See You Next Tuesday – Distractions
15 Jahre nach ihrem 2008er-Zweitwerk Intervals wagt die ehemalige MySpace-Nischensensation See You Next Tuesday mit Distractions ein Comeback – und gewinnt damit über allen Erwartungen auf ganzer Linie.
Seit knapp 2015, also rund sechs Jahre nach ihrer Trennung, ist die mittlerweile aus Drew Slavik, (offenbar nicht mehr James Watson?), Chris Fox und Rick Woods bestehende Band wieder aktiv, ob jemals ein drittes Studioalbum kommen würde, stand dennoch in den Sternen. Was schon schade schien. Immerhin war zwar das in Szenekreisen höher gepriesene Debüt Parasite im Windschatten von Daughters und Co. mit betonterer Weirdo-Attitüde und angestrengten Deathcore-Growls noch zu gimmickhaft an Trends der frühen 00er festhaltend angelegt, doch das tatsächlich bessere Intervals wusste ein Jahr später die richtigen Stellschrauben nachzudrehen und korrigierte den Sound näher zum Math-Grind, machte den Death zu einer flächigen Essenz der Danza-DNA – eine willkommene Evolution.
Distractions macht insofern noch mehr richtig, indem es diese Entwicklung weiterdenkt, das Songwriting und den Sound noch reifer gewachsen anlegt (wofür dann übrigens alleine schon die nur noch im Ansatz klischeehafte Titelwahl der 13 neuen Stücke als Sinnbild hinter dem aus der Zeit gefallenen Augenkrebs-Artwork herhalten dürfen).
Technisch versiert und mit einer herrlich chaotischen Aggressivität, die See You Next Tuesday vielleicht sogar ein bisschen hungriger und brutaler denn je zeigt, überzeugt Distractions als kathartische Agonie (deren Kerosin auf inhaltlicher Ebene die Auseinandersetzung mit psychischen Problemen ist) jedenfalls auch ohne nostalgischen Beigeschmack über den Erwartungen, nachdem der drohende Noise-Senderlauf How Insensitive eingestellt ist.
What a Funny Girl You Used to Be tackert exemplarisch über herrlich diffuse Gitarrensolo-Exzesse, ballert und geifert und keift und skandiert dann gar im brüderlichen Gangshout-Verbund, wo der giftige Mahlstrom Hey Look, No Crying garstig malmend die irre schnellen Drums (die generell immer wieder an Pig Destroyer denken lassen) auf im Wahn kaum zu bändigende Saiten (die die Produktion allerdings oft kaum differenziert vermengt) und Stimmbänder loslässt.
Da attackieren See You Next Tuesday am tief hängenden Ion Dissonance-Irrsinn und flehenden Converge-Gesten mit Jake Bannon-esken Rufen (beispielsweise in I’ll Never Be the Same), drehen den Death im zwingend wahnhaften Strudel zähflüssig enger (I’ll Never Smile Again), hängen der The Locust-Hysterie elektronische Fetzen um (Call Me Irresponsible) und proben die heroische Fratze (This Happy Madness), nachdem der Post Hardcore-Morast von Day in the Life of a Fool in rasender Tobsucht gespien hat: Dynamisch und kurzweilig ist das in seinen beinahe atemlosen 28 Minuten mit dissonanter, manchmal sogar hirnwütig deliranter Kante, reißend, zähnefletschend und intensiv.
Und nachdem das Interlude That’s What God Looks Like to Me als (überraschenderweise gar nicht wirklich aus dem Rahmen fallendes) Konglomerat und aus Samples und Subbässen schon das langsame Ausbluten der Platte ankündigt, pflegt Strange Music aus dem bedrückenden electroakustischen Ambient gewachsen seinen Hass sogar noch überdeutlich in den doomigen Sludge-Hass a la Cult Leader zu walzen, hat aber selbst hier ein unmittelbares Momentum auf seiner Seite, weil der Fokus von See You Next Tuesday mit Distractions scharf gestellt ist wie nie. Ergo: Reifeprüfung bestanden!
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