Steven Wilson – 4 ½
Auch wenn ‚4 ½‘ in einer eigenen Liga anzusiedeln ist und sich als Interimsplatte nur mit den vorangegangenen Studioalben des Engländers selbst messen muss: Das Aufarbeiten von bisher unter den Tisch gefallenem Outtake-Material bedeutet selbst für einen Ausnahmekünstler wie Steven Wilson das Qualitätsniveau merklich zurückzuschrauben.
Die treu ergebenen Fanscharen des Progmeisters werden sich freilich dennoch über die versammelten 37 Minuten Spielzeit freuen. Nicht zu Unrecht – allerdings kommt man dann doch nicht umher zu bemerken, dass sich auf ‚4 ½‚ in direkter Relation zu den beiden regulären Vorgängeralben überraschend viel Leerlauf in die sechs Songs (vier davon Überbleibsel von ‚Hand. Cannot. Erase.‚, einer die jüngst fertig gestellte Aufnahme einer Komposition von ‚The Raven That Refused to Sing‚ sowie ein Rückblick auf den Porcupine Tree-Klassikers ‚Don’t Hate Me‚) eingeschlichen hat: Viel mäandert ohne die standardisierten Genieblitze hervorzubringen, ist eine sehr solide die Wartezeitüberbrückung zwischen Album Nummer 4 und 5 überbrückende, resteverwertende Fingerübung aus der Mottenkiste.
Was das knapp zehnminütige ‚My Book of Regrets‚ dort zu suchen hatte bleibt jedoch weitestgehend unklar: Wilson schlendert beinahe lässig zu einem schmissigen Refrain, der an Tempo und Hartnäckigkeit anzieht, gönnt sich immer neue Wendungen und schichtet Facetten rund um den jamlastigen Instrumentalausflug im fusionslastigen 70s-Mittelteil, in dem Bassist Nick Beggs sich erstmals als Groovemonster der Songsammlung installiert, bevor sich die Gitarre um Kopf und Kragen in einen optimistischen Sonnenaufgang gniddelt und hinten raus auch drumtechnisch die Muskeln spielen. Das doch etwas generische Grundgefühl der Nummer außer Acht lassend gelingt so weitestgehend ein zuverlässiger Einstieg nach Maß, der die Latte für das folgende Materal jedoch dennoch zu hoch legt.
Das aus den ‚The Raven That Refused to Sing‚ stammende, melancholisch gestrichene Instrumental ‚Year of the Plague‚ plätschert dann nämlich betörend durch den Äther, stimmungsvoll und atmosphärisch zwar, aber auch ohne tatsächlichen Mehrwert: Ein angenehmes Zwischenstück für den Hintergrund, der Schönklang scheint das einzige Ziel zu sein. Ähnlich veranlagt gestaltet sich auch ‚Sunday Rain Sets In‘, das in trügerisch perlender Wohligkeit Flötenklänge um seine Pianoakkorde schmiegen lässt, aber gerade durch den Versuch Spannung in das dröge Szenario zu bekommen letztendlich auch zerfahren und unnötig inkohärent klingt: Der dramatisch gemeinte Ausbruch eine Minute vor Schluss wirkt deplaziert und erzwungen, bekommt aber vor allem nicht den Raum, um seine aufrüttelnden Ausläufer auszukosten.
Nur mäßig besser funktioniert dann auch das rockorientiertere ‚Vermillioncore‚, das nach Elektroversatzstücken und Jazz-Liebeleien mit einer fetten Riffarbeit aufwartet, sich allerdings immer wieder in zu standardisierte Progmelodien verliert und wie vieles auf ‚4 ½‚ einer beinahe unfertig verschweißten Ideensammlung gleicht. Zu oft wirkt das wie eine Rückkehr zu Motiven, die Wilson bereits spannender, faszinierender und mitreißender inszeniert hat. In seinen schwächsten Momenten mutiert ‚4 ½‚ deswegen gar zu einem geradezu selbstgefällig langweilenden Malen nach Zahlen.
Nicht in diese Kategorie fällt das losgelöst nach vorne gehende ‚Happiness III‚, das mit seinem unangestrengt infektiösen Popcharakter auch auf ‚Hand. Cannot. Erase.‚ gefunkelt hätte: Eine starke B-Seite.
Eben aus der Perspektive des letztjährigen Studioalbums erfolgt dann auch das abschließende soundtechnische Update des 17 Jahre alten ‚Stupid Dream‚-Glanzstücks ‚Don’t Hate Me‚: Ninet Tayeb übernimmt quietschend (und hinsichtlich der Textperspektive absolut paradoxerweise) den Refrainpart, die Produktion fügt sich nahtlos an das 2014er-Soloalbum, Theo Travis darf sich an Flöte und Saxofon austoben, das Keyboard schimmert leise, tummelt sich dann wieder putzmunter; mehr Psychedelik und Jazz finden ihren Platz. Eine nett gemeinte Auffrischung, die es so allerdings nicht gebraucht hätte: Das Original bleibt unerreicht, ein Ärgernis klänge aber auch anders.
Den gravierensten Vorwurf, den das durchwachsene ‚4 ½‚ sich gefallen lassen muss ist dann jedoch ohnedies, dass die EP auf emotionaler Ebene nur selten zündet, zumeist nur eine professionelle und souveräne Beiläufigkeit transportiert. Ohne Fanbrille also nur eine okaye Fußnote für die Discographie des Steven Wilson.
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