Swans, Pharmakon [17.10.2014: Arena, Wien]

by on 18. Oktober 2014 in Featured, Reviews

Swans, Pharmakon [17.10.2014: Arena, Wien]

Laut, lauter, Swans: mit welch erschütternden Intensität Michael Gira und seine Band die Arena zum Beben bringen, ist außerkörperlicher Trip und physische Grenzerfahrung gleichermaßen. Dass Pharmakon davor bereits ein spezielles Irrsinnsspektakel der Extraklasse abzieht, gerät da beinahe in den Hintergrund.

Weil Margaret Chardiet pünktlich um 20.00 Uhr auf der Bühne steht (und damit jenen Teil des zu spät kommenden Publikums, das generell eher auf später als angesetzt beginnenden Arena-Konzerte konditioniert zu sein scheint auf dem falschen Fuß erwischt) gerät die Aufwärmrunde des Abends zur nicht rappelvoll besuchten Tour de Force. Allerdings wirkt es ohnedies so, als würde es für Chardiet keinen Unterschied machen, ob sie für eine oder fünfhundert Seelen ihren gnadenlosen Ritt durch die Höllenwelt ihres Alter Egos Pharmakon ausspeit.
Als Chardiet während ‚Bestial Burden‚ von der Bühne springt und durch eine Menge streift, die sich schnell um das Spektakel rottet, später wie ein wilder Stier „I don’t belong here!“ (vielleicht versteht man erst nach einem Konzert dieser Frau, wieviel Wahrheit in dieser Feststellung liegt) brüllend auf und abläuft, von extremer Interaktion bis verwundertem Unverständnis die volle Bandbreite an Reaktionen seitens einer eigentlich abgehärteten, im Momentum aber doch auch überforderten Hörerschaft provoziert, sollte aber klar sein, dass die Industrialkur rund um die Songs des gleichnamigen Studioalbums eine katharsische Grenzerfahrung für alle Beteiligten ist, auch für das Publikum. Die Noiseloops der 23 jährigen wummern unter die Haut gehend, die Bühne glüht in fiebrigem Rot, Chardiet wirft sich in schwarzen Lederhandschuhen wie ein besessener Black Metal-Brüllwürfel durch die Gegend: die Amerikanerin steht merklich unter Strom. Am Ende kniet sie am Bühnenrand, streicht einzelnen Personen im Publikum mit vernichtendem Blick über die Wange (jeder einzelne versucht übrigens eisern den Augenkontakt nicht zu unterbrechen) und verschwindet nach knapp einer halben Stunde mit einem kurzen Nicken von der Bildfläche: ein wenig so, als wäre der Teufel gekommen um die Beichte abzunehmen.
Pharmakon Live
Das ist verstörend und intensiv. Und trotzdem regelrecht versöhnlich gegen das, was Michael Gira und seine Swans auf ihr aktuelles Meisterwerk ‚To be Kind‚ aufbauend in den folgenden 160 Minuten zelebrieren sollten. Der Opener ‚Frankie M.‚ beginnt als ausladende Percussionsession – und wird erst knappe 45 minuten später als kakophonisches Kontinentalplattenverschieben des Avantgarde Rock enden. Die Musiker der Band kommen nach und nach auf die Bühne, verdichten ihre Schichtungsmusik von der Proformancekunst zum monströs dröhnenden Gebilde, dulden keine Kompromisse. Als Michael Gira nach einer Viertelstunde erscheint, brandet der lauteste Applaus auf, den das Mastermind mit grimmigem Blick und abwinkender Geste wegwischt, seine Band aber mit ernster Konsequenz in einen Rausch aus drängendem Groove und einer schier bestialischen Lautstärke hineinführt. Ernsthaft: um nur halbwegs adäquat zu vermitteln wie niederringend das Auftreten der Swans ist, müsste jeder einzelne folgende Buchstabe in Großbuchstaben und eigenem Rufzeichen versehen werden. Leute stopfen sich alles mögliche in die Ohren um den Soundwellen standzuhalten, flüchten gar aus den vordersten Reihen. Auf Platte ist diese Band bereits monströs. Live aber nichts anderes als eine schier übermannende Urgewalt, die einem die Earplugs zerfetzt und Gehörgänge zertrümmert. Oder anders: wo zu Beginn des Sets noch vereinzelt getratscht wurde, stopfen die Swans mit einer beispiellosen Wucht die Mäuler der Schwätzer; wo das Publikum erst noch dicht gedrängt vor der Bühne stand, lichten sich die Reihen zunehmend.

Swans Live 1

Bis zum Ende mit ‚Bring the Sun‚ und ‚Black Hole Man‚ braucht es an diesem Abend eine unbedingte Ausdauer und enormes Stehfleisch für den apokalyptischen Malstrom, der im Rahmen seiner Erscheinung zwar regelrecht kurzweilig, aber natürlich übermannend wirkt – denn Michael Gira (bedankt sich gelegentlich in nicht einwandfreiem Deutsch und fordert mehr Licht, um das Publikum sehen zu können) ist in Spiellaune: fungiert als Dirigent und zeigt an, welche Instrumente er lauter gespielt haben will, timt Einsätze mit energischen Sprüngen. Dann wieder verfallen seine Arme während ‚Oxygen‚ in einen wild schlängelnden Thom Yorke-Ausdruckstanz, er dreht sich zum Publikum und wackelt mit dem Hintern, während der erdrückende Groove seiner Band den Zuhörern das Fleisch von den Knochen schabt. Thor Harris bearbeitet als imposanter Wikingerhühne längst oben ohne sein Instrumentarium, der Rest der Band driftet in erschlagendem Stoizismus durch weit, weit ausladende Spannungsbögen, die von ihrer repetitiven Macht und monolithisch unverrückbaren Präsenz leben.  Die Kleidung vibriert da am Körper, die Ohren drönen, nicht wenige Zuhörer treiben wie unter Hypnose durch die überlebensgroßen Klanggebilde. Und natürlich: Trillerpfeifeneinsatz oder vages Schellenrascheln kann man prätentiös finden. Aber abseits davon stimmt es 2014 vielleicht mehr denn je: Swans live zu erfahren heißt nicht nur, eine Band zu hören, die klingt wie keine andere da draußen – es heißt auch eine Band zu fühlen, die ihre Musik auf physische Art greifbar macht wie keine andere.

Setlist (ohne Gewähr):

Frankie M.
A Little God in my Hands
The Apostate
Oxygen [?]
Just a Little Boy (For Chester Burnett)
Don’t Go
She Loves Us [?]
Bring the Sun/ Black Hole Man

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