Soldat Hans – es taut
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Es taut, wahrhaftig: Soldat Hans schmelzen auf ihrem Zweitwerk die Grenzen zwischen Post Metal, Doom und Postrock noch ansatzloser als bereits auf dem an dieser Stelle sträflich übersehenen Dress Rehearsal und treiben mit aller Zeit der Welt bis in die postapokalypstische Schönheit der progressiven Endzeitballaden.
Eine weite Distanz, die die Grimm’schen Freunde da als „six-piece downtempo folk doom band from Winterthur, Switzerland“ vermessen. Doch es taut besticht gerade auch durch die geduldig Natürlichkeit, mit der Soldat Hans die stilistisch weitreichende Dynamik samt leviathanartig assimilierten Instrumentarium in einen homogene Fluss bringen. Genrekategorisierungen verschwimmen für die Band weiterhin ansatzlos, färben sich mal mit psychedelischen Nuancen, giftig fauchendem Gebrüll, nahbar streichelnder Intimität oder jazziger Weitläufigkeit, streifen ohne Berührungsängste durch ein Dickicht aus flüchtigen Imaginationen und formen den Jam in konkrete Formen. Immer wieder baut das Sextett Höhepunkte auf, lässt sie selten (aber doch) mit harter Hand wellenförmig bersten, agiert meist jedoch weniger zermalmend und artikuliert eher intrinsische Spannungen, lässt sich kontemplativ treiben und erzeugt über 53 erstaunlich kurzweilig der maritimen Thematik folgenden Minuten drei Longtracks von epischer Größe.
Story of the Flood beginnt vollkommen entschleunigt, baut auf warme Orgelklänge und behände angeschlagene Gitarren, träumt beinahe im Slowcore und breitet sich mit bratzenden Saiten und elegischen Bläsern aus, hat eine abgekämpfte Heavyness. Nach knapp 3 Minuten fahren schreiende Widerhaken aus dem Korpus, der sich ausgelaugt dahinschleppt. Doom ist hier nur der Rahmen, der ein symbiotisches Amalgam zusammenhält. Immer wieder lassen Soldat Hans anhand einer feierliche-melancholischen Nachdenklichkeit durchatmen, bevor der längste Song von es taut schwergängig durch einen Trauermarsch manövriert: Mal drückend und dann wieder beinahe zärtlich, vorsichtig, traumwandelnd wiegend, betörend.
Story of the Flood verschiebt die Facetten mit Fortdauer auch weiter hinein zu flimmernden Tremologitarren, die Melodie referenziert gar vage Tomorrow Never Knows, verfestigt sich dann jedoch mehr in schwergängigen fliesenden Postrock-Gefilden. Natürlich gestattet es sich die Band dabei dennoch auch mit der einen oder anderen Länge zu mäandern, doch konzentriert sie sich auch immer tiefer, findet Streicher und eine seltsam aus der Zeit gefallene romantische Nostalgie, die an Toby Driver, an Kayo Dot und Maudlin of the Well, denken lässt, aber im intensiven Ungetüm mündet: Eine ins rollen kommende Walze provoziert beklemmenden Crescendi, eine pastorale Beschwörung.
Besser, als in den stärksten Szenen auf es taut, waren Soldat Hans noch nie – die magischen Momente kommen näher, überwältigen. Ob Dress Rehearsal gerade in Summe deswegen jedoch notwendigerweise auch ein schwächeres Album war, bleibt allerdings offen.
Immerhin bekommt hier nicht (mehr) jeder Part gefühltermaßen die entwicklungstechnische Vorlaufzeit, die er tatsächlich verdienen würde. So ist die Balance im Kräfteverhältnis und Wandel der Passagen entlang einiger wenigen Szenen minimal zu übehastet ausgefallen (obwohl die Teilbereiche für sich jenseits der kohärent verschweißten Nahtstellen toll funktionieren) – letztendlich jedoch weniger einer der überschaubaren Kritikpunkte an es taut, als vielmehr eine der Kanten im stimmigen Gesamtgefüge.
Was noch ins Gewicht fällt, sofern man Haare in der Suppe sucht, anstatt sich vom Mahlstrom verschlingen zu lassen: Die Tatsache, dass der wundervolle, ruhigere Klargesang der Platte noch organischer und besser steht, als die konfrontativ schreienden, herllich intensiv beißenden Vocals. Zudem die Erkenntnis, dass Soldat Hans öfter assoziativ bei anderen Bands verankert werden, als dabei eine unbedingt originäre Sound-Handschrift zu vermitteln. Kein Problem allerdings, wenn dahinter nicht nur die nötige kompositorische Substanz steht, sondern die Inspirationsquellen auch die richtigen sind.
Schoner zerbirst, Part I beginnt wie geerdete Version von A Silver Mt. Zion, weniger leiernd, als mit der Ruhe einer prophetischen Dringlichkeit. Das hypnotisch schiebende Motiv bekommt erhebende Synthie-Cinemascope-Arrangements und das Instrumentarium assimiliert immer neue Facetten, bimmelt irgendwann mit Patina und geht friedfertig mit heulendem Classic-Vibe auf, majestätisch und beinahe märchenhaft, sphärisch und spacig: Ein komplettes, in sich geschlossenes Destillat.
Dennoch ist hiernach nicht alles gesagt: Schoner zerbirst, Part II denkt die Gegebenheiten im sinistren Doomjazz weiter. Die gestrichenen Gitarren und Viola wirken, als würden Manuel Efrim Menuck Godspeed You! Black Emperor das Kreuz seines Flaggschiffes nach der Apokalypse wieder nach Hause schleppen lassen, um sich die Decke resignierend über den Kopf ziehen, ohne an Giftigkeit zu verlieren. Crippled Black Phoenix, das Kilimanjaro Darkjazz Ensemble und Dylan Carlsons Earth dräuen hier über dem Erbe von Pink Floyd. Erhebende Synthies und subtile Streicher legen sich über den Song, versöhnlich. Justament wenn sich die Nummer vollends dem Wohlklang hingibt, faucht das keifende Momentum zurück. Soldat Hans reißen das Steuer zum harschen Stakkato, der Rhythmus poltert wuchtig attackierend. Es taut bekommt so auf seine letzten Meter eine bedrohliche Opulenz, bäumt sich dissonant immer weiter auf, wird zur martialischen Schönheit, die nicht mehr nur zum darin verlieren umspült, sondern unerbittlich packt und zermalmt.
Soldat Hans positionieren sich spätestens hier, am krönender Abschluss eines imposanten Zweitwerks, nicht nur stilistisch, sondern auch qualitativ gar nicht so weit von all den namhaften Referenzen entfernt. Auch wenn es taut immer weiter hinabtaucht: Die Luft nach oben wird verdammt dünn.
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