Sigur Rós – Odin’s Raven Magic
18 Jahre nach der Premiere im Barbican Centre von London ist Odin’s Raven Magic, eine Kooperation von Sigur Rós, Hilmar Örn Hilmarsson, Steindór Andersen und Maria Huld Markan Sigfúsdóttir, nun auch erstmals auf Tonträger erhältlich.
Dass die seit (dem auch schon sieben Jahre alten) Kveikur, spätestens aber den Missbrauchsvorwürfen gegen Ex-Drummer Orri Páll Dýrason studiomüden Sigur Rós ein Jahr nach der Deluxe Edition von Ágætis byrjun weiterhin die Archive um ihre unschuldige Vergangenheit freilegen, liegt für böse Zungen an den Problemen der mittlerweile nur noch als Duo firmierenden Band mit der isländischen Finanzbehörde.
Gerade im Falle von Odin’s Raven Magic spielt es allerdings ohnedies nur eine untergeordnete Rolle, ob dies der tatsächliche Beweggrund hinter der späten Veröffentlichung ist. Weil es einerseits einfach schön ist, sich die auf dem isländischen Hrafnagaldr Óðins basierende neoklassizistische Arbeit endlich ins Regal stellen zu können – und andererseits, weil die acht Stücke der Platte ohnedies über den Sigur Rós‘schen Kontext hinausgehen.
Tatsächlich bleiben die explizit von der Band geprägten Szenen überschaubar, auch Jónsi selbst tritt nur wenige Male als Sänger ins Rampenlicht. Markanter sind hingegen andere Aspekte der Vorstellung.
Etwa der bardenhafte Minnesang von Steindór Andersen, dessen theatralisch schwelgender Vortrag viel Raum verlangt, irgendwann auch gefühlt immer denselben Melodiebögen folgend der monoton-eindimensionalen Geste verfällt, eine enervierend gestelzte Gleichförmigkeit praktiziert, und den wohl größten Zankapfel für konventionell gepolte Fans der isländischen Szene darstellen dürfte.
Auch dominiert die extra für die Suiten angefertigte Stein-Marimba von Guðmundssons immer wieder das Soundbild und pflegt dabei eine neugierig-verspielte Mystik, während die von Hilmarsson, Violinistin Sigfúsdóttir und Kjartan Sveinsson erschaffenen orchestralen Parts sowieso der Dreh- und Angelpunkt für alle Landschaften hier sind.
Zumindest knapp die Hälfte der Spielzeit ist diese – eben aufgrund der Zutaten auch ambivalent-polarisierende, aber so stets charakterstarke – Synergie eine fulminante Mischung.
Die Ouvertüre Prologus setzt vorsichtige Streicher mit einem Bein über dem dunklen Abgrund und Alföður orkar lässt Andersen in düsteren Synthienebeln thronen, wandert melancholisch sinnierend zu Chören in einer dystopischen Welt aus Asche. Dvergmál lichtet sich verspielt bimmelnd mit den Stein-Marimbas und optimistisch beschwingten Streichern, federnd leicht treibenden Drums und engelshell ergebenden choralem Jubilieren – das könnte so auch direkt von Takk stammen und legt die Fährte für den ersten Höhepunkt der Platte: Stendur æva klopft mit kindlich-naiver Neugier, die Epik dräut im Hintergrund, nimmt dann kurz in Form einer pastoral-sakralen Grandezza Überhand und fusioniert mit glitchendem Elektro-Fiepen a la Múm, in dem sich Jónsi wohl fühlt. Im Duett mit Andersen decken die beiden das sonor-tiefe und falsett-helle Spektrum im Kontrast ab, agieren aber entlang zu formelhafter Linien, durch und durch typisch, fast schon klischeetreu. Wie wundervoll arrangiert, majestätisch und opulent die musikalische Seite dagegen im Hohheitsgebiet liefert, ist eine überraschungfreie Klasse.
Áss hinn hvíti ist nach diesem Kraftakt das verdiente Durchatmen über das im Nebel liegende Panorama einer Alphorn-Gebirgskette, in das langsam die Rhythmik und heroische Fanfaren balanciert werden, ohne dem Kitsch anheim zu fallen.
Danach bekommt Odin’s Raven Magic in seiner zweiten Hälfte zwar Längen, kocht weitestgehend nur bereits installierte Motive und Elemente neu auf, steuert aber zumindest fokussiert einem triumphalen Ausklang entgegen.
Der gefällige Wohlklang von Hvert stefnir bimmelt etwa anmutig, aber redundant. Spár eða spakmál ist durch seine nahe an Jessica Currys Soundtrack-Malereien stattfindende Wesen so lange verträumt einnehmend, bis Jónsi und Andersen wieder gemeinsam auf Autopilot einsteigen: Mit besser dosiertem Gesang wäre dieser Reigen transzendental. Wenn Dagrenning das Finale bedächtig aufbaut, verknüpft das Kollektiv alle Elemente der Zusammenarbeit jedoch auch so noch einmal mit allem Spektakel: Die kraftvollen Drums erinnern an den Postrock von Godspeed You! Black Emperor, die Gitarren flirten mit der Kakophonie und das (bis dahin ausgeblendete) Publikum applaudiert letztendlich im Rausch. Zwar will diese Begeisterung und Euphorie nicht restlos überspringen, doch ist die zeitlose Größe dieser Kooperation auch als Tondokument jederzeit spürbar.
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