Sprain – The Lamb As Effigy
Sprain erzwingen für ihr zweites Studioalbum The Lamb as Effigy or Three Hundred and Fifty XOXOXOS for a Spark Union With My Darling Divine tatsächlich wie angekündigt den nächsten Level in ihrer rasanten Evolutionsgeschichte.
Eine Konsequenz, die aber wohl niemandem, der dem Weg der Band aus Kalifornien von ihrer im Slowcore verorteten selbstbetitelten EP 2018 zum Post Hardcore-schwangeren As Lost Through Collision (2020) verfolgt hat, tatsächlich überraschen dürfte: The Lamb as Effigy ist quasi die zum Avantgarde, Post Punk und Noise Rock-Bastard radikalisierte Steigerung des Vorgängers, experimenteller strukturiert und den Hang zur Megalomanie in Dimensionen unterstreichend, für die Swans wohl die allgegenwärtigste Assoziation sind, weil acht Songs über fast eineinhalb Stunden Spielzeit von zwei jeweils knapp 25 Minuten Monolithen dominiert werden.
Ist das nun prätentiös oder kompromisslos?; selbstgefällig oder hingebungsvoll?; auslaugend oder erfüllend?; primär materialdienlich oder letztendlich Attitüde?; zu elaboriert oder nur das gebührende Volumen vermessend?; Ja!
Vor seiner Band und ihren Helfern steht Vorstand Alexander Kent mit immenser Präsenz an der Kanzel, ist schlau genug, diesem massiven Brocken so betont impulsiv und unmittelbar loszutreten – also sofort ein zwingendes Momentum zu kreieren.
Man Proposes, God Disposes findet von der Ouvertüre im Orchestergraben so bald in den stoisch rezitierenden Groove, in einen manischen, kakophonisch Strom aus fieberhafter Litanei und virulenten Gitarren-Schikanen über der Rhythmus-Stringenz, praktiziert Ausdauer und Wandelbarkeit in einem ungemütlichen Wahn, verschroben kunstvoll und ja, natürlich auch verkopft, bevor der Strom nahtlos übergehend in Reiterations übergeht. Kent wimmert in der Nähe von Black Country, New Road leidend, kasteit aber mit einer weitaus radikaleren Agonie. Sprain flanieren in Schieflage durch eine kaputte Grandezza zu Ashenspire brüllend, flirten mit einem sinfonischen Albtraum in den Arrangements, bevor Privilege of Being das erste Segment des Albums beendet, als würde sich eine klassizistisch gezupfte Gitarrenwelle über ein Modem aus der Distortion-Hölle in eine folkloristische Horror-Trance einwählen, dessen Streicher erhabene Schönheit andeuten, aber nicht konkretisieren. Unwound, Slint, Oxbow, Nick Cave…sie alle haben Spuren in diesem Amalgam hinterlassen.
Auf diesem Podest thront dann Margin for Error, das Herz- und Prunkstück von The Lamb as Effigy, auf einem langen, sakralen Orgel-Teppich, der in eine schimmernde Ambient-Wehklage mutiert. Kent lamentiert wie Scott Walker, und wie epochal und dicht verschlingend dieses grandiose Meer in seiner Gravitation im Verlauf anschwillt, gehört zum besten, hypnotischsten und intensivsten was dem Spannungsfeld aus Drone und Postrock seit langer Zeit passiert ist.
Die nächste Passage: The Commercial Nude zeigt sich inspiriert von 70s -Minimalismus und Gamelan Musik, schwimmt sich aus einem fiependen Kabelgewirr in einen kammermusikalisch bimmelnden Traum jenseits von Will Sheff frei, prügelt sich im Windschatten von Lingua Ignota – und wieder zurück zu gespenstisch angejazzte Klavier Ballade. Dort wandert The Reclining Nude, ungefähr so, als hätte Matt Bellamy jeden Sinn für Verdaulichkeit im theatralischen Melodrama über Bord geworfen. Dass Sprain irgendwann die Einkehr und melancholischen Durchatmen forcieren, sorgt dafür, dass The Lamb as Effigy hier ausnahmsweise keine Herausforderung darstellt, die einen Kraftakt im Entgegenkommen verlangt, sondern stattdessen weich in den Arm nimmt – nur damit das fies im Feedback schiebende We Think So Ill of You drangsaliert, wo die Panik von Paper Chase mit der assozialen Hysterie von Chat Pile infiziert wird.
Dass The Lamb As Effigy dabei ungeachtet seiner Referenzen jedoch stets weniger Wollmilchsau als polarisierende Reibungsfläche ist, sollte nicht überraschen. Auch nicht, dass Sprain sogar das potentielle Wohlwollen letztendlich attackieren und der abstrakten Komplexität ihres wie im improvisierten Jam-Rausch schwadronierenden, fast spirituell-essentialistischen, nihilistisch-depressiven Moloch zum Finale mit harscher Leidenschaft so sehr im Austausch der Energie beschneiden, dass die Nerven blank liegen.
Das Ought‚esk beginnende Geplänkel God, or Whatever You Call It schmirgelt sich dort auf, wo das Songwriting längst von Form und Strukturen befreit ist, wirbelt sich in kurzen Schüben aus Tiraden auf. Das Gitarrenspiel mag Television, ja, aber Michael Gira und dessen Filth noch mehr. Nur revidieren Sprain ihre Pläne zur Mitte sowieso kurzerhand, erblüht das Geflecht in dystopischer Kargheit neu, in sedativer Lethargie – da können die Alarmglocken noch so sehr von Viren zerfressen fräsen, eine Armee kratzender Luftballone kreisend kreischen, oder die Drones/Springtime-Ästhetik wie eine beschwörende vibrierendes Geißelung malträtieren: über die Atemübung eines verschluckten Schmerzes wird es als Verweigerungshaltung keinen sich konventionell entladenden, keinen befriedigenden Klimax geben.
Stattdessen geht Kent erst und kehrt dann verzweifelt und ausgebrannt zurück, im Ringen mit dem inneren Schweinehund stilistisch gar nicht so weit vom mutmaßlichen Peiniger Alexis Marshall entfernt, um sich und das Klang-Ungetüm tatsächlich in eine kurze, astrale Score-Collage gleiten zu lassen, und den Kreis damit rund zu schließen. Gut möglich, dass dies, mit ein wenig Abstand – wenn der Eindruck, dass The Lamb as Effigy or Three Hundred and Fifty XOXOXOS for a Spark Union With My Darling Divine ein wenig zu trendbewusst gewollt ist, eventuell ausgebleicht – sogar in jenen Meisterwerk-Sphären tut, den Sprain hier unleugbar (nur eben auch phasenweise bedeutungsschwer überhöht) anvisieren.
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