Shame – Drunk Tank Pink

von am 21. Januar 2021 in Album

Shame – Drunk Tank Pink

Der Postpunk der Senkrechtstarter von Shame ist unter der Ägide von Foals– und Arctic Monkeys-Intimus James Ford für das zweite Studioalbum Drunk Tank Pink komplexer, dreckiger und auf angriffslustige Art und Weise abgeklärter geworden.

Ein kurze Momentaufnahme der herrschenden Umstände einer in den vergangenen Jahren zu neuer Blüte herangereiften Szene zeigt Shame in herausfordernder Gesellschaft: Fontaines D.C. sind über den Erwartungen zur Ruhe gekommen, Idles haben den Lob des Feuilletons trotz der Drohung zur Selbstpersiflage zu verkommenen sicher, die Viagra Boys scheitern im steten Wachstum vorerst noch am kohärenten Album und Protomartyr sind triumphal in ihrer vermeintlichen Spätphase angekommen.
Zwischen diesen Reibungspunkten setzt Drunk Tank Pink nun an, ohne den relativierenden Vergleich mit den genannten nahverwandten Kollegen zu erzwingen, wenn Shame die vielversprechende Talentprobe Songs of Praise nach links drehen und ihrem Postpunk eine gehörige Portion aufwiegelnder Unzufriedenheit einimpfen, nunmehr deutlich rauher agieren: Die Londoner bürsten ihren Sound hinter einem allgegenwärtig Präsenz zeigenden Schlagzeug giftiger gegen den Strich – düsterer, dunkler, auch gefährlicher und energisch-sperriger. Versiffter und punkiger schlägt das Quintett mit einer zackig unter Strom rumpelnden, präzisen Rhythmussektion nach dem mit adretten Ausgängeschildern noch deutlich entgegenkommenderen Debüt einen erfreulich unbequemeren Weg ein, zeigt mehr Bock zur Kante als zu Hits.

Eine kluge und vielschichtige Entscheidung für den praktizierten Eklektizismus. Immerhin injizieren Shame so einer an sich generischen, kaum revolutionären Formel eine geradezu spöttische Dringlichkeit, wenn schon Alphabet die Ästhetik näher hin zum Noiserock der jüngsten Metz-Evolution rückt. Nigel Hitter rumpelt vertrackter gezackt in das Vermächtnis von Wire und Gang of Four, doch erst das brillante Born in Luton führt den aktuellen Status Quo der Epigonen mit der gesamten Palette einer eindrucksvollen Spannweite vor. Das pulsiert hibbelig mit lebendiger Percussion und aufgedrehten Effekten am postindustriellen Dancefloor, samt schäbiger Direktheit und schrammender Gitarre, bremst sich aber plötzlich zur sedativen Atempause aus, die bedächtig wiegend wieder an Tempo aufnimmt – nur um sich in einen choral texturierten Slo-Mo-Part zu stürzen, der beschwörend-brütend die progressiv Struktur der Nummer mit feierlicher Apokalyptik zelebriert.
Danach folgt praktisch ein enorm dicht produziertes, eifrig eilendes Schaulaufen dahingehend, was das Genre an frischen Impulsen zu transpirieren fähig ist – samt der Erkenntnis, wie nostalgiebefreit auch ein allgegenwärtiges Referenzspektrum auftreten kann.
March Day joggt Richtung Rakes und generell dem England der Jahrtausendwende, doch inszenieren sich Shames als eigene Stichwortgeber: jeder hat was zu einzuwerfen und zu bekräftigen, einem distinguierten Aufruhr im Futureheads-Pub gleich. Water in the Well übersetzt dagegen mit Black Midi-Analogien Merkmale von Alexis Marshall als Indie-Nonchalance, neigt mit Leichtigkeit zur Ausgelassenheit und Snow Day wirkt wie eine sinistre, melancholisch-bedrückte Erinnerung an die ersten beiden Block Party-Alben, aber von einer Kanzel in der seitdem nicht besser gewordenen Welt von Ought sonor herab rezitiert – mitten drinnen geschwülstarrig aufplatzend, unruhig das Tempo und das Volumen variierten.

Eingefangen ist all dies von einem tollen, weil so kompakten und doch nicht einengenden Spannungsbogen, einer kohärent gespannten Dynamik. Am besten sind Shame aber, wenn sie ihre kühlen Köpfe danach vom hitzigen Umtrieb in die zurückgenommener nach außen kotzende Introspektive wechseln und damit nicht nur wie ein kulturkämpferisches Kaleidoskop agieren, sondern auch auf emotionaler Basis beinahe auf Augenhöhe zu den Klassenbesten der Szene aufschließen – im ruhigen, ja geradezu verträumten Groove von Human, for a Minute etwa, wo die Band harmonischer schwelgend der Melodik den Hof macht, bevor Station Wagon abgedämpft-nachdenklich hinten raus mit seinem Piano und der Aufbruchstimmung so versöhnlich etwas episch-erhebendes mit subversiver Dramaturgie einfängt.
Der zwischen diesen beiden Ruhepolen liegenden Ausbruch (Great Dog setzt als knackig-impulsiver Gaspedaltritt auf das abrupte Überraschungsmoment und legt das aufgewühlt mit dissonanter Schraffur gezeichnete 6/1 sowie den schnittig-scharfkantig aus der Haut fahrenden Exzess Harsh Degrees gekonnt in die Spur) erweitert als womöglich schwächste Phase dabei ohne annähernde Ausfallgefahr weniger den Grad an essentieller Substanz, als vielmehr ein exemplarisch klaustrophobisches Ventil darzustellen – und damit auch als Statement einer niemandem etwas schenken wollenden Platte verstanden werden kann, die sich erst dort verausgabt, wo das Debüt 2018 seinen Reiz schnell erschöpft hatte. Verdammt nahe dran an der Meisterprüfung.

Print article

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen