Seul – Seul
Eine allgemeine Schwäche für den weiten Raum um etwaige Ambient- und Post-Spielarten sowie eine spezielle Verehrung für Material aus dem Fuck The Facts-Umfeld schadet zumindest nicht, um auf Seul aufmerksam zu werden – wertschätzen wird man diese 30 Minuten Kopfkino aber auch ohne diese Voraussetzungen.
Physisch limitiert auf 50 CD Exemplare ist das in zwei Longtracks unterteilte Seul ein Griff ins Archiv, erdacht von den beiden Fuck The Fackts-Leithammeln Mélanie Mongeon (vocals, keys) und Topon Das (guitar) „as a one-off live performance at RBMA “Drone Activity In Progress“ festival in Montreal back in September 2016. Shortly afterwards, the music was recorded and archived. Flash-forward 5 years later, and the duo have finally release their creation.“
Ein wenig (strukturelles) Feintuning hätte Seul dabei im Nachhinein nicht geschadet, formulieren die beiden Kanadier das Potential ihrer Plattform doch nur bedingt aus, arbeiten geduldig auf zwei Höhepunkte hin – nur um diese jeweils zu abrupt und beinahe willkürlich wieder zu verabschieden, was Seul ungerechtfertigterweise einen latent desorientierten oder unbefriedigenden Beigeschmack geben kann. Anstatt mit den Abgängen zu frustrieren hinterlassen jedoch eher die Wege dorthin Eindruck.
I ist lange eine vage Ahnung von abseits des eigentlichen Fokus stattfindenden maschinell anmutenden Field Recordings aus einer Parallelwelt, als würde man von weitem eine im Nebel dampfende und fräsende Fabrik beobachten: ein seltsam beruhigendes, hypnotisches Bild. Überhaupt funktioniert der eigentlich kaum individualistisch geprägte Minimalismus von Seul hier fesselnd entlang der William Basinski-Schule, zumal das klaustrophobische Gespür bald zugunsten einer astral schimmernden Atmosphäre schwindet. Flirrender Postrock taucht langsam auf, grundlegend generisch zwar, aber vor dem etablierten Hintergrund vor allem einnehmend: wie eine Streicheleinheit in der wohligen postapokalyptischen Kälte, eher universell als austauschbare, wächst das neben den Hoheitsgebieten von Godspeed mit viel Raum und Zeit. Ein dunkles Piano implementiert pure Melancholie, teilt sich, wo neu hinzukommende Elemente stets auf den vorangegangenen aufbauend den Vordergrund des Mix einnehmen, den Fokus mit einer avantgardistisch sinnierenden Gitarren-Melodie.
Der Umbruch in die Zeitlupe des Drone Metal passiert plötzlich, aber nicht willkürlich: Mongeon brüllt in eine aggressive Katharsis, deren Klimax sich sofort ausblutend wie ein Coitus Interruptus anfühlt, weil Seul hier die Früchte ihrer Reise nicht erschöpfen, sondern nur streifen. Dass I in seinem bedächtig verglühenden Ausklang nach den brutalen Sekunden vorsichtiger und sanfter erscheint als zuvor, schafft eine gewisse Form der Entropie, doch bleibt es einfach bisschen unbefriedigend, dass gerade dieser kraftvolle Zenit so überhastet wieder beendet wird.
II übernimmt dort nahtlos, wird jedoch nichts aus dem Fehler von I gelernt haben, sondern ihn auf noch höheren grundlegenden Niveau wiederholen. Seul schleusen diffus entrückte Bläser zu einem doomjazzigen Fiebertraum, dessen MO erst entgegengesetzt zum Opener angelegt ist, wenn die grundlegende Reverb-Schicht das tragende Element im Rampenlicht bleibt und die Texturen durch hinzugefügte Impulse mutieren – bis eine traurig nachhallende, mogwaieske Gitarren an der Hand nimmt und zu einem wunderbar in die Finsternis geschrieenen Quasi-Ballade der harschen Post Metal-Grandezza führt. Eine Größe, die noch so viel weiter ausgereizt hätte werden können – nur leider abermals viel zu unmittelbar beendet und im schimmernden Noise verabschiedet wird.
Vor dem angedeuteten Panorama sowie dem (hier eben in den entscheidenden Augenblicken zu inkonsequent liegen gelassenen) Momentum im Rücken, wäre jedenfalls wünschenswert wenn Seul den ein halbes Jahrzehnt auf der Halde gelegen habenden Faden aufnehmen und weiterspinnen würde: Am Ende bleibt schließlich vor allem die Vermutung, dass das Fuck The Facts-Duo mit mit mehr Geduld im Inkubator abseits der Spontanität nicht nur sehr gutes, sondern durchaus Material mit Referenzwert provozieren könnte.
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