Sufjan Stevens – Javelin

von am 22. Oktober 2023 in Album

Sufjan Stevens – Javelin

(Mutmaßlich) unter den Eindrücken des (nahenden) Todes seines Freundes Evans Richardson (und vor der schweren eigenen Erkrankung, die der Veröffentlichung seines zehnten Soloalbums vorwegging) hat Sufjan Stevens mit Javelin Musik aufgenommen, die sich wie die klassische Essenz seiner Singer-Songwriter-Schönheit anfühlt.

Acht Jahre nach Carrie & Lowell (und zwei nach A Beginner’s Mind) ist Javelin in eine Art homogenisierte Dualität geboren worden, die eine absolut intime und minimalistische Home Recording-Ausstrahlung entlang Stevens filigran hauchender Stimme und einer vordergründigen Folk-Zurückhaltung mit subtiler Hand opulent ausgeschmückt, in wunderschöne weibliche Backing-Harmonien (von Adrienne Maree Brown, Hannah Cohen, Pauline Delassus, Megan Lui und Nedelle Torrisi) kleidet, oder auch immer wieder durch elektronische Age of Adz-Schattierungen betupft (wie gerade im bittersüß am Klavier als weiche Symbiose aus kunterbuntem Pop, ambienter Melancholie und Maschinen-Ambitionen aufplatzenden Opener Goodbye Evergreen, dessen Epilog „You know I love you“ als Mantra nach dem programmierten Crescendo pure Erlösung ist, oder im letztendlich nirgendwohin schreitenden, sanft in Trance schwofenden Beat von Genuflecting Ghost).

Inhaltlich treffen dabei dunkle Selbstzweifel und mal klare, mal gottesfürchtige, mal mythisch abstrahierenden Reflexionen über Beziehungsenden auf die simple Katharsis herzerwärmender und ewiger Liebesschwüre: bittersüßer Balsam, im Angesicht im Angesicht des Schmerzes eines Trennungswerkes.
In dieser ebenso zerbrechlich wie unverrückbar bei sich selbst angekommenen Ästhetik des traurigen, sentimentalen, jedoch weitestgehend unkitschigen Schönklangs zupft A Running Start verletzlich und schüchtern in naiven Unschuld der neugierig verspielten Arrangements oder erblüht subtil jubilierend oder plätschert Everything That Rises kontemplativ wie die entschleunigte Minimalismus-Version von Neverending Story mit kaum wahrnehmbaren Soul-Flair.

Doch gelingen Stevens im homogenen Gesamten vor allem einige der berührendsten (wenngleich in ihrer weichen Intensität nicht restlos aufwühlend ergreifenden – oder in melodischer Sicht so überwältigend wie die Highlights von beispielsweise Illinoise nachwirkenden) Songs seiner Karriere.
Allen voran Will Anybody Ever Love Me? als absolut essentielles, definierendes und schüchternes Destillat jenes Zaubers, den Stevens als Songwriter wirken kann. Dazu das bestechende Doppel aus dem wundervoll ätherischen durch eine Winternacht schwebende My Red Little Fox sowie dem die märchenhafte Atmosphäre traumhaft übernehmende So You Are Tired. Ein bisschen magisch!
Im über achtminütigen Shit Talk ist The National-Mann Bryce Dessner zur Kommunikation mit elegischen Saiten geladen, während eine orchestrale Pracht mit subversiver Zurückhaltung aufgeht und die Suche nach den kleinen Wahrheiten im großen Ganzen sucht. Danach findet Stevens hinter dem Horizont Trost in der Spiritualität von Neil Young, dessen There’s a World er versöhnlich darlegt – und Javelin, einem seiner auf unspektakuläre Weise herausragendsten Alben, einen vorsichtig hoffnungsvollen Abschied beschert.

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