Spidergawd – V
Auch ihre mit Abstand längste Pause zwischen zwei Studioalben (immerhin sind beinahe unfassbare zwei Jahre seit IV vergangen!) hat weder die Rahmenbedingungen noch die inhaltliche Ebene verschoben: V ist das fünfte wertkonservative Spidergawd-Album am Stück, auch das ebensovielte bärenstarke.
„Have you ever met someone like me before?“ jault Per Borton inbrünstig in Green Eyes (vom proggigen Acoustic-Gitarrengeplänkel bis zum „Speed of Sound“ die lyrische Verneigung vor Coldplay?), was natürlich eine rhetorische Frage ist. Denn ja, natürlich hat man das – schon viermal zuvor aus der hauseigenen norwegischen Schmiede selbst, fein säuberlich durchnummeriert von 2014 weg, und noch viel öfter in der großen weiten retroaffinen Heavy Metal-Welt, dem folgend auch die assoziativen Referenzpunkt altbekannt offenliegen: Die Essenz von Vorbildern wie Thin Lizzy, (mehr denn je) Iron Maiden oder Gluecifer triefen weiterhin unkaschiert aus jeder Pore von Spidergawd, bleiben Fixsterne im schweißtreibenden Kosmos der Band.
„Oh, can’t you see?/ Whatever you desire/I gave you all and everything/ Around the sun“, wie es insofern nicht ganz unrichtig im eröffnenden All and Everything heißt, das sich über das dringlich flanierendes Saxofon von Rolf Martin Snustad und die polternden Kracken-Drums von dem mittlerweile ehemaligen Motorpsycho-Schlagwerker Kenneth Kapstad langsam aufbaut, bevor die Handbremse gelöst wird und sich schon der Opener zu einem archetypisch melodiösen Hit schwingt, der Wasted Years verinnerlicht hat.
Wer will, kann dann bereits hier die höchstens unter dem Elektronenmikroskop wahrnehmbaren Feinheiten von V innerhalb des Spidergawd-Kontextes wahrnehmen, indem das Fünftwerk des Quartetts die bisherige Diskografie der Skandinavier gewissermaßen zusammenfasst und komprimiert. Das Baritonsaxofon darf immer wieder etwas prominenter in die Mitte rücken, ohne die Tragweite seiner Präsenz jenseits des begleitenden Gimmicks vollends zu erfassen; die Kompositionen bleiben zwischen Hardrock und NWOBHM verhaftet, gönnen sich hinter einer gestiegenen Kompakt- und entschlackten Direktheit jedoch nicht nur in der epischen Riff-Sportlichkeit Ritual Supernatural auch wieder den einen oder anderen jambasierten Freiraum für exzessive (gniedelnde, blasende, jubilierende) Soli.
Dennoch schade, dass die bluesigen Schattierungen und psychedelischen Sprengsel noch weiter zurückgefahren wurden, das Songwriting in seiner mit offenen Karten spielenden Rockigkeit keine unerwartet das Spektrum aufbrechende Asse wie etwa die Mundharmonika in What Must Come to Pass zurückhält, das Quartett so stringent wie vielleicht nie auftritt. Spidergawd V macht dabei wie schon seine Vorgänger genau genommen nichts falsch, funktioniert sogar auf qualitativ gewohntem Niveau, obgleich sich dennoch einfach nicht mehr die selbe überschwängliche, süchtig machende Euphorie wie bei den ersten vier Teilen einstellen will – selbst wenn ein Knights of C.G.R. von der Überholspur in den Horizont wächst oder Whirlwind Rodeo den heroischen Triumph probt.
Schwer zu sagen, ob dies daran liegt, dass der Platte der zumindest eine alles überragende Ausnahmesong fehlt (auf einen überwältigenden Refrain wie seinerzeit bei Is This Love? muss man diesmal vergeblich warten, wiewohl die acht Nummern eigentlich nie unter dem catchy mitreißenden Ohrwurm ins Ziel galoppieren), ob man sich am Sound der Band nur ein wenig sattgehört hat oder ob die vorangegangenen Werke tatsächlich jeweils um das minimale Quäntchen impulsiver und abenteuerlustiger waren, noch infektiöser zündeten und vor allem auch nachhaltiger wirkten.
Eventuell ist es von all dem ein wenig, dass das fünfte sehr starke Spidergawd-Album zu ihrem bisher am wenigsten ekstatisch wahrgenommenen macht, mit Enttäuschungen aber relativ umgeht. Nimmt man das ganze Repertoire der Band zusammen, wird man schließlich weiterhin keinen auch nur ansatzweise schlechten Song finden. Doch ähnelt der aktuelle Status Quo jenem von Beach House vor 7 (2018): Ohne tatsächlich markante neue Impulse hat sich angesichts des verinnerlichten MO eine zwar zeitlos-frische, aber nichtsdestoweniger so auch schon noch besser von der Band zelebrierte Komfortzone etabliert. Alles essentielle scheint gesagt, der Rest ist Zugabe.
Letztendlich ist dies aber Jammern auf hohem Niveau. Denn wo etwaige umgewichtete Nuancen nur kleine, niemals gravierende Variationen einer rundum bewährten Patent-Rezeptur bewirken, die abermals ohne definitive Plagiatsvorwürfe aufkommen zu lassen haarscharf an fremden Material vorbeischrammt (der suboptimal abrupt im Regen stehen lassende, punkige Closer Do I Need a Doctor…? ist etwa eine absolut furiose Aufarbeitung der Grundidee von Danko Jones‚ Sugar Chocolate, Twentyforseven klopft mit einer Metal-Coolness dahin, wie Kiss das nicht mehr hinbekommen und und der roboterhafte Midtempo-Groove von Avatar hätte die spätestens jetzt die Existenzberechtigung von The Sword attackiert), schmiegt sich V ganz ungeniert in die eigene Tradition der Unfehlbarkeit und lässt die große Tugend Authentizität fackeln: Wo andere Kombos wie zitierende Epigonen wirken, zelebrieren Spidergawd den Anachronismus mit einer organischen Intensität und Selbstverständlichkeit, unverrückbar.
Die Melodien und Hooks sitzen deswegen auch zu jedem Zeitpunkt, die archetypischen Riffs und grandiosen Rhythmen packen, V lässt den unheimlichen Spaß an klassischen, zeitlosen Rock formvollendet hochleben: Diese Band ist einfach so verdammt gut, in dem was sie tut – da fallen kleine Schönheitsfehler kaum ins Gewicht. So lange Zuverlässigkeit jede Vorhersagbarkeit dominiert, die kompositionelle Klasse Stagnation ausgleicht und die immense Spielfreude sowie eine abgeklärte, aber immer noch hungrig-leidenschaftliche Performance den Rest besorgt – dann sind Spidergawd immer noch eine unfassbare Bank und im Grunde längst ein moderner Klassiker.
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