Sparta – Trust the River
This is Sparta? Fühlt sich gar nicht unbedingt danach an! Warum Jim Ward dieses als Bandspielwiese getarnte Quasi-Soloprojekt nach knapp 14 Jahren nominell reaktiviert hat, ist anhand des frustrierenden Trust the River wohl auch dem Mastermind selbst nicht ganz klar.
Neben einer At the Drive-In-Reunion, die Ward irgendwann nicht mehr in letzter Konsequenz mittragen durfte oder wollte (und damit im Grunde auch ein für das vierte Sparta-Album geltendes Symbolbild angeboten hat) war die Zeit für den Mann aus El Paso seit Threes beispielsweise mit einigen Soloprojekten unter eigenem Namen oder Sleepercar okkupiert. Sparta pausierten jedenfalls am bisherigen Zenit ihres Erfolgs, denn Ward war ausgebrannt, auch vom Arbeiten im Kollektiv; er habe erst lernen müssen, dass ihn nichts mehr aufrege, sagt er.
Was so im Jahr 2020 auch in stilistischer Hinsicht deutliche Spuren auf einer Platte hinterlassen hat, die in ihrem Weg zum milden Alternative Rock mit unverfänglichen Heartland-Tendenzen aus jenem Rahmen fällt, den der Post Hardcore von Sparta bisher bediente.
Es ist aber nicht nur wegen dieser immanenten Perspektivenänderung ein wenig rätselhaft, weswegen Trust the River unter dem angestammten Banner der At the Drive-In-Konkursmasse laufen musste, obwohl Ward die Essenz der vor knapp eineinhalb Dekaden vom Radar verschwundenen Band über genreklassifizierende Parameter bestenfalls streift – auch personell ist der Besetzungswechsel hinter den Kulissen schließlich absolut spürbar. Die Antwort liegt wohl in der der (neben Ward aktuell aus Bassist Matt Miller, Gitarrist Gabriel Gonzalez und Drummer Cully Symingtom bestehenden) Band doch noch immer Zuteil werdenden Aufmerksamkeit, bleibt aber nichtsdestotrotz ein ambivalenter Schachzug.
Beileibe nicht der einzige, wenn in den aufgefahrenen 34 Minuten zwar ein wirklich tolles Album steckt, dieses aber niemals in fokussierte Griffweite kommt. Mit wenigen Kniffen wäre, um es vorwegzunehmen, hier ständig soviel mehr drinnen gewesen, hätten aus rundum guten eigentlich herausragende werden müssen. Dass Ward an manchen Kompositionen jahrelang geschrieben haben will, erklärterweise zahlreiche verschiedene Versionen von etwa Believe aufgenommen hatte, macht sich nämlich auf unangenehme Weise bemerkbar: Die Vision der Songs von Trust the River lässt sich stets erkennen, kann aber niemals zwingend artikuliert oder an konkrete Ziele gelenkt werden. Denn auch ohne tatsächlichen Ausfall – und ohne das nominelle Comeback zwangsläufig an den deutlich besseren vorangegangenen Platten zu messen – wirkt jede noch so vielversprechende Ausgangslage, all das klar erkennbare Potential des Werkes in seiner finalen Ausarbeitung doch zu unschlüssig und unausgegoren, orientierungslos und selbst in den besten Momenten nicht erschöpfend zu Ende gedacht.
Trust the River tritt viel mehr wie nebenbei eingespielt auf, wirkt schnell abgehandelt – klingt gerade angesichts der tatsächlichen Entstehungsgeschichte paradoxerweise wie an einem freien Wochenende aus dem Handgelenk geschüttelt. Beinahe langweilig und generisch gestrickt laufen viele Spannungsbögen ins Leere, es herrscht kompositionell ein allgegenwärtiger Eindruck der skizzenhaften Unfertigkeit, stets einen Schritt von richtig starken Rocksongs entfernt. Selbst der titeltechnisch aufgelegte Spielfluß mündet in einem irritierendem Sammelsurium ohne wirklichen roten Faden, ohne Klimax.
Dazu kommt eine diffuse, verwaschene Produktion, der Punch und Kraft fehlen; die jedem ohnedies schon so milden Moment zusätzlich die Handbremse anzieht, notgedrungen so viel Hall auf eine schwächer gewordene Stimme des Frontmannes legt und den Abgang von Keely Davis und Tony Hajar in der Leidenschaft der Performance zu jeder Sekunde schmerzlich vorführt.
Und trotz alle dem – gerade weil in diesem nicht und nicht schlüssig funktionierenden Kontext dennoch grundsätzlich alles sehr überzeugend gelungen wäre, ist Trust the River mehr als alles andere eine schlichtweg verdammt frustrierende Angelegenheit geworden.
Das feine Class Blue erinnert im Schüren der Erwartungshaltung gar an Wiretap Scars, übersetzt dessen Angriffslust allerdings unmittelbar in eine gediegenere Variation, drängelt nicht mehr so ungestüm, sondern hat eine ausgeglichene Ruhe in seinem Zug nach vorne – meint auch eine gewisse Harmlosigkeit, doch die Ausrichtung steht Sparta an sich. Das stampft und die Gitarren zirkulieren. Der Opener will gleichzeitig ausbrechen und abgeklärt-reif in sich ruhen, krankt jedoch auch an seinen konventionellen Strukturen und führt neben einer schnell zündenden Eingängigkeit früh die Erkenntnis ein, dass die Platte auch am Qualitätsschwund (oder der Nichtexistenz) der Bridges leidet. Noch eine Lektion: Wo Chemical Feel ohnedies ausgespart wurde, hat man Cat Scream einer Neubearbeitung unterzogen, die der ursprünglichen Nummer viel Biss raubt. Zwar will Ward immer noch innerhalb von 124 Sekunden punkiger drängen, doch tut er dies nun seltsam handzahm, wenig herausfordernd. Nichts stellt sich mehr hungrig und kantig auf die Hinterbeine, das Ergebnis ist eine ungefährliche Geste, deren Energie weitestgehend reibungslos verpufft – und auch deplatziert in die Trackliste platzt.
Turquoise Dream würde immerhin deutlich stimmiger übernehmen, wenn Ward sich in der Mitte eines weiten Highways auf die nonchalante Suche nach Springsteen begibt und ein gefällig-sehnsüchtiges Ambiente samt „Ohohooo“s findet, das The Gaslight Anthem sehr famos mit dem Pop verbindet – das Finale kesselt ein, bleibt aber unverbindlich, der Semi-Hit bleibt.
Überhaupt will die Platte trotz aller Schönheitsfehler gerne konsumiert werden, unterhält nicht unangenehm und zeigt mit minimalistischen Mitteln die vielleicht zugänglichste Form der Band, wenn all die Melodien hier wie die Rohbauten von Hits wirken. Spirit Away setzt das fragmentarische Kaleidoskop als ruhige Nummer fort, die eine wehmütige Ballade im Sinne der Murder Ballads sein sollte: Ward rezitiert zu Streichern, kontemplativen Gitarrenspiel und gestrichenen Schlagzeug; Nicole Fargo konterkariert als weiblicher Gegenpart weich singend dazu. Doch das entwickelt nicht die angestrebte Intensität und Tiefe, hat nichts aufrüttelndes – das Ergebnis ist ein gut gemeintes Intermezzo, das exemplarisch wieder zu schnell beendet wie eine flüchtige Skizze auftritt. Siehe auch Believe, das als flott angetriebener Americana-Rock keine Konsequenz zeigt, einfach abruptden Stecker zieht. Wo ist der Ehegeiz über das Momentum hinauszustreben, etwa Graveyard Luck zu mehr als einer knackig-polternden Fingerübung zu machen?
Dead End Signs würde deswegen als nachdenkliche Klaviernummer auch in die Austauschbarkeit abfallen, wäre da nicht Wards immer noch charismatisches Organ. Miracle lässt das Hymnische, das Beschwörende und die Hingabe von einst als Schatten früherer Glanztaten erkennen, doch Empty Houses nimmt das Tempo kurz vor Schluß einfach wieder heraus – Trust the River ist am Stück ein ziemlicher Clusterfuck, wäre als Ep mit einzelne Single-Trabanten eventuell besser konzipiert gewesen – Sparta riskieren in einer neuen Komfortzone wenig, schunkeln dahin. Ein radikalerer Produzent hätte eventuell einiges kitten können.
Wie zum Hohn zieht das sehr solide No One Can Be Nowhere ganz am Ende die Zügel doch noch enger, endlich scheint Ward die Platte emotional in die Enge treiben zu wollen, lässt sie aber letztendlich doch vom Haken – und den Hörer mit einer Hassliebe zu einem Übergangswerk zurück: Jeder Songs hier ist ein halbgares Ärgernis, ein fauler Kompromis, dem Ward vor der Bandpause doch eigentlich entgehen wollte, dabei aber auch Teil eines Konglomerat aus catchy Ohrwürmern, die durchaus ein unerfüllendes Suchtpotential entfalten. Da raucht der Kopf, bis niemand mehr zum Punkt findet.
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