Sightless Pit – Lockstep Bloodwar
Durch personelle Änderungen hat sich das Szene-Supergroup-Trio Sightless Pit für Lockstep Bloodwar zwei Jahre nach dem 2020er-Debüt Grave of a Dog gewissermaßen zwangsläufig als Gäste-Drehtür-Duo neu erfunden – das den Harsh Noise-Terror nunmehr mit der Passage in das Horrorkabinett des Hip Hop öffnet.
Kristin Hayter, die derzeit ihr Alter Ego Lingua Ignota zu Grabe trägt, ist nicht mehr Teil des Bandgefüges. Was, interpretiert man etwaige Hinweise in den Social Media Nachrichten richtig, mit dem verbliebenen Sightless Pit-Duo zur einen Hälfte im guten geschehen ist (nämlich mit Full of Hell-Brüllwürfel Dylan Walker) und zur anderen (mit Lee Buford von The Body) als etwas weniger amikale Trennung passierte.
Ein ambivalenter Umstand, den das verbliebene Tandem offenbar nur mit der radikalen Öffnung der Einflüsse auf ihren Sound aufwiegen kann und will – Lockstep Bloodwar hat deswegen eine unorthodoxe Feature-Liste aufgefahren, die ein ähnlich ungläubiges Staunen wie jene von Shook hervorruft und praktisch ungehört keinen Zweifel daran lässt, sich die Grenzen für Sightless Pit verschoben haben.
Nur das Titelstück (ein Club-Delirium in der ambienten Space-Dystopie zischt und fiept pulsierend durch die Stroboskop-Apokalypse und gönnt sich einen geradezu versöhnlichen Ausklang, der sich erfreulicherweise und endlich auch Zeit nimmt – die meisten Songs enden nämlich zu abrupt) sowie Morning of a Thousand Lights (das martialisch stampft und in Agonie fauchend keift, düster und subkutan seinen Würgereflex in den angestammten Katakomben der Gruppierung schnippelt) konzentrieren sich ohne Gäste-Eintrag rein auf die Kernkompetenzen, das restliche Spektrum variiert die Anti-Komfortzone des Duos mal expliziter, mal subversiver.
Resin on a Knife mutiert etwa den MO von Sightless Pit eher hintergründig mit einem wummernden Downbeat in die Trance eines sphärischen Schimmers, als würden Team Sleep ätherisch der verträumt gehauchten Melodie von Midwife folgen, selbst wenn sich nach und nach das garstige Trademark-Geschrei von Dylan in den triphoppigen Halluzinogen-Beat mischt und der Opener immer mehr als viruszerfressene Distortion knistert. Ähnlich assimilierend schließt am anderen Ende die hypnotisch versöhnliche verführende Futilities den Kreis, in dem Foie Gras als transzendent betörende Mythologie-Sirene mystifiziert.
Dazwischen aber zeigt sich das Amalgam aus Harsh Noise, Power Electronics und Post/Death Industrial eben so empfänglich für abstrakt deformierten Hip Hop, wie man das derart natürlich und organisch anziehend kaum für möglich gehalten hätte.
Calcified Glass ist trap-zappelnd ein Contemporary R&B-Alptraum aus den esoterischen Abgründen von James Blake, der in Ruhe aus dem Hintergrund giftig zerfressen wird, als würde atonaler Free Jazz eine Hirnwut verbreiten – leider kommen die an sich spektakulären, hart zupackenden Features von Drummer Yoshimio (Boredoms) und vor allem Gangsta Boo (RIP!) zu kurz. Flower to Tomb schiebt die kreischende Hysterie von otay:onii (Elizabeth Colour Wheel) mit somnambulen Ritualismus grandios zum Silent Hill-Soul zwischen Massive Attack und Algiers, während Low Orbit sich im chantent produzierten Schnauf-arbeitenden eingroovt und die diabolisch verzogenen Raps von Frukwan (Gravediggaz, Stesasonic) und FoH-Buddy Spencer Hazard (Industrial Hazard) wie einen seltsam spaßigen Oompa Loompa-Hass im postindustriellen Rausch anlegt, derweil False Epiphany als sphärisch-ätherischer Ambient mit zurückhaltender Hi-Hat und claire rousay als kotzender Standard durchatmet, bevor Shiv Crownovhornz im hysterischen Sedativums anfeuert, und durch die Arena joggt, als wären Run the Jewels mit Säure übergossen worden.
In einer diffusen Grauzone, in der Lockstep Bloodwar gleichzeitig aufwühlend und einlullend operiert, wird die erzeugte Reibung zwischen dem Hausrecht und den geladenen Gästen allerdings nur bedingt genutzt. Walker und Buford adaptieren ihren Trademark-Sound (sofern man diessen ob einer gewissen Unerkennbarkeit der Ingredienzien so nennen kann) stets weit genug, um den Features als gefühlter Kompromiss entgegenzukommen, gehen abseits der Ästhetik hinsichtlich des Songwritings aber nicht all in und reizen in dieser Dälek’schen, HEALTH-affinen Stimmung die möglichen Extreme nicht derart kompromisslos aus, wie es ohne Netz und doppelten Boden wohl möglich gewesen wäre.
Also nicht falsch verstehen: Lockstep Bloodwar ist ein fantastischer Paradigmenwechsel und tolles Album – allerdings eben auch eines, das mit mehr Schonungslosigkeit und einem ganzheitlicheren Spannungsbogen locker ein überragendes hätte werden können.
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