See-Rock Festival 2013: Tag #1 [21.06.2013 Schwarzlsee, Graz]
Da hilft notgedrungen nur noch der Weg zu den reichlich aufgebauten Getränkeständen, die den Durst gegen eine saftige Gebühr mit warmen Getränken stillen. Ungeachtet der phasenweise horrenden Preise ist für das leibliche Wohl zur Genüge gesorgt: vom Asiastand bis zur Schnitzelsemmel wird jeder versorgt, dem es nach fritiertem oder gebratenem verlangt. Dazu tummeln sich mit Merch-Ständen, Airbrush-Tattoo(?!)-Aufbauten, Mini-Plattenläden, afrikanischen Shops und Dildo-Party-Organisatoren alle erdenklichn Händler am fraglich optimale arrangierten Gelände (vor allem hinsichtlich der erst bei Maiden benötigten Lichtanlage) – wer’s braucht. Zu dieser Ausgangssituation gesellt sich neben den weitestgehend entgegenkommenden Beschäftigten noch ein sanitärer Bereich, der wenige Wünsche offen lässt: bis zu dessen Verwüstung in den Abendstunden hebt sich das See-Rock hier angenehm von einigen anderen Veranstaltungen dieser Größenordnung ab.
Von den (trotz allem überraschend moderaten) Besucherdimensionen des Abends ist gegen 14.00 Uhr noch wenig zu spüren. Verständlich, sind doch viele Besucher die nicht am Stau auf den Autobahnzubringern stecken werktags um diese Zeit noch im Arbeitsmodus. Und eben: die richtig großen Namen sind noch einige Stunden entfernt. Nichtsdestotrotz stellen sich die fünf Mannen von Voodoo Six wacker der undankbaren Aufgabe als Festivalopener. Sind sie ja auch irgendwo gewohnt: die Engländer sind im Rahmen ihrer Rolle als Supportact der aktuellen Iron Maiden-Tour unterwegs und dadurch das erste Mal in Österreich, präsentieren sich mit knackig rockenden Riffs und eingängigen Melodien als solide Arbeiter aus der zweiten bis dritten Reihe des Heavy Rock. Nichtsdestotrotz ein unterhaltsamer, sauberer Einstieg in den Tag.
Eben dort setzen auch die folgenden Marrok fort, tief in den frühen 2000ern verankert (und leicht prollig in Pose geworfen) und beweisen, dass harte Musik auch in (Ober)Österreich durchaus auf fruchtbaren Nährboden treffen kann. Dass die aktuelle Platte der Kombo sich offenbar mit einer kruden Science Fiction-Odyssee auseinandersetzt, passt dann schon alleine deswegen, weil Sänger Brian Pearl mit seiner markanten Stimme immer wieder an einen geerdeten Cluadio Sanchez erinnert. Um in Coheed and Cambria-Dimensionen vorzudringen fehlen Marrok dann aber noch die herausragenden Momente im ihrem Metal, der sich im guten wie auch schlechten zurecht auf Einflüsse von Avenged Sevenfold bis Papa Roach beruft. Die Soundprobleme und etwas bemühte Versuche im Stimmung-machen (vor allem das Rammstein-Cover am Ende wäre nicht nötig gewesen!) außen vor ist das live nicht so peinlich, wie man das auf etwaigen Bildträgern suggeriert bekommt. Passt also: unterm Strich der nächste Act, der die Latte für die Anheizer des nächsten Tages zumindest nicht herab setzt.
Denn eigentlich ist man damit bereits bei dem sich in weiterer Folge stetig steigernden Schaulaufen an Hauptacts angelangt. Weswegen die Schweden von Ghost hier den Anfang machen überrascht allerdings, zumal das geheimnisumwitterte Kollektiv spätestens seit ‚Infestissumam‚ unzählige Herzen erobert hat und sich längst aus dem Dasein als Geheimtipp zu einem großen Namen entwickelt hat. Die (zu) kurze Setlist stemmt sich dann auch zum Großteil aus dem erfolgreichen Zweitwerk, dass von der Band mit einer (zwangsläufig) etwas statischen Theatralik standesgemäß inszeniert wird. Dennoch: bei diesen Temperaturen will im gleißenden Sonnenlicht nur bedingt jene Stimmung entstehen, die Ghost wohl benötigen, um ihren satanistisch spielenden Ohrwurmreigen voll entfalten zu können. Am zweiten Tag vor Slayer platziert wäre am Timetable wohl idealer gewesen – aber das Leben ist eben kein Wunschkonzert.
Dass weiß auch Jason Newsted. In den knapp 12 Jahren seit dem Aufstieg bei Metallica ist der sympathische Allrounder trotz umtriebigen Engagements bei Voivod oder Rock Star Supernova weitestgehend vom Radar der Allgemeinheit verschwunden. Was sich mit dem jüngsten Neustart in der selbstbenannten Band und dem dazugehörigen Nomen-est-Omen Debütalbum ‚Metal‚ nur gemächlich zu ändern scheint. Weswegen Newsted trotzdem prominent platziert aufspielen dürfen, darauf bleibt nach unterhaltsamen 50 Minuten keine Frage offen: Der Namensgeber drischt mit tighter Band im Rücken eine kraftvolle Mischung aus harten Riffs und rasanten Metalabfahrten aus den Boxen, überzeugt als rauer Frontmann auch stimmlich. Das groovt ordentlich mit viel Gas und erstmals kommt Bewegung auf und vor die Bühne. Spätestens wenn Newsted am Ende den Metallica-Katalog aufmachen fliegen dem 50 jährigen alle Herzen zu. Dass er mit der Wahl von ‚Whiplash‚ zudem Sinn für Humor zeigt, adelt das erste Highlight des Tages zusätzlich.
Danach pflügen Behemoth als brutalste Band des Tages das Line Ups ordentlich um. Die Polen untermauern ihren Ruf dabei ohne Gefangene zu machen als Vertreter der Szene-Sperspitze, pflegen ihren tiefschwarzen Death Metal im bestialischen Outfit mit gnadenlosen Blastbeats und infernalem Gekeife ohne Erbarmen. In einem Club würde der Auftritt wohl einem spielwütigen Inferno gleichen, unter den gegebenen Umständen teilen Behemoth jedoch das maskierte Schicksal von Ghost. Hitze, Sonnenschein und furchteinflößende Mitternachtsmasken – diese Mischung funktioniert nur bedingt. Vor dem sich nur langsam füllenden Wavebraker entsteht vor der Bühne dadurch leider allerdings eine etwas ungezwungene Atmosphäre.
Mit der ist es aber spätestens vorbei als Stone Sour die Bühne entern. Erstmals ist Tag Eins des See-Rock gefühltermaßen nicht nur ein reines „Warten auf Maiden„. Rotschopf Corey Tayler erweist sich im Turbonegro-Shirt gut gelaunt einmal mehr als impulsiver Ausnahmesänger, hat das Publikum dazu mit dem (etwas ermüdend abgespulten) Einmaleins aus dem Handbuch der Live-Ansagen („Oh you crazy Motherfuckers„, „Fuck“ hier, „Fuck“ da etc.) mühelos in der Hand, überschüttet die ersten Reihen dabei ambitioniert mit Wasser und tollt unermüdlich über die Bühne. Seine längst nicht mehr als „Slipknot-Seitenprojekt“ wahrgenommene Band schüttelt sich dabei mühelos ein keine Wünsche offenlassendes Hit-Potpouri aus allen Studioalben rund um den aktuellen Doppelpack ‚House of Gold and Bones‚ aus den (im Fall von Gitarrist Josh Rand äußerst adrett, beinahe poppunkig gekleideten) Ärmeln. Natürlich kann man die Musik von Stone Sour dabei immer noch als einzigen großen Kompromiss ansehen, aber: das Quintett weiß schlicht was es tut, wie es seinen Hardrock einem breiten Publikum schmackhaft macht – auf der Bühne sogar noch kurzweiliger und kompakter als auf Platte. Alleine deswegen sind Stone Sour die goldrichtige Wahl in der Platzierung als „just the band right before Iron Maiden„.
Danach spielen sich Maiden durch die klassische Setliste der aktuellen Retro-Tour und spulen dabei großes Kino ab: Flammenwerfer, explodierende Feuerwerke, ständig wechselnde Bühnenbilder samt aufsehenerregender Teufelsskulpturen, ein riesiger Eddie marschiert umher. Dazu ein ambitionierter Bruce „Scream for me Graz!“ Dickinson, der über zugeworfene Hüte abstimmen lässt, sich mal im postapokalyptischen Outfit präsentiert und dann plötzlich in Armee-Unifurm den Union Jack schwenkt. Das kommt alleine inszenatorisch mit weitschweifenden, pathetischen Gesten einem metallischem, heroischen Heldenepos gleich. Die unsterblichsten Hits wie ‚Can I Play With Madness‚, ‚Fear of the Dark‚ oder ‚The Number of The Beast‚ werden vom enthusiastischen Publikum dabei besonders inbrünstig gefeiert, die Stimmung erlebt hier klar ihre Höhepunkte. Routine lassen Iron Maiden dabei zu keiner Sekunde aufkommen und selbst die umfassende Spielzeit von beinahe 2 Stunden erscheint kurzweilig und kompakt. Schlichtweg eine würdige, grandiose Show.
Setlist Iron Maiden:Intro: [‚Doctor Doctor‚ von UFO]
Moonchild Can I Play with Madness The Prisoner 2 Minutes to Midnight Afraid to Shoot Strangers The Trooper The Number of the Beast Phantom of the Opera Run to the Hills Wasted Years Seventh Son of a Seventh Son The Clairvoyant Fear of the Dark Iron MaidenEncore:Interlude: [Churchill’s Speech]
Aces High The Evil That Men Do Running FreeOutro: [‚Always Look on the Bright Side of Life‚ von Monthy Python]
Letztendlich legt der erste – Line-up technisch durch die Bank hochwertige – Tag des See-Rock-Festivals die Latte damit für den darauffolgenden hoch. Vor allem auch, weil neben den bereits ersatzlos ausgefallenen The Dillinger Escape Plan auch Motörhead ihren Auftritt kurzfristig absagen mussten:
„Mastermind Lemmy Kilmister kann seinen Auftritt nicht wahrnehmen. Aufgrund akuter Hämatome die große Schmerzen verursachen und deswegen ihm sein Arzt daraufhin Flugverbot erteilt hat.“
Der einspringende „Top-Ersatz“ Alkbottle kann da leider nicht einmal annähernd als Ersatz dienen.
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