Slayer – Repentless
Slayer hatten in den sechs Jahren seit ‚World Painted Blood‚ mit starken Turbulenzen zu kämpfen, haben sie doch nach 28 gemeinsamen Jahren nicht nur die Trennung von Produzent Rick Rubin und den Labelwechsel zu Nuclear Blast vollzogen, sondern vor allem auch ihre halbe Stammbesetzung verloren.
„We shall be victorious/Attack/ Continue/ Never/Never surrender“ brüllt Araya im Zuge des elften Studioalbums von Slayer und lässt keine Zweifel daran, dass die Thrash-Ikone nicht bereit sind sich von Unstimmigkeiten mit ihrem langjährigen Produzenten („Das letzte Album an dem Rubin wirklich beteiligt war, war ‚Seasons in the Abyss‚. Nur weil sein Name draufsteht heißt das noch lange nicht, dass er auch Hand angelegt hätte„), den frontenziehenden Wieder-Ausstieg von Dave Lombardo („I learn something new every day, let me tell you. But I never say never, because I thought that door had slammed shut the first time. But is it shut today? Yeah, that lock’s on there pretty good!„) oder dem Verslust des an Leberversagen verstorbenen Jeff Hanneman den Fokus verstellen zu lassen: ‚Repentless‚ ist eine für seine Vorgeschichte erstaunlich kompaktes, zielstrebiges, pures und kraftvolles Stück Thrash Metal geworden, das die Reputation der Marke Slayer mühelos in ein neues Jahrzehnt hievt, wahrscheinlich ist es sogar das stärkste Album geworden, das (die Erwartungen – mit Ausnahme jener von Tex Rubinowitz – klar übertreffend) unter diesen Voraussetzungen möglich war.
Dabei haben die Entwicklungen der letzten Jahre freilich ihre Spuren hinterlassen, im guten wie im schlechten. Die Entscheidung Greg Fidelmann (Metallica, Slipknot) und Terry Date (Deftones, Pantera, Helmet) die Produktion zu übergeben führt zu einem deutlich dynamischeren und vitaleren Sound als noch auf dem dröge klingenden ‚World Painted Blood‚: ‚Repentless‚ knallt richtig fett aus den Boxen. Rückkehrer Paul Bostaph erfüllt seinen Job in den übergroßen Fussstapfen dazu technisch bestmöglich bolzend, auch, wen ihm die charakteristische Dynamik Lombardos fehlt. Schwieriger ist die Ausgangslage für Exodus-Boss Gary Holt: dieser wurde ganz bewusst nicht am Songwriting beteiligt und spielt auch sonst nur die zweite Geige, kann ‚Repentless‚ als sehr solider Arbeiter so auch nur selten einen individuellen Stempel aufdrücken, spielt eher die Bälle in einem weniger rasenden und dafür melodischer gewordenen Ganzen zu. King ist eben nicht nur in den Solos zum alleinigen Bandvorstand aufgestiegen. Was dann auch zu einem der gravierenderen Probleme der Platte führt: Hanneman kann natürlich nicht ersetzt werden, nicht an der Gitarre, und er fehlt auch dem Songwriting merklich. Das zeigt sich weniger in den hinten raus qualitativ etwas einknickenden Pflichtprogramm-Kompositionen, sondern vor allem anhand der einzig verbliebenen Hanneman-Kompositionen ‚Piano Wire‚, die den Steuerknüppel wild umherreisst und dabei eine Vielseitigkeit an den Tag legt, den die stumpfere Art des King’schen-Songwritings so nicht unbedingt kennt.
Will man ‚Repentless‚ einen unfairen Vorwurf machen, dann alleine jenen, dass dem Einstand bei Nuclear Blast entlang mehrerer Déjà-vu-Augenblicke die wahrhaft ikonischen Szenen, die unsterblichen Riffs und Momente fehlen – und der Platte im Umkehrschluss gleichzeitig zu Gute halten, dass sie dies mit einer immensen Spielwut praktisch anstandslos ausgleicht, keine Ermüdungserscheinungen an den tag legen, sondern sich energiegeladen nach vorne orientieren. Nach dem stimmungsvollen Intro ‚Delusions Of Saviour‚ prügeln sich Slayer in der herausragenden Eingangsphase so unmittelbar durch die shreddernde Killersingle von einem Titelsong, der mit seiner knallharten Hookline nicht mehr aus den Gehörgängen will und sich vor allem auf die wuchtig-vitale Performance von Araya verlassen kann.
‚Take Control‚ ist ein Biest, das seine Geschwindigkeiten mit schwindelerregender Präzision variiert, ‚Vices‚ bremst sich im Midtempo zur Urgewalt mit brachial explodierendem Finale aus, selbst Routinevorgänge wie ‚Cast The First Stone‚ zünden als verdichtete Hassbatzen, im atemlosen ‚You Against You‚ heulen die Äxte beinahe so leidenschaftlich wie früher.
Dass der unspektakulär-lieblose Rausschmeisser ‚Pride and Prejudice‚ nicht so druckvoll agiert wie es könnte, schmälert den Gesamteindruck dann aber ebenso wenig wie die Tatsache, dass das als atmosphärische Walze gemeinte ‚When The Stillness Comes‚ zwischen ‚Undisputed Attitude‚ und ‚Diabolus in Musica‚ verankert immer noch wie eine ziellose ‚Gemini‚-Kopie wirkt – weil ‚Repentless‚ vor allem auch als Gesamtwerk funktioniert, eine kontextuelle Dynamik zeigt, die unheimlich kurzweilig ihre Stärken aussspielt. Nicht nur diesbezüglich, dass die Entwicklungsgeschichten des groovenden ‚Chasing Death‚, das gallopierende ‚Implode‚, ‚Piano Wire‚ und der sich verselbstständigende Husarenritt ‚Atrocity Vendor‘ sich über viele, viele Jahre zurückstrecken, fühlt sich ‚Repentless‚ sogar immer wieder an wie eine Zeitreise durch viele Slayer-Passagen an, phasenweise gar wie eine Rückbesinnung auf die Bandphase der späten 80er und frühen 90er mit den Gesten der Jahrtausendwende.
Wie gut ‚Repentless‚ derart verankert letzlich altern wird, muss sich dabei freilich erst zeigen. Paradoxerweise funktionieren Slayer hier aber ausgerechnet über das Momentum absolut schnittig, zielführend und – am wichtigsten – machen auch im 35. Bandjahr, gleichermaßen weitestgehend ohne Dienstleister-Flair wie ohne jedweden Klassiker-Anspruch, immer noch teuflichen Spaß.
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