Sectioned – Annihilated
Auch, wenn das umtriebige schottische Quintett zuletzt primär mit anderen Projekten beschäftigt war, darf man die verstrichene Zeit seit der SHDDRSCTND-Split (2014) sowie dem Kurzspieler-Doppel Outlier (2013) und Monotonne (2012) angesichts von Annihilated nun durchaus als gemeine Ruhe vor dem Sturm interpretierten.
Denn um es vorwegzunehmen: Sectioned haben mit ihrem lange erwarteten Debüt eine derart kompromisslos Gift und Galle speiende Tobsuchtsattacke sondergleichen aufgenommen, dass selbst die bisherigen Visitenkarten der Band aus Edinburgh nicht gänzlich auf ein solches Gemetzel vorbereiten konnten: Annihilated ist ein 44 unfassbar angepisste Minuten lang ansatzlos berstendes Aggressionsventil geworden, dass mit Schaum vorm Mund keine Gefangenen nimmt. Eine manische Raserei, die als Konglomerat seiner prägenden Bestandteile alle sich aufdrängenden Verortungen – von Genre-Kategorien als brennende Erde über niedergemähte Stil-Diskussionen bis hin zu all den zahlreichen Referenz-Assimilierungen im Sound – unerbittlich in den unter permanenter Spannung stehenden Reißwolf drangsaliert.
Annihilated soll seinem Namen damit dezidiert alle Ehre machen und überfordern, auslaugend, weh tun. Permanent. Ein bestrafender Strom wütender Katharsis – intensiv, energisch und dissonant, in seiner Unnachgiebigkeit auch auf den ersten Blick durchaus repetitiv. Schrill heulende, atemlos shreddernde Gitarren und nervenmalträtierend-gefrickelter Noise kippen dafür in muskulöse Blastbeats, elektrifizierenden Hi-Hat-Irrsinn samt heavy groovender Breakdowns, während das martialische Geschrei von Brüllwürfel Jamie Christ (im willkommenen Verzicht auf cleanen Vocals oder melodiöse Refrains) bestimmt die Zügel in der Hand haltend über der technischen Extremsituation steht.
Das ist dann im Rundumschlag ebenso sehr komplexer Mathcore, wie es hyperventilierend-gezirkelter Djent, bestialisch schneidender Grind oder von elektronischen Viren zerfressener Metalcore ist. Die Schwesterband Frontierers hat im Sound von Annihilated (das nicht ganz zu Unrecht auch als Update von Orange Mathematics gesehen werden kann, obwohl dessen tatsächlicher Nachfolger Unloved ja bereits in den Startlöchern scharrt) ebenso ihre Spuren hinterlassen, wie die Brutalität von Pig Destroyer oder der garstig-konzentrierte Hardcore-Nihilismus von Nails. Es finden sich Spuren der virtuosen Experimentierfreude früher The Dillinger Escape Plan oder der technische Vertracktheit von The Tony Danza Tapdance Extravaganza, dazu die atemlose Geschwindigkeit von Discordance Axis und gleichzeitig auch der Sinn für Groove ala Meshuggah oder Ion Dissonance.
Und sicher: Einen ähnlich Level an ikonischer Eigenständigkeit oder innovativer Vorreiter-Tätigkeit, wie es all diese definitiven Impulsgeber von Sectioned bisweilen zelebrieren, hat Annihilated nicht inne. Dennoch funktioniert die Platte weniger als Zitatesammlung, den als konsequentes Amalgam, und nutzt einen assoziativen, aber durchaus eigenständigen Mix als Mittel zum Zweck, um Schmerzgrenzen zu vermessen.
Die Qualitäten der Platte werden vor allem dann deutlich, wenn Annihilated seine 13 Songs im schizophrenen Gesamten aufgegehen lässt und dennoch durchaus nuancierte Kompositionen an den Tag legt, deren individuelle Feinheiten ohne abstumpfend tumbe Heavyness langsam, aber doch im strukturierten Chaos hängen bleiben.
Der Titelsong etabliert sogleich ein Tempo, das gleichzeitig hämmernd-bollernde Stakkato-Schraubstöcke ansetzt und dann wieder hysterisch-gallopierend presst, sogar eine Art Solo spult sich zwischen Thrash-Sequenzen und hyperaktiven Schaltkreis-Entladungen ab, bevor sich der Opener wie von der Tarantel gestochen über die Ziellinie schleppt. Das unberechenbare Synchronicity birst beinahe vor synthetischer Dramatik, ist unberechenbar und dennoch irgendwo zugänglich, bevor Eigengrau als monströse Walze sein Riff bis zum Herzstillstand knattert, Bête Noire zwischen punkig-räudig und atmosphärisch-entschleunigt switcht und Victorious, Neverending sogar beinahe klingt wie Slipknot auf deren ersten Album, wenn ihnen Code Orange heftigst in die Suppe gespuckt hätten – inklusive sich ausbremsender Nachdenklichkeit. Abgesehen davon könnten die ehemaligen Kids derzeit jedoch tatsächlich einiges in Sachen Kohärenz von den Schotten lernen.
Toothgrinder etwa bekommt über zahlreiche Rhythmuswechsel und explodierende Time-Signatures hinter einem psychotischen Feedback-Angriff dennoch eine gewisse, nun ja, „Catchyness“ hin. Vielleicht auch Dank des zusätzlichen Inputs der beiden Schlagwerker Tony Wolski (The Armed) und Niall MacRae (Vasa) – die es dann auch in Portrait zu hören gibt, dem vielleicht eindrucksvollsten Leviathan der Platte: Ein synapsensprengend-peitschender Geschwindigkeitsrausch mutiert da zum Sludge und später gar zum Industrial/Drum’n’Bass-Elektro-Horror. Ohne dafür den homogenen Kontext der Platte aufbrechen zu müssen.
Es ist auch diese Schlüssigkeit, mit der Annihilated immer wieder aus seinem finsteren Käfig ausbricht, die am Ball hält, fasziniert und durchatmen lässt – und am Ende gar so etwas wie das Licht am Ende des Tunnels erkennen lässt, wenn Through The Trees mit melancholischen Moll-Akkorden über das Piano aus dem restlichen Höllenfeuer der Platte gleitet und beinahe versöhnlich entlässt. Mittlerweile weiß man jedoch – das ist sicherlich nur eine neue Ruhe vor dem nächsten Sturm.
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