Sunn O))), Big Brave [05.09.2016: Arena, Wien]
Wenn Lautstärke zur physischen Präsenz wird, die bis ins Mark erschüttert; jeder Anschlag zur bedeutungsschweren Metal-Geste mutiert und Zeit ohnedies zum relativen Malstrom gerät – dann laden Sunn O))) zum puren Drone-Passionsweg.
Die Arena ist gut besucht, aber doch nicht so voll, wie man sich das aufgrund einer Audienz der Genre-Großmacht um Stephen O’Malley und Greg Anderson erwarten würde. Dazu lichten sich die ersten Reihen im Verlauf der knapp zweistündigen Intensivkur merklich: Sunn O))) verlangen eben vom Publikum mindestens ebenso viel Durchhalte- und Stehvermögen wie von sich selbst, treiben kontinuierlich entlang der Schmerzgrenze. Wer wahnsinnig genug war ohne Ohrenstöpsel vor die Band aus Seattle zu treten, wird sich verzweifelt Taschentücher in die Ohren stopfen, und dennoch mit kapitulierenden Gleichgewichtssinn die Flucht nach hinten antreten; selbst wer vernünftig genug war, sich am Eingang die Audiopräservative mitzunehmen, wird diese dennoch immer wieder nachjustieren und nichtsdestotrotz noch am nächsten Tag von einem schwindelerregenden Dröhnen begleitet werden.
Denn mehr noch als wenige Tage zuvor in Helsinki heißt es an diesem Abend ohne gravierend wohlwollende Ruhephasen auszukommen: Sunn O))) sind mit einer Armada an Verstärkern im Rücken die gewaltige, erhabene und ehrfurchtgebietende Essenz von Lautstärke, die einem das Gewand schlackern und die Magengruben vibrieren lässt. Schallwellen werden da tatsächlich fühlbar und die Transzendenz zur physischen Erfahrung. Sunn O))) rühren einen Kraftakt an, den man gespürt und erlebt haben muss, um ihn zu begreifen; der sich freilich nicht nacherzählen lässt, und der live noch um so viele Dimensionen mächtiger ist, als es jede Form der Dokumentation je erfassen könnte.
Auch die den Abend stilgerecht eröffnenden Big Brave erarbeiten sich ihre Existenzberechtigung auf der Bühne noch nachhaltiger, als auf ihren bisherigen zweieinhalb, sehr feinen Studioalben. Und doch kann das von Frontfrau Robin Wattie (die mit ihrem verzweifelten Gesang nicht selten an Julie Christmas erinnert) angeführte Trio an diesem Abend nicht ganz gegen das Gefühl anspielen, dass den typisch langen, typisch stoischen, typisch malmenden Nummern der Band aus Montreal einfach ein Quäntchen Genie fehlt. Sei es nun die eine zündende Idee, die ausbrechende Melodie aus dem stets so gleichförmig dahinlaufenden Sog, oder das Nuancierte in dem nur wenige Höhepunkte kennenden Songwriting, das sich in all seiner Souveränität eben zu nahe an der Genre-Blaupause bewegt. Am deutlichsten wird dies im Setlistcloser, der sich wie ein niemals zum Ausbruch kommendes Brodeln um den heißen Brei anfühlt, und schlichtweg unbefriedigt entlässt.
Wirklich schwach ist der Aufguss des Trios bei seinem punktgenauen Ende um 20.40 Uhr so zwar zu keinem Zeitpunkt gewesen – er zeigt nur eben auf, wie konventionell Doom Metal selbst in dermaßen fähigen Händen geraten kann. Vielleicht brauchen Big Brave aber auch schlichtweg noch mehr Zeit, um das unabsprechbar vorhandene Potential tatsächlich zu kanalisieren.
Von Konventionalität kann bei der fordernden Prozession von Sunn 0))) kurz darauf keine Rede mehr sein – wie die live zum Quintett gewachsenen Klangarchitekten in dem über 2 Stunden ununterbrochen dahinfließenden Rausch Extreme auf die Spitze treiben, Gitarrenschichten um Gitarrenschichten minutiös verschieben, repetieren, malträtieren, hypnotisieren und auch vor prätentiösen Szenen nicht zurückschrecken lassen: Sunn O))) deklinieren ihren Ausnahmestatus mit improvisatorischer, majestätischer Unverrückbarkeit entlang einiger vage zur verortender, durch geänderte Licht-, Besetzungs- oder Gangart die Ausrichtung verschiebender die Eckpunkte des Abends bildende Passagen oder Movements geduldig durch: Eine wummernde Trance.
Phase 1 okkupiert die von einer beachtlichen Verstärkerarmada besetzten Bühne und taucht die gesamte Arena in eine beinahe undurchdringliche Nebelwand: Sunn 0))) erschaffen den okkulten Habitat, um ihr monolithisches Gebräu inszenatorisch in ein mystisches, schemenhaftes Stimmungsbild zu tauchen – in dessen Mitte irgendwann plötzlich Attila Csihar auf der Bühne steht und eine zwischen angsterfüllendem Grabesgesang und dämonischem Gebeten anschwellende Acapella-Beschwörung aufzieht. Seine intonierende Bandbreite wechselt vom feierlichen Unterweltchant zur gurrenden Messe. Eine Präsenz, die mit besessenen Gesten in ihren Bann zieht, fesselt. Wo hier der Exorzismus endet und die Teufelsbeschwörung beginnt ist nicht auszumachen. Nahezu unbemerkt tauchen auch die Umrisse von Anderson, O’Malley, Tos Nieuwenhuizen und Steve Moore (The Lord, Soma, Tos und Stebno) an zwei Moogs und drei Gitarren auf der Bühne auf und überstülpen den Nebelmorast mit unerbittlichen Drone-Teppichen von beispielloser Dichte, Schubkraft und Intensität.
Etwa nach etwa knapp 40 Minuten wechselt die Beleuchtung von gefährlichem Rot zu einem wohlwollenderem grün, Attila schleicht von der Bühne, während der restliche Organismus Sunn 0))) die Soundwand lüftet, mehr Ambient zulässt, mit Trompete gar zum jazzig wehklagenden Martyrium schielt. Man darf also durchaus von einem gewissen Abwechslungsreichtum sprechen. Später verabschieden sich irgendwann bis auf O’Malley und Anderson auch die restlichen Zahnräder dieses geduldig werkenden Monstrums, was den Blick auf eine archaische Urform der Gruppe zulässt, in der die beiden Bandköpfe die konzentrierte Destillation ihres Sounds merklich zelebrieren: Da kreuzen sich Gitarrenhälse, werden Fäuste in die Luft gereckt, man prostet der Menge zu, die jedes vertraut wirkende Riff, jedes Déjà-vu mit ehrfürchtiger Freude wahrnimmt.
Überhaupt ist der Abend hinten raus nicht durchwegs so bierernst, wie er eingangs installiert wurde. Da werden zurückkehrende Musiker auf der Bühne mit Arschtritten willkommen geheißen, oder die (nicht selten viel zu laut zu hörende) Trockeneismaschine so umpositioniert, dass die vorderste Reihe permanent Nebel zu fressen bekommt.
Zum nicht ohne Längen auskommenden Finale kehrt die Theatralik aber noch einmal in schillerndem Gewand zurück – der im Verlauf spontan von der Bühne dirigierte Attila stackst mit Agharti-Dornenkrone und spiegelnden Scherbenkleid für ein letztes, halbstündiges Crescendo zu den restlichen Kuttenträgern, windet sich bedeutungsschwer über den Boden, obgleich sich der Gesang des Ungarn gegen die alles übertönenden Drone-Göttlichkeit schon längst nicht mehr durchsetzen kann, seine Anwesenheit eher zum beeindruckenden Gesamtkonzept der Performance gehört – und dennoch demaskiert sich das Mysterienspiel letzten Endes geradezu freudestrahlend: Die Band liegt sich ohne Kapuzen lachend in den Armen, feiert mit dem enthusiastischen Publikum und wankt im gleissenden Licht erschöpft von der Bühne. Dass danach niemand eine Zugabe fordert, ist bis zu einem gewissen Grad dennoch auch reiner Selbstschutz.
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