Sigur Rós- Variations On Darkness
Variations on Darkness ist das erste von zwei Avantgarde-Releases von Sigur Rós zum Record Store Day 2019. Vielleicht nicht, wonach es dem Fan an sich zu verlangen glaubt – aber eine großartige Ambientreise, nichtsdestotrotz.
Sechs Jahre lassen Sigur Rós mittlerweile ja schon auf den offiziellen Nachfolger zu Kveikur warten und vertreiben sich die Zeit lieber mit Projekten wie ihrer Liminal-Serie, dem Route One-Soundtrack oder dem nun zeitgleich veröffentlichten 22° Lunar Halo. Dass Jónsi nach dem ersten Hördurchgang von Variations on Darkness „The best thing we‘ve done in ages!“ geurteilt haben soll, ist insofern also relativ zu verstehen – grundlegend dann aber auch gar nicht ganz so falsch.
Dabei ist die Geschichte des (im Gegensatz zum begrenzt aufgelegten schwarzen Vinyl digital unlimitiert zugänglich gemachten) Langformates über 44 Minuten Spielzeit und zwei Longtracks eine unkonventionelle: „A score of high Nordic drama from unreleased Sigur Rós material, as well as multitracks of chosen songs from the band’s catalogue. The music was premiered at Nordur og nidur festival, to soundtrack choreographed performances from the Iceland Dance Company.“ klärt das Bandcamp der Isländer auf, und weiter: „Originally commissioned for Sigur Rós’s Nordur og nidur festival at Christmas 2017. Choreographer Valdimar Johansson was granted access to unreleased Sigur Rós material, as well as multitracks of chosen songs from the band’s catalogue, and personally created a score of high Nordic drama.“
Das eröffnende The Hungry Ghosts, We Live in an Old Chaos of the Sun könnte dabei erst aus den selben Synthies gebaut worden sein, mit denen Vangelis seinerzeit Blade Runner zum Leben erweckt hat, taucht dann aber gleißender in ein gespenstisches Nebelmeer aus zutiefst atmosphärischen Ambient ein, das über kaum greifbare Schemen beinahe typische Harmonien andeutet. Später aber tauchen Distortion-Beats und ein dunkles The Haxan Cloak-Ambiente auf, verzerrt pulsierend, die verfremdete Stimme von Jónsi bietet wundervoll säuselnd und leise schreiend einen zerhackten Ohrwurm an, der so beklemmend wie hymnisch in seinen Bann zieht, hinten raus jedoch sogar ein wenig Licht zulässt.
Nur wenig schwächer dann The Silence of Animals, The Truth is it Wanted to Cave in, das in ähnlichen Gefilden beginnt, sich aber bald der sengend erhebenden Dramatik eines Sunshine zuwendet und diese mit der traumwandelnden Eleganz von Twin Peaks in einen 80er affin zum Industrial-Synthpop tendierenden Rhythmus übersetzt. Tranceartig bewegt sich die Band über einen Orgelkosmos, der letztendlich aber vielleicht ohnedies lieber als engelsgleich in die Choral-Akrobatik schnaufende Vokalwoge transzendieren will.
Was gut funktioniert – die richtige Stimmung vorausgesetzt natürlich. Denn auch wenn die Diskografie von Sigur Rós in den vergangenen Jahren von einnehmenden, aber mit wenig Wiederspielwert ausgestatteten Ambient-Veröffentlichungen dominiert wird, gehört Variations on Darkness definitiv zu den besseren Werken dieser Gattung. Schließlich holt das Experimentalwerk nicht nur auf interessanter Ebene ab, sondern auch auf imaginativer und sogar emotionaler, fesselt auch ohne restlos essentielles Gewicht mit nachvollziehbarem Aufbau und Narrativ.
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