Seahaven – Reverie Lagoon: Music For Escapism Only

von am 26. März 2014 in Album, Heavy Rotation

Seahaven – Reverie Lagoon: Music For Escapism Only

Woran man während ‚Reverie Lagoon: Music For Escapism Only‚ denken muss: vor 12 Jahren warfen The Promise Ring mit ‚Wood/Water‚ nach 3 Alben ihren bisherigen Status Quo über Bord um sich neu zu erfinden. Mag der direkte Vergleich zwischen diesen beiden Platten nun auch hinken – weil der jeweilige Start- und Endpunkt ein vollends anderer ist –  gibt es doch zumindest zwei gravierende Parallele: da wie dort haben die beiden Bands sich mit ihren jeweiligen Alben nicht nur weiterentwickelt, sondern vor allem auch zu einer inneren Ruhe gefunden.

Seahaven brechen auf ‚Reverie Lagoon: Music For Escapism Only‚ nicht vollends mit ihrer Vergangenheit. Einerseits, weil das Quartett aus Kalifornien über 52 Minuten Ansätze zu ende denkt, die sich bereits auf früheren Songs wie ‚Honey Bee‚ oder vor allem der 2010er Acoustic-EP finden – und es auch kein Zufall sein kann, auf einen ‚Winter Forever‚ betitelten Erstling ein derart wärmendes, weitläufig agierendes und sommerlich entspanntes Werk als Balanceakt folgen zu lassen.
Andererseits, weil Songs wie (der mit seiner Direktheit ein wenig aus dem Rahmen fallende, aber die Dynamik der Platte ankurbelnde Fremdkörper-Hit) ‚Flesh‚ mühelos unterstreichen, dass die Band es durchaus noch versteht knackig zu rocken: das beginnt mit der polarisierenden nasalen Stimme Kyle Soto’s als potentieller Smashing Pumpkins-Song, der sich in den Strophen in andauernder Lauerstellung befindet, letztendlich die Sonne aber immer wieder als gut gelaunter Wintersleep Zögling aufgehen lässt. Überhaupt bleiben Kanadier die wichtigste Referenz der Platte, vor allem wenn Nummern wie ‚Wild West Selfishness‚ (ein Drumcomputer und verhaltenes Melodieschwelgen bieten den Nährboden, bekommen immer dramatischere Risse und explodieren schließlich als kleine Hymne, sobald Drummer James Phillips das Zepter energisch an sich reißt), der entspannte Tagesausklangsrock ‚Karma Consequential‘ oder ‚Love to Burn‚ (sanftmütig pulsierend treiben Seahaven in herzzerreißender Schönheit, wie sich der Song nach und nach langsam immer weiter öffnet ist schlicht großes, zeitloses Kino) sogar durchaus darüber hinwegtrösten können, dass nach wie vor keine neue Weakerthans-Platte am Horizont in Sichtweite ist.

Seahaven haben auch in diesen aus sich impulsieveren Songs ihres so treffend betitelten Zweitwerks den Poppunk-Rock-Posthardcore-Appeal der Vergangenheit gegen ein zurückgenommenes Indierockflair mit subtiler Emo-Kante und Collegerock-Ausrichtung getauscht: ‚Reverie Lagoon: Music For Escapism Only‚ ist ein im Midtempo verankertes tiefes Durchatmen, eine nachdenkliche Melancholie ohne in Niedergeschlagenheit zu versinken.
Ein überraschend konsequenter Entwicklungsschritt sicherlich, der sich mit dem ruhigen (und etwas zu lang geratenen) Vorboten ‚Silhouette (Latin Skin)‚ mitsamt seinen feinen Chören und Streichern auf so elegante wie eindringliche Art bereits ankündigte ohne zu dick aufzutragen, aber auch einer, der umso nachhaltiger seine Wurzeln schlägt: „You will find yourself in time/ All it will take is some time/ Know that all that it will take is some time.
Waren ‚Winter Forever‚ und ‚Ghost‚ also die potentiellen Soundtracks um bei der nächsten Party eine gute Zeit ohne tumben Beigeschmack zu haben, ist ‚Reverie Lagoon‚ nun der Ausklang und Gang unter einem Sternenmeer, nostalgisch und wehmütig. Das gezeichnete Bild von der einsamen Bucht in der Abenddämmerung (oder Mondlicht? Oder Sonnenaufgang?), es ist absolut stimmig und geht Hand in Hand mit Soto’s introspektiven, berührenden Texten, die sich nur zu gerne in verträumte Hallschichten lehnen, und abseits der die Zügel anziehenden Songs in den zumeist unheimlich subtilen, stillen und unaufdringlichen Gewässern der Platte ihre atmosphärische Wirkung am eindringlichsten entfalten.

Unmerklich unter die Haut kriechende Kleinode wie die Folkminiatur ‚Highway Blues‚ oder das verletzlich nach Hoffnung suchende Gänsehautstück ‚On the Floor‚ verdichten ihre anmutige Erhabenheit dort, wo die Enttäuschung darüber keimt von Postdata keinen Nachfolger zu ihrem fulminanten 2008er Geniestreich serviert bekommen zu haben, das zweiteilige ‚Paseo De Las Estrellas (I)‚ variiert mit oszillierenden Kirchenglockengitarren als tiefschürfendes Schlaflied, während ‚Solar Eclipse‚ als romantische und niedergeschlagene Pianoballade mit klammheimlich deprimierten Bläsern vielleicht am deutlichsten den Drang von Seahaven vorführt ihren Sound zu erweitern und sich generell weiterzuentwickeln (von einem Kraftakt unter Wachstumsschmerzen  zu schreiben wäre dennoch falsch – weil diese Veränderung als natürlicher Fluss absolut ungezwungen stattfindet).
Das elegisch und ätherisch in seinen wunderbaren Melodien und Emotionen schwelgende ‚Reverie Lagoon: Music For Escapism Only‚ wirkt dabei wie das erstaunlich stimmig ausformulierte Dokument einer Band, die sich selbst gefunden hat – wenngleich es sich auch noch nicht wie das ultimative Ankommen anfühlt. Seahaven’s Zweite hat einige wenige Längen – selbst diese bieten aber im Grunde nur reizvolle Gelegenheiten um sich in der evozierten Stimmung zu verlieren. Was nach 14 Songs, die behutsam in Schwermut wiegen und gleichzeitig ein Lächeln aufs Gesicht zaubern können bleibt ist die Vorahnung, dass Seahaven sich hiermit freigeschwommen haben und die Weichen zu ihrem Meisterwerk aufgestoßen haben dürften. Auch, weil ‚Reverie Lagoon: Music For Escapism Only‚ zu jedem Zeitpunkt vital genug ist, um nicht das Schicksal von The Promise Ring nach ‚Wood/Water‚ teilen zu müssen – ganz im Gegenteil!

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