Sightless Pit – Grave of a Dog

von am 8. März 2020 in Album, Reviews

Sightless Pit – Grave of a Dog

Das experimentelle Noise-Triumvirat Lee Buford (The Body) Kristin Hayter (Lingua Ignota) und Dylan Walker (Full of Hell) kuratiert unter dem Banner Sightless Pit mit Grave of a Dog elektronische Ambient-Clubmusik aus der Vorhölle für seine ganz eigene esoterische Folterkammer.

Obgleich das Debütalbum der drei Szene-Granden gänzlich auf Grind-Attacken, auch auf Gitarren oder organische Drums verzichtet, verankern Sighless Pit sich doch ziemlich deutlich entlang der Erwartungshaltung – also ungefähr in der Schnittmenge aus jener Melange, die The Body mit Haxan Cloak auf I Shall Die Here 2014 gebastelt haben, mit dem Flair der Kooperation Ascending a Mountain of Heavy Light, sowie einer in rauschende Schaltkreise abdriftenden Fortsetzung der Zusammenarbeit, die Full of Hell mit Lingua Ignota auf Weeping Choir 2019 versprochen haben.
Verschweißt wird dieses Band der Zusammenarbeit in einem Koordinatensystem zwischen Pharmakon, Puce Mary und Blank Mass, woraus aus über zwei Jahren verteilten Sessions langsam das Wesen von acht formoffenen Seancen beschworen wurde.
Eine Entstehungsgeschichte mit langer Historie, in der dann auch – in mehrerlei möglicher Hinsicht – der Hund begraben liegt.

Wo der Sound der Platte kaum Überraschung bietet, tut es die Form von Grave of a Dog schon eher. Mit gerade 39 Minuten Spielzeit kann die Platte in ihrem kompakten Volumen sowie relativ schnell erfassten Konturen gerade in der Kennenlernphase durchaus wie ein nicht restlos ausformuliertes Werk anmuten. Doch es wird sich zeigen: Das unfokussierte Treibenlassen gehört hier zum System, das Zielführende ist das Verdichten und die Konzentration.
Das Kaleidoskop der Ästhetik steht jedenfalls über dem Zweck, dass Motive Auflösungen des klassischen Songwritings erreichen sollen. Man folgt Ideen in Trance, die ganz bewusst keine bedingungslose Befriedigung anbieten. Das famose Immersion Dispersal flimmert etwa als dystopischer Score über einen pumpenden Beat, als hätten die B-Seiten von Amnesiac einen Albtraum: Apokalyptisch schimmernd ist das ein gefährlich fauchendes Cinemascope. Ein hirnwütiges Saxofon drangsaliert später sogar aus dem Nichts kommend den Free Jazz bestialisch, evoziert eine verzweifelnde Selbstkasteiung, die irgendwann einfach den Notausstieg wählt.
Grave of a Dog kann (und will?) also durchaus (erst) den Eindruck vermitteln, nur fragmentarische Ausblicke in ursprünglich größere Landschaften zu bieten, während das verbleibende Material gefühltermaßen (und gerade in Anbetracht der Urheber) noch konzentrierter, noch größer, auch radikaler auftreten zu können schiene – es aber nicht tut.

Wobei es dem Trio nicht um falsche Fährten zu gehen scheint. Vor allem in der zweiten Hälfte lassen sich Sightless Pit tatsächlich eher gehen und die Zügel so locker hinter die Attitüde gleiten, dass Grave of a Dog wie ein nebenher konsumiert werden wollendes Ambientwerk als ambitionsresistente Nabelschau anmutet.
Drunk on Marrow stellt als neoklassizistisch im Goth-Moll badender Minimal-Elektronik mit Horror-Flair und Suspence-Überbau in der Mitte der Platte tatsächlich nicht mehr als ein überlanges Interlude dar, dass dem bis dorthin praktizierten MO keine neuen Impulse gibt, wohingegen auch Miles of Chain ausnahmslos Projektionsfläche für Neurosen und eitrige Vocals darstellt, Ist-Zustände wiederholt, anstelle zusätzliche Perspektiven zu kreieren.
Und der maschinelle Mahlstrom Whom the Devil Long Sought to Strangle zeigt zwar eine klare Linie, indem er sich voranschreitend selbst verdaut, aber dabei keine Geistesblitze aus dem Abgrund. In gewissen Teilbereichen verkaufen sich Sightless Pit insofern durchaus ein bisschen unter Wert.

Die Wahrheit sieht dann in Summe aber ohnedies differenzierter aus. Es wäre natürlich ungeachtet der bisher angehäuften Reputation der drei Parteien utopisch und unfair, dem Trio bereits am ersten gemeinsamen Album die Formvollendung abzuverlangen, ihm keine Kinderkrankheiten zuzugestehen.
Tatsächlich finden sich jedoch nicht nur in den schwächeren Sehmenten der Platte zumindest in den Details absolut faszinierend produzierte Nuancen, es ist viel mehr generell so, dass Sightless Pit selbst die Ansprüche jenseits der Erwartungshaltung verdammt hoch schrauben. Jenseits der erschlagenden Katharsis-Masse entwickelt Grave of a Dog nämlich als Ganzes ein infektiöses Suchtpotential, dem man sich als Hörer ohne Kraftaufwand immer wieder aussetzen möchte, dessen Hässlichkeit etwas durchaus fürsorgliches transportiert – und über zahlreiche beeindruckende Amalgame fern abseits des kleinsten gemeinsamen Nenners von Lingua Ignota, The Body und Full of Hell für nihilistische Sternstunden sorgen.

Gleich Kingscorpse ist choral und gespenstisch ausgeschmückterer Industrial-Techno mit beängstigend subversiv-wummernden, zitternd-rasselnden Beats und verzerrtem Gegreine in der glitchenden Manipulation, der seine Bestandteile immer weiter im übersteuert. Das brillante The Ocean of Mercy schnauft als Chain-Gang-Nachtmahr, was auch einem morbiden Tom Waits gefallen würde, wenn sich Sieben Zwerge in eine Todeskathedrale schleppen, die sakrale Orgel die Empore mit Ruß bedeckt, und sich Hayter im Dark Wave und Death Industrial beschwörend auf die Kanzel erhebt. Violent Rain nutzt dort einen nahtlosen Übergang in den Radiatoren-Drone, der Melodien über ein melancholischen Piano, im Vocoder und der wärmenden Klaustrophobie zulässt. Das verzerrt würgende Gebrüll von Walker ist dort auch kein ästhetische Klischee, sondern kontrastierende Entmenschlichung fern jeder Artikulation – zumal die Atmosphäre beinahe die Fratze einer Ballade zulässt, Grave of A Dog auf seine Art wundervoll versöhnt, gerade im verträumten Abgang puren Trost verströmt.
Ausgerechnet dort macht das unspektakulär verglühende Love is Dead, All Love is Dead als Klagelied über abgedämpften Subbässen weiter, ahmt dem Herzschlag einer Maschine in Clubs im Erd-Inneren nach. Immer wenn Hayter in das Zentrum rückt, ihre abstrakte Griffigkeit für Gravitation sorgt, das Klavier wie eine Erinnerung an weniger grausame Tage klimpert und die Anmut näher als die Kakophonie ist, mag das trügerisch sein, aber eben mehr als nur das Versprechen zukünftiger Großtaten: Diese Allstar-Kombo ist für Meisterwerke gut, destilliert aber auf seinem Einstand noch kein solches über die volle Distanz.

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