Sufjan Stevens – The Ascension

von am 29. September 2020 in Album

Sufjan Stevens – The Ascension

Die esoterischen Odysseen Planetarium und Aporia haben zwar die Notwendigkeit von wesentliche Tugenden vor Augen geführt, deswegen aber nicht den Fokus von The Ascension geschärft: Sufjan Stevens schreibt im Elektrogewand wieder schöne Songs, verliert diese aber in der Unverbindlichkeit des Indietronica-Artpop.

Obwohl sich Stevens das überlange My Rajneesh ohnedies als alleinstehende Single aufgespart hat, hätte The Ascension bei einer Spielzeit von beinahe eineinhalb Stunden immer noch drastisch gekürzt werden müssen.
Sicher ist diese Ausführlichkeit auch Ausdruck davon, dass der 45 Jährige sich zehn Jahre nach The Age of Adz mittlerweile in elektronischen Gefilden, zwischen fiependen Beats, verzerrten Rhythmen und mit Effekten belegten Melodien, selbstsicher fühlt und flächig auszubreiten versteht, wo der ästhetische und stilistische Vorgänger zerschossen und angestrengt war. Nun lässt Stevens seine Songs hinten raus sogar noch strukturoffen von der Leine, so sehr vertraut er ihnen, so wohlig ist das homogene Umfeld, das ihn mit all den Gegebenheiten der realen, zerbrechenden Welt derart hadern lässt, dass das abschließende America sich zum dreizehnminütigen Hadern und flehenden Mantra an Gott auffächert, so ganz ohne Zwang.

Ohne die unbedingte Intimität von Carry & Lowell (2015) ist es in dieser Verortung freilich sowieso schwerer, die Gefühle hinter all diesen Schaltkreisen und Produktionsdetails zu greifen zu bekommen. Doch schlägt der Grower The Ascension seine emotionalen Wurzeln letztendlich nach und nach nieder, bezaubert mit Andeutungen der Sufjan’schen Magie. Nur lasst das mäandernde Wesen der Nummern – nicht ihre Inszenierung per se! – in ihrer bisweilen belanglos werdenden Ausführlichkeit, mit nur selten präzise und konzentriert angezogenen Schrauben und einer zur selbstgefälligen Orientierungslosigkeit schlendernden Gangart, in dieser Masse einfach übersehen, wie viele gute Nummer und Ohrwürmer hier im Kern stecken.

Von Make Me An Offer I Cannot Refuse weg, wenn eine elegische Hook in verträumter Kontemplation schwelgt, sich mal einen dramatischen IDM-Schub gönnt und dann wieder mit pumpender Clubmusik flirtet, die sich rund um einen im Hintergrund kaum bemerkbaren Bryce Dessner immer hymnischer aufschichten, wäre weniger hier einfach mehr gewesen, um die Akzente zu betonen, die tollen Ideen nicht im Müßiggang verloren gehen zu lassen.
Die sedative Sehnsucht von Run Away With Me erschafft eine melancholische Komfortzone und Video Game unterwandert jenen 80er-angehauchten Synthpop von Chvrches und Co., bietet sich jedoch genau deswegen als Hit an. Das somnambul-weiche Tell Me You Love Me erblüht als Balsam in der schiebenden Wall of Sound, das subkutan pushende Ativan implementiert geduldige Hymnik und Ursa Major schickt zwingende Ahnungen auf Odyssee in seinem eigenen Kosmos voller sorgsam gebastelter Details. Durch das catchy Landslide flimmert eine verspultes Gitarrensolo und Death Star adaptiert ziemlich smart eine Dancepop-Attitüde, bevor das Titelstück betont, dass Stevens einfach herausragender Singer-Songwriter ist, egal in welchem Gewand seine Kompositionen wabbern.

Allerdings nähert sich Stevens hier immer wieder und deutlicher als je zuvor Gefilden, in denen die leeren Meter Überhand nehmen, die Platte überhöhend aufgeblasen mehr Form als Inhalt wird. Wenn Lamentations verspulte Rhythmen und sphärische Arrangements aus dem Baukasten pflückt oder Die Happy mäandert, als würde eine Erinnerung an Kid A in Schleifen dösen. Selbst wenn die Drums zu rütteln beginnen, kann dieser Impuls das Stück nirgendwohin führen.
Gilgamesh hinterlässt auch kaum mehr Eindruck, als knarzende Beats über einer Ambientfantasie zu sein, Sugar zieht seiner New Age-Klangoase ein loses Korsett über, während Goodbye To All That sein Nintendocore-Gerüst als gemütliche Schlittenfahrt moduliert und damit zumindest eine individualistische Idee verfolgt.
So ertappt man sich dabei, dass The Ascension im Momentum zwar immer wieder einnehmend in seinen Bann zieht, selektive Akzente einbrennt, dieses fragmentarisch fesselnde Interesse aber nicht auf durchgehendem Niveau konservieren kann. Was frustrierend ist: Hieraus hätte sich ein weiteres Schmuckstück für Stevens‘ Diskografie destillieren lassen.

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