Sun Kil Moon – Among The Leaves
Nicht erst der Vorgänger ‚Admiral Fell Promises‚ hat die Frage aufgeworfen, wo die Trennlinie zwischen Mark Kozelek als Solomusiker und seinem Bandprojekt Sun Kil Moon verläuft. Das fünfte Studioalbum der theoretischen Red House Painters Nachfolgegruppierung umgeht diese Thematik, indem plötzlich eine nicht geringe Prise persönlicher Humor mit im Spiel ist.
Was man von ewig niedergeschlagen wirkenden Kozelek ja nicht unbedingt gewohnt ist. Und natürlich ist ‚Among the Leaves‚ keineswegs eine fröhliche Angelegenheit. Viel eher streift der Mann aus Ohio wieder so unnachahmlich zart über folkige Gefilde der Melancholie, streichelt seine Songs so lange zärtlich aus der Depression, bis die Tränen getrocknet sind und man erhaben dem nächsten Nervenzusammenbruch entgegen blicken kann. Den Spagat zwischen getragen inszenierter Reduktion, zwischen majestätischer Strahlekraft und heilendem Seelenbalsam in Songform macht Kozelek noch immer niemand vor. Doch entscheidet sich der ehemalige Red House Painters-Vorstand zum ersten Mal für keine klare Linie: ‚Among the Leaves‚ ist nicht die reine Eleganz wie das spanisch gepickte ‚Admiral Fell Promises‚, nicht die bedrückende Dichte von ‚April‚, nicht die schwere Annäherung an galante Rocksongs von ‚Ghosts of the Great Highway‚ und nicht die eingängig-nerdige Indie-Verneigung von ‚Tiny Citys‚ – sondern von allem ein bisschen. ‚Among the Leaves‚ setzt sich zwischen all diese Phasen von Sun Kil Moon, wirkt dabei nicht selten wie der muntere Frühjahrsputz in Kozeleks unermüdlicher Schaffenskraft als Songwriter.
Nicht so konsequent wie auf ‚Admiral Fell Promises‚ verzichtet Kozelek auf jegliches Instrumentarium abgesehen von seiner Nylon-Gitarre, doch nur selten öffnen sich die Songs für die restlichen Bandmitglieder/temporären Erfüllungsgehilfen Mooney, Koutsos und Stanfield: ‚Among the Leaves‚ öffnet die Grenze zur reinen Soloplatte sogar noch eine Spur weiter, als sein Vorgänger. Denn plötzlich sitzt Kozelek der Schalk im Nacken. Das hat weniger damit zu tun, dass ‚Track Number 8‚ erst an elfter Stelle kommt und dass Titel wie ‚The Moderately Talented Yet Attractive Young Woman vs. The Exceptionally Talented Yet Not So Attractive Middle Aged Man‚ oder ‚Not Much Rhymes With Everything’s Awesome At All Times‚ vergeben werden. Aber wie Kozelek über seine eigene Vergangenheit sinniert und nicht mehr nur Verflossenen nachweint, trägt plötzlich ein süffisanntes Grinsen im Gesicht: „Sunshine in Chicago really makes me sad/My band played here a lot in the 90s when we had/lots of female fans, and fuck they all were cute/Now I just sign posters for guys in tennis shoes.” Kozelek hassliebt England („I’ve got a record to make and a promise to break / A tour in England, a smile to fake.„) und mag noch nicht einmal alle die von ihm geschriebenen Songs („It’s a chore to write half a dozen/ Some guys lay back and rest on their laurels like lazy old hacks/ Well I wrote this one and I know it aint great/We’ll probably sequence it track number 8.„). Doch selbst dann, wenn Kozelek an alte Freunde erinnert („All summer he wouldn’t return my calls / Hey Richard, I’d like my guitar back by fall„) und verstorbenen Kollegen die Ehre erweist („Songwriting costs, it doesn’t come free / ask Elliott Smith, ask Richie Lee„), tut er dies ausschließlich in wohlbekannten depressiver Grundstimmung, in der man den eigentlich Niemals-Fröhlichen sonst kennt, sondern eben: beschwingt, locker, aus dem Hüftgelenk heraus.
‚Among the Leaves‘ nimmt sich das Recht heraus, ein einziges, befreites Luftholen in der Discographie von Sun Kil Moon zu sein. Es funktioniert als homogen fließende Songssammlung besser denn als stringentes Album, auch, weil 17 Songs in 73 Minuten nicht eine zwanzigminütige Bonus CD mit alternativen Takes gebraucht hätte, sondern eventuell etwas mehr Fokus. Doch gerade dieser ist auf ‚Among the Leaves‚ im Breitenspektrum justiert, überall dürfen die Songs über ihre Ufer treten, das reiht gleich zur Eröffnung die makellose Schönheit von Kozelek-Songs (‚I Know It’s Pathetic but that Was the Greatest Night of My Life‚) direkt an nachdenkliche Eingängigkeit (‚Sunshine in Chicago‚) und eine beinahe verträumt offensive Direktheit (‚The Exeptionally….‚) seiner Schaffenskunst und lässt trotzdem noch Platz für solch reichhaltig inszenierte Beinahe-Poprocker wie den streichergestützten Titelsong. ‚Among the Leaves‚ gefällt sich als das abwechslungsreichste Kil Moon Album bisher, und in gewisser Weise eben auch als das amüsanteste bisher. Die alte Faustregel gilt natürlich weiterhin: Kaum jemand verabreicht den Klos im Hals anmutiger als Kozelek. Und letztlich ist es mittlerweile egaler denn je, unter welchem Banner er dies tut. Es muss nicht Kozelek drauf stehen, um Kozelek in Reinform zu beinhalten.
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