den Angels of Light – und Gira über weite Strecken vielleicht so sehr am Prinzip Pop orientiert! -, wie es dem 69 jährigen wohl möglich ist: „After numerous pandemic-induced cancellations of tours for the previous Swans album leaving meaning, and an apparent bottomless pit of waiting, waiting, waiting, and the strange disorientation that came with this sudden but interminable forced isolation I decided it was time to write songs for a new Swans album and forget about everything else. They came relatively easily, always informed by the suspicion that these could be my last. When I finally was able to travel, songs in hand, to Berlin to work with my friends recording this record, the feeling was akin to the moment in The Wizard of Oz when the film changes from Black and White to Color. Now I’m feeling quite optimistic. My favorite color is pink. I hope you enjoy the album.”
Und ja, genau das tut man: The Beggar ist so einladend, kurzweilig und ohne Kraftakt unterhaltend wie nur wenige andere Swans-Werke, introspektiv und gleichzeitig sehr offen in der Prägnanz seiner Aussagen, zumal das Schicksal der Person Michael Gira nun endgültig synonym mit dem Schicksal der Band gesetzt wird.
Das verhältnismäßig karge, abgekämpft am Dark Folk lange auf Gesang und Gitarre reduzierte, wahlweise sakral oder heidnisch seine Melancholie klagende The Parasite nimmt den Faden der Vorgänger dabei stimmungstechnisch erst noch relativ nahtlos auf, doch sobald Gira zur Mitte hin in einem ätherischen Synth-Meer voll pastoraler Drone-Elegie badet, wandelt sich der MO typischer Swans-Manierismen. In Paradise Is Mine nimmt ein verführerisch sanfter Groove mit märchenhaft gespenstischen Harmonie-Gesängen an der Hand, selbst eine martialische Kante unterspült im hypnotischen Stoizismus überraschend smoothen, bevor das feierlich von weiblichen Damen im Hintergrund balsamierte Los Angeles: City of Death eine jubilierende Grandezza zeigt, die an den späten Nick Cave denken lässt, derweil beim hoffnungsvoll bimmelnden, subtil hymnischen Michael Is Done eher The Polyphonic Spree als Referenz herhalten, wiewohl Gira keine Abstraktion mehr zwischen seiner Person und dem Status Quos der Band macht, etwas scheint wie ein Tumor zu wuchern: „When Michael is gone/ Some other will come“. Ein interessanter inhaltlicher Kniff – wenngleich nicht unbedingt universell abholend.
In Unforming, einer angenehm tröstenden Americana-Trance, fordert er symptomatisch und erfolgreich „Freedom from fear!“, und das Titelstück nimmt leicht angejazzt an Fahrt auf, zieht als nonchalanter Post Punk mit mysteriöser Leichtigkeit Behörde stapfend. Aus dem warm und weich einladendenden No More of This hätten andere, wie Paul Weller, unter einem optimistischen Sternen-Himmel eine soulige Ballade mit melodisch oszillierenden Gitarren und geschmeidigen Ladies samt Stadion-Ambitionen gemacht – hier bleibt alles vage, bis die Band in einen Pink Floyd’esken Marsch rezitierend kippt. Der märchenhaft Anachronismus Ebbing schreitet in schunkelnder Midsommar-Folklore, friedlich und im Reinen mit sich selbst, die bluesige Geisterwelt des geduldig verspielten Why Can’t I Have What I Want Any Time That I Want? anvisierend.
Eine Ausrichtung, die vielleicht nicht die kasteiende Intensität der größten Swans-Meisterwerke erreicht, die dem Schaffen der Band aber ebenso eine faszinierende, essentielle Facette hinzufügt, wie es dem emotionalen Portfolio aufhellende Schattierungen beibringt, die im Fall der Fälle tatsächlich einen so versöhnlichen, runden Abspann hinter die Karriere von Gira setzen würde.
Dass The Beggar dabei seinen idealen Schlusspunkt eigentlich verpasst, weil der geschmeidig stampfende Groove von The Memorious mit seiner psychedelisch-hypnotischen Gitarrenlinie und der nirgendwohin findenden Aufbruchstimmung nach dem wunderbar jazzig verträumt zur Ruhe gelegten The Beggar Lover (Three) wie ein redundanter Epilog wirkt (oder zumindest als solcher im ansonsten runden Fluß deplatziert ist), ist irgendwo fast schon Ironie des Schicksals. Oder ein Signal an Album Nummer 17?
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