Sam Fender – Hypersonic Missiles
Die Jugend der Insel ist mit hungrigem Blick mal wieder im eklektischen Sturm und Drang-Modus: Sam Fender feuert mit Hypersonic Missiles das passende Album zu dem vorauseilenden halben Duzend an schmissigen Singles.
In dem inhaltlichen Sammelsurium der englischer Bestandsaufnahme zwischen allgememeinen Brexit-Chaos und bedrückender Newcastle’scher Millieustudie singt der ehemalige Barkeeper Fender irgendwann die wohl sinnbildlichste Zeile seines hochgehypten Debütalbums: „I wanna be anybody but me.“
Das ist deswegen so treffend, weil der 25 Jährige Senkrechtstarter zwar ein talentierter Singer/Songwriter ist, man Hypersonic Missiles aber vor allem als Schaulaufen von Fenders breitgefächerten Einflüssen wahrnimmt. Durch die stets so leidenschaftlich beschwörende, immer leicht bebende und in die kontrollierte Klarheit der Dramatik gepressten Stimme, wirken die 13 Songs der Platte gar, als hätte man das Erbe von Dry the River in immer neuen kohärenten Kontrasten stilistisch an andere Marktführer angepasst.
Hinter einem archetypischen Cover, das so wohl auch Richard Ashcroft gefallen wird, pulsiert gleich das eröffnende Titelstück mit einer Geste, als wolle es eine in den Sternenhimmel strahlende Arcade Fire-Hymne sein, die spätestens bei den Bläsern wie ein nicht aktueller Bruce Springsteen aus der britischen Perspektive anmutet, wo Will We Talk? ein bisschen wie The Strokes (exakt: Last Nite) im bimmelnden Asbury Park mit adaptierter Just the Way You Are-Melodie anmutet. The Borders planiert unweit davon mit monoton davonlaufenden Beat, Synthieflächen und 80er-Gitarren einen sehnsüchtigen The War on Drugs-Highway auf die Insel, bevor wieder das Saxofon und Backingstimme ins Heartland träumen und dort landen, wo die Killers nach Sam’s Town die Orientierung verloren haben. Noch besser funktioniert die Granduciel-Formel nur in You’re Not The Only One, wenn die erst dumpf arbeitende Drummachine aufblüht, an Fahrt aufnimmt, den Horizont passiert und dort von Clarence Clemons in die Arme geschlossen wird.
White Privilege lehnt sich dagegen mit Mehrstimmigkeit an das brachliegende Folk-Brachland von Munford and Sons, während sich Jamie T. und Jake Bugg für Two People in ein wohliges Bett gekuschelt, die generell das Klangbild anführende Klampfe für 12 gar alleine das Rampenlicht bekommt und hinten raus ein reverbschweres Twin Peaks-Ambiente zeigt. Und Call Me Lover bedient diesen neosoulige Gospel, den auch Hozier (und Co.) emporsteigen lässt, addiert dazu ein paar Streicher und wäre ein ergreifendes Stück Song Contest. Im besten Sinne.
Anderswo, wie im vielleicht in den Spuren von Circa Waves wandelnden, stampfend-heulenden Ohrwurm Saturday, sind die Assoziationen weniger explizit greifbar, doch Fender meistert auch diese Gangart. Er serviert Formatradio-Hits von der etablierten Stange mit ernsten Themen (Dead Boys) und lockert den Fluss mal ruppiger auf (That Sound) oder lässt das geduldig gackernde Play God epischen ankündigen, dreht der aufgebauten Spannung aber abrupt den Saft ab, bevor die okaye Klavierballade Use pflichtbewusst aus dem Album plätschert – so stark wie in den ersten beiden Dritteln entfaltet Hypersonic Missiles sein Momentum nachfolgend aber generell nicht mehr.
Das Trumpfass bei alledem bleibt ohnedies, dass der Einstand trotz seiner eklektischen Referenztreue niemals so kalkuliert klingt, wie es eigentlich wohl der Fall sein könnte/müsste; Hypersonic Missiles zwar (zu) sauber und angepasst daherkommt, so dass kaum ein Funke aufregender Rock’n’Roll-Gefährlichkeit aufkommt und die Dinge schnell ergründed sind, Fender aber eben über weite Strecken eine derart catchy abholende Dringlichkeit artikuliert, dass man sich dem Verve dieser (etwas zu ausführlichen) 49 Minuten auch ohne mitreißende Euphorie kaum entziehen will. Eine starke Talentprobe, wenn auch nicht die eigenständigste – Fender ist ein guter Anybody!
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