Shame – Songs of Praise
Fünf adrett gekleidete Jungs aus Brixton, London sind eigentlich viel zu jung, um das brennende Indie-England der frühen 2000er mitbekommen zu haben – für die Blütezeit des kantig-schroffen Post-Punk sowieso. Dennoch machen sie ihre Songs of Shame als selbstverständlichste Sache der Welt am Schnittpunkt dieser beiden bitischen Siedepunkte scharf.
Sauber und höflich stehen Shame am freundlichen Cover ihres lange vorbereiteten Debüts parat, die knuffigen Ferkel in den Armen. Man ahnt es bereits – eine Finte. Derart freundlich gebärdet sich das heiß gehandelte Quintetts über 39 knackige Minuten schließlich selten. Die Sachlage im Land des Brexit ist stattdessen ziemlich bissig und angepisst. Eine latente Unzufriedenheit, persönliche Spannungen, die allgemeine Konsumgier und der herrschende Hedonismus, soziale Ungerechtigkeiten und ein juveniler Druck bilden das Grundpflaster der Platte.
Shame übersetzen diesen Unmut mit polternden Rhythmen, flirrenden Gitarren und variablen Gesang – rezitierend, nölend, keifend, fauchend, schreiend, schnappend; eher ramponiert als kaputt – in eine altbekannte Post-Punk-Formel, die jedoch ein Gespür für scharfkantige Melodien, den wütenden Druck und mehr als alles andere ein großartig dringliches Momentum hat. Das benötigt deswegen auch keinen asozialen Mief, stattdessen agieren Shame als pointierte Aufwiegler als Brandstifter, die die stete Konfrontation auf zugängliche Art suchen, ohne zu verprellen. Der Radau erzeugt keinen wirklichen Schaden, der Exzess bleibt kontrolliert; ist smart und sauber genug, um sich nicht selbst zu fressen.
In den roten Bereich eskalieren diese Songs of Praise also (leider) weniger, als dass sie mit viel Verve altbekannte Lektionen auffrischen. Shame speisen ihren Sound primär aus dem Vermächtnis von The Fall, Gang of Four, Buzzcocks und Joy Division, scheuchen aber anachronistisch darüberhinausgehend in eine Umgebung, die den Editors nach ihrem kühlen Debüt wohl zu fies gewesen wäre; eine Kampfzone, in der Iceage selbst ihren Welthass nicht derart drastisch ruhig pflegen hätten müssen; eine nachhaltige Eingängigkeit, die Eagulls so nie erreicht haben; eine Fassbarkeit, die Protomartyr zu profan wäre – irgendwo in der Nähe der deutlich räudigeren Härtefälle der Nachbarschaftsrabaueken der Idles.
Am wichtigsten aber: Shame haben solch vitale Kompositionen im Anschlag, um die Vorgaben der stilistischen Idole ebenso kompakt zu stemmen, wie den aktuellen grassierenden Mehr-oder-minder-Hype um Songs of Praise. Wo Dust on Trial in seiner dystopischen Wucht noch relativ zäh eröffnet, Sänger Charlie Steen erst beschwörend tief lamentiert und seine tighte Band ihre Muster dahinter stoisch repetiert, bevor der Song mit einem energischen Frontmann aufplatzt, das Mikro packt und um sich spukt, die Gitarren sich immer manischer aufreiben und ansticheln, Shame wie im kontrollierten Ausnahmezustand heulen, können die fünf auch deutlich schmissiger.
Concrete ist ein straighter, mitreißender Song, Steen spielt sich selbst die Bälle zu, bis plötzlich alle Lunte gerochen haben und ein simpel gestrickter Hit ordentlich Feuer unterm Hintern macht – Lampoon hetzt als gelungene Variation davon grandios, spätestens, wenn die Band wie unter Strom hyperventiliert. Auch Tasteless ist ein ähnlich potenter Killer, der mit brummenden Bass nach vorne zieht und die Gitarren oszillieren lässt, während Gold Hole die stampfend-walzende Outlaw-Beinaheballade wagt und die Lippe als fiebrige Single cool nach oben zieht.
Allesamt grandios infizierende Aushängeschilder, die die Vorzüge der Band auf dem Silbertablett servieren, ohne Kanten abzuschleifen. Dass die Platte sich neben dem Offensichtlichen allerdings auch noch Trümpfe wie The Lick (ein entspannter Halluzinogen-Roadtrip, der im Wahn durch ein Badass-Noir-Roadhouse-Flair in die englische Gosse zieht, jähzornig und lakonisch) aufgespart hat – umso besser!
Dennoch hat das Gemisch der Briten noch mit allgegenwärtigen Kinderkrankheiten zu kämpfen – vordergründig auf lyrischer Ebene. One Rizla lässt seine Gitarren weiter hin Richtung Indierock und zu den seligen Rakes perlen, doch bagatelisieren die Texte („Wallet’s empty I’m going broke/ But I’m still breathing/…/ Well I’m not much to look at/ And I ain’t much to hear/ But if you think I love you/ You’ve got the wrong idea/ … / Not so good at school but I ain’t bad/ I’d rather be fucked than sad„) und Steens Vortrag ist zu wenig authentisch neben der Spur – ohne relevantes Charisma ist das in Summe schlichtweg zu unverbindlich. Donk dagegen arbeitet mit dem Vorschlaghammer („I had a dream/ just like Mr. King„), bolzt grundsätzlich herrlich hart, dreckig und knochentrocken, bleibt aber strukturell ein unkoordinierter Mahlstrom, der als Geste nur im Kontext schlüssig funktioniert.
Friction mag dann als beherrscht-kontrollierte Zackigkeit smart und catchy kurbeln, doch wirkt die Band im melodieverliebten Part des Songs etwas zu beliebig. Die immer wieder umgeschichteten Dynamiken sind fraglos toll, aber in Szenen wie dieser fällt die Intensität der Platte doch zu durchsichtig ab. Dann agieren Shame bloß als wollten sie so klingen, wie sie es tut – nicht als müssten sie es schlichtweg: Sturm und Drang im Schongang.
Wo man den Engländern vor allem die Momente der demonstrativ zur Schau gestellten Nihilismus zudem nicht immer abnimmt und man die musikalisch mit Understatement brodelnden Momente zwischen den Polen aus Atem holen und Faust ballen misst, macht das am Ende aus einer immensen Talentprobe noch kein ausformuliertes Statement, doch brettern Shame im Finale nichtsdestotrotz einem überraschend breit strahlenden Horizont entgegen.
Angie streckt sich über 7 atmosphärisch ausgeleuchtete Minuten, baut sich reich texturiert und harmonisch ruhig auf, lehnt sich versöhnlich zurück, verzichtet auf die Kampfposition und den Ziegelstein in der Hand, sondern öffnet sich sogar der großen Geste bietet und einen Refrain an, der die potentielle Hymne skizziert. „Well I know you could do better/ And I know you could do worse/ …/ I’ll cut you down/ I’ll hold your face/ And we will stay/ In your happy place.„
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