Seahaven – Halo of Hurt

von am 1. Dezember 2020 in Album

Seahaven – Halo of Hurt

Wenn Reverie Lagoon: Music For Escapism Only im Jahr 2014 (in mehrerlei Hinsicht) das Wood/ Water der Band war, ist Halo of Hurt wohl ihr Daisy: Seahaven spielen auf ihrem dritten Studioalbum so emotionalen wie schwierigen Alternative Rock.

Eine Entwicklung, die vielleicht grundlegend nicht überraschen sollte – da Seahaven sich offenbar mit jedem neuen Album stilistisch neu erfinden -, die dies nach sechs Jahren Funkstille aber doch tut. Weniger jedoch auf dem falschen Fuß erwischend, als desorientierend überfordernd. Denn wenn Reverie Lagoon: Music For Escapism Only eben auch der beruhigende Wellengang eines spätabendlichen Sommermeeres war, dann ist Halo of Hurt die unbeständige See – unberechenbarer  und auch gefährlicher verführend, düsterer und dunkler. Denn mögen sich die versammelten neun Songs hier letztendlich als unerwartetes Fest für Anhänger von Dredg, Thrice und mehr als alles andere Brand New erweisen, so servieren Seahaven dieses jedoch nicht (oder eher: nur ausschnitthaft) auf dem Silbertablett.
Wo das Comeback der Kalifornier generell ein Spiel mit Erwartungshaltungen, Hoffnungen und auch Ängsten ist, setzt es sich auch enormen Wechseln in der Dynamik aus. Gerade strukturell scheinen die Nummern den am wenigsten einfachen Weg gehen zu wollen. Immer wieder scheint es die Kompositionen in zahlreiche Richtungen zu zerfasern und doch brütet die Platte im Vergleich zum nach Raum und Fläche strebenden Vorgänger eher über ihren Ideen. Manche Passagen passieren erst nur unbemerkt im Hintergrund und schwappen dann energisch in den Fokus der Aufmerksamkeit; verliebt man sich in ein besonders anmutiges Motiv, kann es passieren, dass die Band dieses winfach spurlos verschwinden lässt oder einen unvorhersehbaren Umweg zur Wiederholung einwirft.

Oft muten die Nummer deswegen verkopft an, stehen der organisch fließenden Natürlichkeit mutwillig im Weg, wirken wie eine Sammlung grandioser Einzelideen, die zu unrunden Songs geformt wurden. Doch ist die Platte genau genommen weder zerfahren, noch übertrieben komplex oder schwer zugänglich, weder schroff noch vertrackt. Nur eben etwas schwierig im Verhalten und Entlohnen, gerade angesichts der ausnahmslos einnehmenden Grundzüge.
Was durchaus ambivalent ist, wenn Seahaven mit melodischen Kanten überwältigende Ausbrüche ankündigen, diese auch liefern, aber selten auf die naheliegender Weise. Wenn es so wirkt, als kanalisiere die Band jedwede Katharsis nie in letzter Konsequenz, nie in einem ganzheitlichen Wesen innerhalb eines kompletten Songverlaufs – obwohl jede Nummer bisweilen anbetungswürdige Szenen hofiert und mit einem Schritt zurück vieles zu wachsen beginnt.

Void nimmt aus der Stille kommend bedächtig Anlauf. Bekümmert und auf gespenstische Weise erhaben ist die ambiente Fläche hinter Kyle Soto ausgebreitet, während die gewöhnungsbedürdtige Produktion ihn auch pathetisch leidend in Szene setzt, bevor der Song wuchtig aufplatzt und im Midtempo bratend losstapft, kurz revidiert und in die beschwörende Atmosphäre eines sakral perlenden Pianos zurückkehrt; sich sogar Streicher gönnt, diese aber so subtil vorbeischeucht, wie sich die Architektur konventionellen Spannungsbögen verweigert und bis zum abschließenden Klimax mit heulenden Solo zahlreiche Finten und Sackgassen antäuscht, nur um ein Kaleidoskop der Hymnik zu kreieren.
Dunkel, aber nicht vertrackt, agiert die Rhythmussektion schon hier tief und schwer, die Gitarren zeigen eine Spannung zwischen tröstenden Elegie und hungriger Unruhe, die Stimme von Soto überschlägt sich immer wieder, doch alleine das Zusammenspiel aus Bass und Schlagzeug in Moon zeigt, dass die Lagune von vor über einer halben Dekade keine Illusion war. Die Kommunikation der eilig getriebenen Snare mit der gackernden Gitarren ist allerdings von einer nicht mehr derart entspannten Verträumtheit geprägt, zumal Soto auch fiebrig rezitiert, das Tempo sich immer wieder verdächtig sinister stacksend ausbremst – doch erst Dandelion, in dem tiefes Grummeln kontemplativ und schwerelos über die sphärische Nachdenklichkeit walzt, knüpft dann dezidiert ästhetische Verbindungen zum vermeintlichen Doch-Nicht-Schwanengesang von Seahaven.

I Don’t Belong Here taucht noch weiter in diese Tiefe, spätestens bei den wundervoll-vorsichtigen Chor streichelt es die Gänsehaut, doch Seahaven spielen den Song mit immer neuen Impulsen ohne Komfortzone, ein hymnischer Refrain wird angedeutet, stattdessen verschiebt die Band das Szenario bis zu nebulös verklingenden Soundschleifen. Lose ist eine tröstend-balladesk Schönheit mit sanft lächelnder Sanftheit und pastoralen Anmut und Harbor hebt sich rund um einen nicht mehr aus dem Gedächtnis zu bekommenden Höhepunkt („Consequence is overdue“) mit viel Geduld zu seinem erfahrenen Refrain, hinten schmiegt sich die Band gar in ein Solo. Living Hell setzt sich dagegen an das Klavier und legt eine abgründige Melancholie als lauernde Besänftigung über eine Unruhe, während das elegische Bait kontemplativ poltert, sich zwischen die beiden Pole einer knackigen Präsenz und nautischen Texturen schmiegt. Eraser klingt wie eine entrückte Reminiszenz an frühere Radiohead, doch zaubern Seahaven am Ende eine stille Pointe aus dem Ärmel und entscheiden sich für ein Finale im ätherischen Understatement, das mit sich selbst im Reinen so unbedingt unspektakulär zur Ruhe kommt.
Man hört Hall of Hurt also wohl an, dass ein vollständiger Satz an Demos für den lange nicht mehr möglich gehaltenen Langspieler in den Müll wandern musste, damit die Band von Neuem an ihrem Drittwerk und einem Paradigmenwechsel beginnen konnte. Die Entstehung dieser Platte war ein Kampf („There’s a void I’ve been filling for some time with nothing good.“) war und ist für den Hörer nun zumindest auch eine nicht hürdenlose Herausforderung – sie entlohnt im Rückschluss aber über neun heimlich ihre Widerhaken auswerfenden Lieblingssongs und ebenso viele umständliche Hits auch als eines des ergiebigsten Geschenke dieses Jahres, wenngleich auch auf Umwegen: Hält sich die Euphorie während des Konsums der Musik vielleicht noch zurück, reicht ein Gedanke an etwaige Songtitel aus, um ins Schwärmen zu geraten.

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