Shellac – To All Trains
To All Trains blick eigentlich giftig nach vorne, hat auf Metaebene aber natürlich einen sentimental-bittersüßenBeigeschmack: Das erste Shellac-Album seit zehn Jahren ist mehr noch das letzte Studioalbum des zehn Tage vor der Veröffentlichung überraschend verstorbenen Steve Albini.
Während der Einfluss von Albini auf die Musikgeschichte kaum angemessen einzuschätzen ist, bewegt sich To All Trains in einem klaren Rahmen: überraschungsfreier, purer, typischer Shellac-Stoff, der wie instinktiv aus dem Handgelenk geschüttelt wirkt – und nicht wie ein Werk mit der Bürde, eine Dekade Funkstille beenden zu müssen.
Minimalistisch gehalten und sarkastisch im Biss knüpfen Albini, Todd Trainer und Bob Westln eher ziemlich mühelos an Dude Incredible an, der Post Hardcore Noise Rock klingt natürlich prägnant (mit einer trocken pointiert scheppernden, kompakt fesselnden Rhythmussektion und süffisant-fieser Gitarre samt einem organischen Raumklang, als würde man neben der Band stehen) brillant direkt aufgenommen.
Das Pacing und Sequencing sitzt exzellent, variiert homogen den MO zischen simpel gestrickten Motiven (die Albini wie vor allem der kurzen Call-and Response-Fingerübung Scabby the Rat skandieren lassen, als ginge es einzig darum zu zeigen, wie viel Bock alle Beteiligten an der Sache haben: „Scabby the Rat/ Makes the whole room pregnant/ Scabby the Rat/ Pow! you’re pregnant!“) und vielseitiger ausformulierten Ideen. Die Bandbreite ist jedenfalls gegeben, in keiner Auslage soll es zu gemütlich werden.
WSOD groovt zurückgelehnt und nimmt sich lange für das Etablieren seines catchy Gitarren-Motivs Zeit, bratzt dann massiv kreischend aufs Gaspedal tretend herrlich sägend los, Girl From Outside tänzelt verschmitzter schwofend mit frechen, scharfen Kanten. Wednesday gibt sich als Jam-affinens Durchatmen, erzählt im taumelnden Sinnieren sonor um seinen losen Songwriting-Kern und How I Wrote How I Wrote Elastic Man (Cock & Bull) versöhnt als relativ melodischer Marsch-Singsang ohne konkretes Ziel: „Before we start, I must explain/ The title once was Sauerkraut/ …/ It’s all too complex/ To be captured here„. Spontanität und Instinkt prägen das Momentum, work in progress, kein verkopftes Zerdenken – da konnte nicht einmal die Zusatzinfo zur Platte bisher korrigiert werden: „The band will continue to play shows or tour at the same sporadic and relaxed pace as always.“ Albini würde darüber vielleicht ja schmunzeln. (Und seine Musik plötzlich wieder bei Spotify vorfinden wollen?)
Manchmal platziert sich das dann direkter neben Mclusky denn je (etwa im drosselnden Schlingern Tattoos das in emsig sedierter Dynamik oszilliert, oder der stoisch scharrend-stampfenden Rockabilly Roadhouse-Variation Scrappers, in der Albini den letzten Schlachtruf einfach doch runterschluckt, oder dem nach vorne nickenden Zug Days are Dogs), manchmal lässt man einfach die Energie von der Leine (wie in der flotten Schmissigkeit Chick New Wave mit seiner dauerrepetierten Gitarrenfigur), manchmal sekkiert man mit angezogener Handbremse. Immer ungezwungen, niemals beliebig. Und ironischerweise so vital, dass kurzweilige 28 Minuten abseits der Begleitumstände kaum in Verbindung mit einem melancholischen Beigeschmack kämen.
To All Trains ist nämlich sicher nicht das Album, für das man sich an Albini erinnern wird, oder gar eines, das es (ungeachtet seines zynischen Erscheinungsdatums) unbedingt gebraucht hat, um den Legendenstatus des 61 jährigen zu zementieren – es müsste Angesichts der Attitüde der kurzweiligen 28 Minuten auch genau genommen weitestgehend gar nicht stets so dezitiert um den Tod einer Legende gehen (die dann aber zugegeben doch für ein wenig objektives Aufrunden zwischen den Punkten bei der Endabrechnung sorgt) – aber alleine wenn I Don’t Fear Hell als letzter Song einer beispiellosen Karriere sich als kasteiend ausbluten lassende Rezitation mit der Tür ins Haus schleppt, erzeugt das angesichts der Umstände eine ikonische Gänsehaut. „I’ll leap in my grave like the arms of a lover/ If there’s a heaven, I hope they’re having fun/ Cause if there’s a hell, I’m gonna know everyone“.
Auch wenn To All Trains die Frage stehen lässt, ob er das überhaupt will: RIP Steve Albini!
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